Anduins Augen schimmerten feucht. „Vater – ich – danke dir. Ich würde mein Bestes tun, ein guter König zu sein, aber … es wäre mir lieber, wenn noch einige Jahre vergingen, ehe es so weit ist.“
„Mir auch“, meinte Varian. Er zog Anduin in einer festen, unbeholfenen Umarmung zu sich heran und legte seine Stirn gegen die seines Sohnes, dann wandte er sich um und rannte leichtfüßig zu den Schiffen hinüber. Einen Augenblick später war er bereits im Meer der Seemänner und Soldaten verschwunden, die dem Flaggschiff entgegenmarschierten.
Und dem Krieg.
24
Mit schwerem Herzen flog Kalec dahin. Die schreckliche Sorge, dass Kirygosa mit ihrer Vermutung über Jaina recht haben könnte, nagte an ihm. Drachen konnten zwar keine Gedanken lesen, aber die Art, wie Jaina reagiert hatte, als das Gespräch auf die Fokussierende Iris gekommen war, erschien mehr als verdächtig. Nun war er sich beinahe sicher, dass sie das Artefakt selbst aus Theramore fortgeschafft hatte – und plante, es gegen die Feinde einzusetzen, die ihr damit zuvor schon so viel Leid zugefügt hatten. Was diese fürchterliche Schlussfolgerung noch weiter stützte, war der Umstand, dass die Iris einmal mehr verschwunden war, diesmal aber deutlich geschickter als zuvor vor seinen Sinnen verborgen wurde. Es war ein unangenehmer Gedanke, und er wünschte sich, daran glauben zu können, dass der Wandel in dieser Frau, für die er so viel empfand, nur das Resultat der arkanen Energie der Bombe wäre. Vielleicht traf das teilweise sogar zu, aber alles ließ sich damit leider nicht erklären.
So kehrte er nun also zum Nexus zurück, um sich mit seinem Schwarm zu beraten. Außerdem … wollte er nach Hause.
Als er sich dem Nexus näherte, fiel ihm auf, dass nun keine Drachen mehr schützend ihre Kreise um die Säule zogen, obwohl es seit Urzeiten Sitte war. So verstärkte der Anblick seine Trauer nur noch weiter. Kalec beschloss, nicht sofort zu landen. Er wollte erst mit jemandem sprechen, der seine Seele trösten, aber auch die schweren Worte aussprechen konnte, die er jetzt hören musste.
Er fand Kirygosa an ihrem „Ort der Reflexion“, wo er auch schon mit ihr gesprochen hatte, als ihn die Nachricht vom Diebstahl der Iris erreicht hatte. Wie damals saß sie auch jetzt in ihrer menschlichen Gestalt an den leuchtenden Baum gelehnt, und obwohl sie nur ein leichtes, ärmelloses blaues Kleid trug, schien sie die Kälte überhaupt nicht zu spüren.
Er landete auf der schwebenden Plattform, und nachdem er sich in seine Halbelfenform verwandelt hatte, ergriff er die Hand, die Kiry ihm hinhielt, und nahm neben ihr Platz.
Eine Weile saßen sie einfach nur schweigend da, bis Kalec schließlich sagte: „Ich habe niemanden Wache fliegen gesehen.“
Kirygosa nickte. „Die meisten von ihnen sind fort“, erklärte sie. „Jeden Tag beschließt erneut jemand, dass dieser Ort nicht länger sein oder ihr Zuhause ist.“
Gequält schloss Kalec die Augen. „Ich habe das Gefühl, versagt zu haben, Kiry“, murmelte er leise. „Bei allem. Als Anführer, auf der Suche nach der Fokussierenden Iris, bei dem Versuch, Jaina zu helfen … überall habe ich versagt. Ich habe noch nicht einmal erkannt, wie schwer die Geschehnisse in Theramore sie wirklich getroffen haben.“
In ihren blauen Augen lag nicht die geringste Spur von Genugtuung, als sie ihn musterte. „Dann hat sie die Iris also?“
„Ich weiß es nicht. Ich kann sie nicht mehr fühlen, zumindest nicht deutlich. Aber … ja, ich glaube, Jaina könnte sie haben.“
Sie wusste, wie schwer diese Worte ihm fielen – und drückte seine Hand. „Ich weiß nicht, ob dich das tröstet, aber ich finde nicht, dass es ein Fehler gewesen ist, dich in sie zu verlieben. Oder sie noch immer zu lieben. Dein Herz ist groß, aber es muss dem Gebot der Vernunft gehorchen.“
„Weißt du“, begann er, um die Unterhaltung aufzulockern, „es gibt nicht wenige, die behaupten, wir beide würden ein gutes Paar abgeben. Du würdest mich jedenfalls davon abhalten, mich auf die falschen Frauen einzulassen.“
Kiry lachte und legte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich bin sicher, eines Tages wirst du einen Partner sehr glücklich machen, Kalecgos, aber ich werde es nicht sein.“
„Da geht sie dahin, meine letzte Hoffnung, doch noch ein normaler Drache zu werden.“
„Ich bin froh, dass du kein normaler Drache bist“, entgegnete sie, und die Zuneigung in ihren Augen ließ ihm warm ums Herz werden. Ja, er liebte sie – aber nicht wie einen Partner. Kalec seufzte, und die Melancholie legte sich wieder auf sein Gemüt. „Oh, Kiry, ich bin vom Pfad abgekommen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
„Ich glaube, du weißt ganz genau, was du tun solltest, und du bist auch nicht vom Pfad abgekommen“, entgegnete sie. „Du stehst nur an einer Kreuzung, mein geliebter Freund. So wie wir alle. Entweder brauchen dich die blauen Drachen als einen Anführer, der sie weise leitet … oder sie müssen ihren eigenen Weg finden und ihr Leben selbst leiten. Gibt es denn eine größere Pflicht als die Verantwortung sich selbst gegenüber? Und was die jüngeren Rassen betrifft: Vielleicht haben ja auch sie das Recht, über ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Ihre eigenen Entscheidungen zu treffen … und mit den Konsequenzen zu leben.“
So wie Garrosh, dachte Kalecgos. Und so wie es nun auch Jaina vorhat.
„Veränderung“, murmelte er, als ihm einfiel, was er einst zur Lady Prachtmeer gesagt hatte. Die Dinge unterliegen einem Rhythmus, einem Kreislauf. Nichts bleibt sich ewig gleich, Jaina. Nicht einmal wir Drachen, die wir so langlebig und angeblich auch so weise sind.
Angeblich.
„Wohin wirst du gehen?“, fragte er leise, und durch diese vier Worte teilte er Kirygosa seine Entscheidung mit.
„Ich bin nicht so weit in der Welt herumgekommen wie du“, sagte sie. „Ich habe gehört, dort draußen soll es warme Ozeane geben, die nicht mit Eis gefüllt sind. Wo die Winde süß duften und nicht frostig in den Augen stechen. Ich glaube, ich würde diese Orte gerne sehen. Mir einen neuen Ort der Reflexion suchen.“
Jedes weitere Wort wäre überflüssig gewesen. Kiry stand auf, als hätte sie nur darauf gewartet, dass er ihr seinen Segen gab. Er erhob sich ebenfalls, dann umarmten sie einander fest.
„Leb wohl, bis wir uns wiedersehen, Kalec“, flüsterte sie. „Solltest du mich je brauchen, such in tropischen Breiten nach mir!“
„Und falls du meine Hilfe benötigst, begib dich zum unwahrscheinlichsten Ort, an dem ein Drache nur leben kann! Ich bin sicher, dort wirst du mich finden.“
Seine Brust zog sich zusammen, als er zusah, wie sie sich verwandelte, ihre Flügel ausbreitete und nach oben eilte. Einmal drehte sie sich noch kurz um, ein stummer Abschied, dann flog sie gen Süden davon.
Eine halbe Stunde später stand Kalecgos allein auf der Spitze des Nexus. Teralygos, einst sein Feind, nun sein Freund, war der Letzte, der den Turm verlassen hatte. Er war in nordöstlicher Richtung verschwunden; im Gegensatz zu Kirygosa sehnte sich der alte Drache nach der friedlichen Stille der kalten Lande, der traditionellen Heimat des blauen Schwarmes.
Kalecs Entscheidung hatte keinen der anderen Drachen, die noch zurückgeblieben waren, wirklich überrascht, und keiner von ihnen schien die Schuld für diesen Exodus bei ihm zu suchen. Veränderungen. Sie waren gekommen, und alle Gegenwehr der Welt, alle Proteste, all die Wünsche, es könnte wieder so sein wie in der guten, alten Zeit, waren machtlos gegen sie. Die Veränderungen ließen sich nicht aufhalten. Was würde nun aus ihm werden, dem einzigen verbliebenen Bewohner dieses nunmehr verlassenen Königreiches? Wohin führte sein Pfad?
Alles verändert sich, Jaina, ob nun durch äußere Einflüsse oder von innen heraus. Und manchmal reicht eine winzige Änderung in der Gleichung schon aus, hatte er einst zu der Frau gesagt, in die er sich verliebt hatte.