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Hörnersignale erklangen, und eines nach dem anderen wendeten die Schiffe, die bis eben noch direkt nach Osten gesegelt waren, bereit, sich der Bedrohung aus dem Süden zu stellen. Varian kletterte ebenfalls die Takelage hinauf, dann hielt er sich mit einer Hand fest und presste mit der anderen das Fernrohr an sein Auge.

Mehrere Schiffe der Horde kamen ihnen direkt entgegen, waren der Allianz-Flotte zahlenmäßig aber deutlich unterlegen. Varian nickte. Er wusste nicht, wie Garrosh ihren Plan hatte vorhersehen können – vielleicht hatte ein Hochseefischerboot die Armada entdeckt und war zurückgeeilt, um Alarm zu geben. Doch im Augenblick schien das eher nebensächlich. Alles, was zählte, war, dass sich die Horde weiter auf ihre Blockade konzentrierte und der Allianz nur die Schiffe entgegenwarf, die sie dort entbehren konnte. Und das waren nicht viele.

„Jaina“, murmelte er, während er rasch wieder nach unten aufs Deck kletterte. „In einem Punkt hattet Ihr womöglich recht. Vielleicht können wir es hier und jetzt beenden.“

Zunächst herrschte eine beinahe schon aufgekratzte Stimmung an Deck. Es war offensichtlich, dass die Horde auf die Fehlmeldungen hereingefallen war, die die Spione der Allianz gestreut hatten, und sich weiterhin auf den Schutz der Küstenstreifen konzentrierte, auf die überhaupt kein Angriff geplant war. Die wenigen Schiffe von der Feste Nordwacht auszuschalten sollte kaum mehr als eine Zielübung sein. Die Messerfaust-Küste, sonst so ruhig und still und beinahe schon langweilig, würde nun Zeuge einer Seeschlacht werden.

Ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten, hangelte sich Varian ein zweites Mal die Takelage empor, um auf den Ozean hinauszuspähen. Er zählte lediglich drei oder vier Schiffe, die, so schnell sie konnten, auf die Flotte zusegelten. Auch ihre Segel waren vom Wind gebläht, und es sah aus, als würden sie den Elementen alles abverlangen; was aber nicht weiter verwunderlich war, denn schließlich setzte die Horde schon sehr viel länger als die Allianz Schamanen ein.

„Hart nach Backbord!“, rief Telda, und Varian schlang die Hand fester um die nassen Taue, als die Wellenlöwe sich jäh nach links drehte, der Gefahr aus dem Süden entgegen. Einen Augenblick lang empfand er beinahe – aber wirklich nur beinahe – Mitleid mit den Besatzungen dieser Schiffe, die schon in wenigen Minuten ein nasses Grab auf dem Meeresgrund finden würden.

„Feuer!“

Das Flaggschiff erzitterte unter dem Donnern seiner eigenen Kanonen, als die Waffen dem Feind ihre Geschosse entgegenspien. Einige Kanonenkugeln fuhren ins Wasser, ohne Schaden anzurichten, aber die meisten trafen ihr Ziel – das führende Schiff – mit tödlicher Präzision. Jubel wurde laut, als das Hordeschiff in sich zusammensank.

Doch da setzten sich die Planken plötzlich wieder zusammen. Offenbar konnte die Besatzung dieser Schiffe nicht nur auf die Dienste von erfahrenen Schamanen setzen, sondern auch auf die von erfahrenen Druiden. Varian fluchte, dann kletterte er rasch die Takelage hinab. Die letzten paar Meter legte er mit einem Sprung zurück.

„Hexenmeister, macht euch bereit!“, rief er. Wenn die Dienste jener nötig wurden, die mit Dämonen zusammenarbeiteten, fühlte er sich immer etwas unbehaglich, auch dann, wenn es zum Wohle der Allianz geschah. Doch er wusste: Sie beherrschten gewisse Zauber – und obendrein gewisse Kreaturen –, die sich nun als äußerst hilfreich erweisen konnten. Ihre in Schwarz und Violett und anderen dunklen Farben gehaltenen Roben flatterten um ihre Leiber, als die Hexenmeister an die Reling eilten. Dann hoben sie in vollendetem Gleichklang die Arme und stimmten ihre misstönenden Beschwörungen an.

Feuer regnete vom Himmel auf das ohnehin schon beschädigte Hordeschiff herab, ein steter, unwiderstehlicher Regen, und kleine, gackernde Dämonen, die unter dem Namen Wichtel bekannt waren, tanzten über das feindliche Schiff und schleuderten dabei Flammen um sich. Diese Zerstörung anzurichten schien nicht nur eine Aufgabe für sie zu sein, sondern ihnen obendrein auch noch wirklich Spaß zu machen.

„Magier!“, brüllte Varian nun, die Augen weiter fest auf das feindliche Schiff gerichtet. Gewaltige Feuerbälle mischten sich in den unablässigen tödlichen Flammenregen, und als dann auch wieder die Kanonen grollten, war die Belastungsgrenze des Schiffes überschritten. Es brach entzwei, und Varian sah voller Genugtuung, wie zahlreiche Soldaten der Horde mit hektischen Bewegungen ins Wasser der Bucht sprangen. Die meisten von ihnen gingen aber mit dem Schiff unter.

Siegreich wendete die Wellenlöwe, als die Schamanen die Winde beschworen, sich zu drehen. Danach richtete sich ihr Bug auf das nächste Feindesschiff. „Einer hin, drei im Sinn!“, krähte Telda. „Kommt schon, ihr Helden und Heldinnen! Heute Abend schlag’n wir uns in Orgrimmar die Bäuche voll!“

Einen Moment später senkte sich plötzlich ein grauer Nebel über das Schiff.

Varian fluchte. Das war das Werk von Schamanen. Doch seine Hexenmeister reagierten bereits und schickten grün glühende Bälle nach oben, über den heraufbeschworenen Dunst hinweg. Anschließend meldeten sie, was sie sahen. Eine von ihnen, eine Menschenfrau, die viel zu jung für ihr weiß schimmerndes Haar zu sein schien, das ihre Schultern umschmiegte, rief Varian zu: „Majestät – irgendetwas tut sich im Ozean, aber ich kann nicht genau erkennen, was es ist.“

Erneut erklang Kanonendonner, doch diesmal konnte Varian nicht sagen, wer feuerte und wer unter Beschuss stand. Dann aber hörte er ein grausiges, knirschendes Geräusch. Es war nicht das Knarzen, mit dem sich das Deck unter dem Feuer von Kanonen aufbäumte, sondern etwas anderes, Schreckliches, irgendwo dort draußen, wo er es nicht erkennen konnte. Doch eines wurde ihm nun schlagartig klar: Die Truppen der Horde mochten seiner Flotte zahlenmäßig unterlegen sein, doch sie waren viel gefährlicher, als er gedacht hatte.

25

Es dauerte lange – länger, als es Jaina lieb war, aber sie wusste, dass sie gründlich sein musste. Antonidas hatte ihr das beigebracht: Man durfte beim Erlernen eines Zaubers nicht überhastet vorgehen, da man sonst riskierte, dass er fehlging. Im besten Fall bedeutete dies, dass gar nichts geschah, wenn man ihn einsetzte, und im schlimmsten Fall, dass man eine Katastrophe auslöste. „Es ist genauso gefährlich, als würde man mit einer Waffe, die man zum ersten Mal in der Hand hält, in die Schlacht ziehen“, hatte er mahnend erklärt.

Darum setzte sich Jaina auf einen der kleinen Hügel des Prügeleilands und las noch einmal alles durch, was ihr das gestohlene Buch über die Fokussierende Iris sagen konnte. Dabei überflog sie auch einen Abschnitt, in dem stand, dass die arkane Energie so viel Ähnlichkeit mit den gewöhnlichen Elementen hatte, dass man sie nach magischen Gesichtspunkten eigentlich auch zu diesen hinzurechnen konnte. Plötzlich musste sie daran denken, was ihr Kalec über die Magie beigebracht hatte – dass es eine logische, präzise Wissenschaft war. Während sie weiterlas, streckte sie abwesend die Hand aus und strich über die Oberfläche der Fokussierenden Iris, die sich selbst hier noch, in der Hitze der Sonne, kühl anfühlte.

Sie hatte bereits einige Experimente mit dem Artefakt durchgeführt, und bislang waren sie alle erfolgreich gewesen; allein schon, dass die Kugel nun auf eine so handliche Größe zusammengeschrumpft war, bezeugte dies. Doch nach ihrer Ankunft auf der Insel war es an der Zeit gewesen, sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen und mit anderen Tests zu beginnen. Zwei Tage lang hatte sie kaum geschlafen und nur gegessen, was sie sich herbeizauberte. Es war schwer, ihre Ungeduld zu unterdrücken, aber ihre kleinen Erfolge spornten sie an. Und nun spürte sie endlich, dass sie bereit war. Kurz darauf sah sie aus zusammengekniffenen Augen, wie die meisten der Schiffe von der Feste Nordwacht aufbrachen. Vermutlich segelten sie nach Orgrimmar, überlegte sie. Die Vorstellung erfüllte sie mit Vorfreude.