„Der Angriff auf Theramore kann mit Worten nicht beschrieben werden. Es gibt Gegner, und es gibt Feinde; es gibt zivilisierte Wesen und – Monster. Ich gebe zu, einst habe ich keine solchen Unterscheidungen gemacht. Doch jetzt weiß ich: Nur wer diesen Unterschied kennt, kann den Pfad der Rechtschaffenheit klar vor sich sehen. Indem er über einer Stadt mit so vielen Bürgern eine Manabombe explodieren ließ – ein verabscheuungswürdiger Akt purer Feigheit –, hat Garrosh Höllschrei der Welt gezeigt, was er ist. Er und all jene, die ihm folgen, haben sich entschieden, Monster zu sein. Und genau so werden wir sie auch behandeln.“
Er fuhr fort: „Wir werden diesen Gräuel nicht mit einem ebenso großen Gräuel vergelten, denn wir haben eine andere Wahl getroffen. Aber wir werden kämpfen. Wir werden sie aufhalten, damit sie ihren methodischen Eroberungszug nicht fortsetzen können. Wir werden vereint stehen und vereint alles verkörpern, was die Allianz so großartig macht. Ich bin heute nicht alleine hier. Bei mir ist König Genn Graumähne. Sein Volk hat einen Fluch in ein Geschenk verwandelt. Die Worgen unter euch werden mit größerem Herzen kämpfen, als ihr anderen es je erlebt habt, und sie werden beweisen, dass sie, im Gegensatz zu unseren Feinden, keine Monster sind. Außerdem sind da noch unsere Brüder und Schwestern von den Zwergen und Gnomen. Ohne sie wären diese prächtigen Schiffe niemals rechtzeitig fertiggestellt worden, um Kalimdor zu retten, bevor es an die Horde fällt. Da sind die Kaldorei, seit Langem schon unsere Verbündeten, denen auch wir stets helfend zur Seite stehen – ihre Schiffe warten in großer Zahl, um bei der Befreiung ihres Kontinents mitzuwirken. Und auch die Draenei, die seit ihrer Ankunft auf unserer Welt ein verlässlicher Kompass der Gerechtigkeit waren, stehen hier, bereit, ihr Blut für das Wohl anderer zu vergießen.“
Varian machte einen Schritt nach hinten und breitete die Arme aus, auf dass die Menge diesen Verbündeten Respekt zollte. Er selbst hätte gar nicht dankbarer für ihre Unterstützung sein können. Nie zuvor, so schien es, war es wichtiger gewesen, wahre Freunde und kühle Köpfe um sich zu haben. Viele, viele Minuten lang verschluckte der Jubel der Zuschauer jedes andere Geräusch.
Schließlich trat Varian wieder nach vorne. „Wie ihr alle wisst, werde ich eure tapferen Seeleute begleiten, wenn wir heute aufbrechen. Aber ich werde jemanden hierlassen, der euch an meiner statt würdig zu führen vermag, sollte es zum Äußersten kommen. Jemanden, der auch früher schon geführt hat.“
Er nickte, und Anduin, der ein paar Meter entfernt hinter einer der gewaltigen Kanonen gewartet hatte, trat nun neben seinen Vater. Der Prinz trug die Farben der Allianz, Blau und Gelb, dazu einen schlichten silbernen Reif um sein goldenes Haupt, und flankiert wurde er von zwei Draeneipaladinen in prächtiger, gleißender Rüstung. Doch obwohl er viel kleiner war als die beiden, richteten sich alle Blicke auf ihn. Jubel und Applaus brandeten ihm entgegen, und seine Wangen röteten sich ein wenig; er war noch nicht an öffentliche Auftritte gewöhnt. Nach ein paar Sekunden hob er den Arm, damit die Menge verstummte, und öffnete den Mund.
„Ich fürchte, ich werde nie in der Lage sein, Männer und Frauen bereitwillig in die Schlacht zu schicken“, erklärte er. „Aber auch ich muss anerkennen, dass es wohl kaum eine bessere Rechtfertigung für einen Krieg gibt. Die Horde hat uns auf eine Weise angegriffen, die nicht ignoriert werden kann. Jeder, der an die Gerechtigkeit und das Gute glaubt, muss das Grauen von Theramore verurteilen.“ Varian, der seinem Sohn aufmerksam lauschte, dachte daran, wie sich die Nachwirkungen dieses Angriffes gezeigt hatten, wie Jaina, bis dahin eine nüchtern denkende Frau voller Mitgefühl, zu einer Person geworden war, die sich für Rache entschied – mehr noch, die sich nach Gewalt verzehrte.
„Falls wir jetzt nicht handeln – falls diese tapferen Soldaten und Seemänner der Allianz nicht Segel setzen –, dann billigen wir doch, was geschehen ist. Wir ermutigen sie, mehr noch, wir laden sie dazu ein, weiter Gewalt zu säen und noch mehr Unschuldige abzuschlachten. Garrosh Höllschrei hat offen erklärt, dass er die Allianz von dem gesamten Kontinent vertreiben will. Wir können das nicht einfach so hinnehmen. Es kommt eine Zeit, da muss selbst das sanftmütigste Herz sagen: ‚Genug!‘ Und jetzt ist diese Zeit gekommen.“
Er hob die Arme und schloss die Augen. „Und um die Rechtschaffenheit unserer Entscheidung und die Reinheit unserer Absichten zu bezeugen, nun, da diese Flotte ausläuft … beschwöre ich das Heilige Licht, dass es all jene segnet, die bereit sind, ein Opfer darzubringen, um die Unschuldigen zu schützen.“
Ein schwacher Schimmer begann um seine erhobenen Hände zu leuchten. Er glitt an seinem Körper hinab, bis er ihn ganz einhüllte, und schwebte dann nach oben, über die Menge, sodass sein Leuchten auf die Soldaten und Seemänner und ihre Lieben hinabregnete.
„Ich bete, dass ihr mit vollem Mut, vollem Anstand und voller Ehre kämpft! Ich bete, dass die Rechtschaffenheit unserer Sache eure Waffen führen möge. Und ich bitte euch, lasst auch in der Hitze der Schlacht den Hass nicht in eure Herzen einziehen. Sie sollen ein Heiligtum sein, ein Tempel, dem Gedenken an die tragischen Opfer von Theramore geweiht. Denkt in jeder Sekunde daran, dass ihr für die Gerechtigkeit kämpft, nicht um der Vergeltung willen! Wir wollen einen Sieg, keinen Völkermord. Und ich weiß, weiß es mit jeder Faser meines Seins, dass kein Zorn euch erschüttern, kein Schmerz euch schrecken kann, wenn ihr diese Dinge nur fest in euren Herzen behaltet. Dann werden wir triumphieren. Seid alle gesegnet, ihr Kämpfer der Allianz!“
Varian spürte beinahe körperlich, wie ihn das Licht berührte. Es schien ihn zu streicheln, in sein Herz zu strömen, so, wie Anduin gesagt hatte, und mit einem Mal fühlte er sich ruhiger, stärker, mehr im Reinen mit sich selbst.
Er beobachtete, wie sein Sohn mit der ganzen Leidenschaft seiner Seele weitersprach, sah, wie ihn das Licht segnete, rasch und liebevoll. Und er spürte, wie sehr das Volk Anduin verehrte.
Oh, mein Sohn, schon jetzt bist du der Beste von uns allen! Was für einen König du eines Tages erst abgeben wirst!
Ein Horn erklang. Es war Zeit aufzubrechen. Überall am Hafen nahmen Familien nun Abschied – ältere Ehepaare von ihren erwachsenen Kindern, rotgesichtige Jünglinge von ihren Liebsten. Anschließend schob sich ein Strom von Uniformierten auf die wartenden Schiffe zu. Hinter ihnen wurden Küsse in die Luft gehaucht und Taschentücher geschwenkt.
Varian wartete, während Anduin, noch immer von den beiden Paladinen flankiert, auf das Flaggschiff zuging. Einmal musste er kurz lächeln.
„Gut gesprochen, mein Sohn“, sagte er.
„Es freut mich, dass dir meine Worte gefallen haben“, erwiderte Anduin. „Ich habe nur ausgesprochen, was mir auf dem Herzen lag.“
Varian legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. „Was du aussprachst, ist groß gewesen. Ich war – und bin – sehr stolz auf dich, Anduin.“
Ein schelmisches Grinsen erhellte das Gesicht des Prinzen. „Dann glaubst du also nicht mehr, ich wäre nur ein quakender Friedensnarr?“
„Ah, das habe ich nie gesagt“, entgegnete Varian. „Und ich denke es auch nicht. Ich freue mich nur, dass du die Richtigkeit unserer Entscheidung erkannt hast.“
Anduin wurde wieder ernst. „Das habe ich“, erklärte er. „Ich wünschte, es wäre nicht so, aber es gibt keine andere Lösung. Ich – ich bin froh, dass du nicht wie Jaina geworden bist. Ich habe auch für sie gebetet.“
Daran hatte Varian keinen Zweifel gehabt. „Anduin – dieser Krieg, von dem wir beide wissen, dass wir ihn führen müssen … Du weißt, dass ich vielleicht nicht daraus zurückkehren werde.“
Er nickte. „Ja, Vater.“
„Und falls ich sterben muss – sollst du wissen, dass du mehr als bereit bist, meinen Platz einzunehmen. Ich weiß, dass du gut und gerecht herrschen wirst. In besseren Händen könnte Sturmwind nicht sein.“