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„Du zögerst das Unausweichliche nur hinaus“, zischte die Magierin, während ihre Hände Muster in die Luft malten, und plötzlich explodierte rings um sie lavendelweiße arkane Energie. Während sie nun vor Schmerzen heulten, kehrten die Wölfe in die Existenzebene zurück, aus der Thrall sie herbeigerufen hatte. „Du kannst mich nicht besiegen. Nicht, solange ich die Fokussierende Iris besitze. Sie …“ Ohne Vorwarnung verwandelte sich ihr Zorn in Schmerz. „Du kannst das nicht verstehen. Du hast es nicht gesehen. Du weißt nicht, was sie Theramore angetan haben – und mir …“

Sie so leiden zu sehen war Thrall noch unerträglicher als ihr Zorn. Jaina war eine einzige offene Wunde, die denjenigen wehtun wollte, die ihr dieses Leid zugefügt hatten. Mehr noch, sie wollte all jenen wehtun, die ihr Hoffnung geschenkt hatten. Tiefes Mitgefühl breitete sich in ihm aus, doch an seiner Entschlossenheit konnte sie keinen Augenblick lang rütteln.

„Du hast recht“, sagte er, woraufhin sie überrascht zu ihm hinüberblickte. „Ich war nicht dort. Aber ich kann sehen, was aus dir geworden ist. Was Garrosh dir angetan hat. Kämpfe gegen Garrosh! Ich werde dich nicht aufhalten. Aber lass nicht zu, dass Unschuldige – es sind Kinder, Jaina, Kinder! – den Preis mit ihrem Blut bezahlen! Du würdest nicht nur sie töten; du würdest die ganze Zukunft töten!“

„Für die, die unter Qualen in Theramore gestorben sind, gibt es auch keine Zukunft mehr“, schnappte Jaina zurück. „Warum sollten die Orcs eine Zukunft bekommen, wenn mein Volk keine hat? Wenn Kinndy und Tervosh und all die anderen guten, rechtschaffenen Bewohner von Theramore tot sind?“ Die nächsten Worte schienen mehr ihr selbst zu gelten als Thrall. „Warum sollte irgendjemand dann noch eine Zukunft haben?“

In diesem Augenblick riss sich die Welle los.

Der Orc krümmte den Rücken und warf die Hände über den Kopf. Seine Muskeln schrien gequält, und seine brennenden Lungen rangen um Atem, als er all seine Stärke mobilisierte, um die Woge zurückzuhalten.

Der Kamm der Welle ragte schon gefährlich weit vor, aber dann verharrte sie, ebenso heftig bebend wie Thrall unter den Kräften, die auf sie einwirkten. Luft und Wasser rangen miteinander, in einem Kampf, den keines der Elemente wirklich wollte, und das Beben der Woge nahm noch zu. Thrall konnte keinen Gedanken, keine Handbewegung mehr an seine eigene Verteidigung verschwenden, spürte nur noch, wie sich das Wasser loszureißen versuchte, wie der Wind dagegen anblies und es zurückhielt.

Er selbst war nun auf Gedeih und Verderb einer Frau ausgeliefert, die nur ein paar Meter entfernt stand, die er einst „Freundin“ genannt hatte, die nun aber mit aller Macht versuchte, zur Verkörperung des Todes zu werden.

„Ruf die Luft zurück, Thrall!“, brüllte Jaina. Eine ihrer Hände ruhte noch immer auf der Fokussierenden Iris, die andere zog sie nun an den Körper, und dann begann die arkane Energie auch schon um sie herumzuwirbeln. Ihre Robe und ihr weißes Haar bauschten sich auf. „Oder ich werde dich hier und jetzt töten! Verlieren wirst du so oder so!“

„Dann töte mich!“, keuchte der Schamane. „Streck mich nieder! Kehre allem den Rücken, was dir einst Vertrauen und Mitgefühl schenkte! Denn solange ich noch Atem in mir habe, werde ich nicht zulassen, dass diese Welle Orgrimmar zerstört!“

Einen Moment lang schien es so, als ließe Jainas Entschlossenheit nach. Doch dann verhärtete sich ihr Gesicht.

„So sei es“, murmelte sie und sammelte die Energie in ihrer Hand.

Da fiel ein Schatten über sie beide, und ehe Thrall und Jaina sichs versahen, landete auch schon eine gewaltige reptilienhafte Gestalt im Sand und schob ihren massigen blauen Leib zwischen den Orc und die Menschenfrau. „Jaina! Nicht!“, rief sie.

Thrall konnte es nicht glauben. Kalecgos – hier! Wie hatte er sie nur gefunden? Doch noch im selben Moment fiel ihm die Antwort auf diese Frage auch schon ein. Der blaue Drache hatte nach der Fokussierenden Iris gesucht. Nun war diese Suche zu Ende: Der Drache hatte sowohl das Artefakt als auch seine grausame Meisterin gefunden. Erleichtert, dass er jetzt einen Verbündeten auf seiner Seite hatte, konzentrierte der Orc einmal mehr seine ganze Energie darauf, die schäumende, bebende Flutwelle zurückzuhalten.

Jaina taumelte, als Kalecgos vor ihr landete. „Geh zur Seite!“, fauchte sie, noch während sie versuchte, sich von ihrer Überraschung zu erholen. Dabei bemerkte sie kaum, dass sie ihn duzte. „Das ist nicht dein Kampf!“

Er verwandelte sich zwar in seine Halbelfenform, stand aber noch immer zwischen ihr und Thrall. „Oh doch, das ist es“, sagte er, und nun duzte auch er sie. „Die Fokussierende Iris gehört nicht dir, sondern dem blauen Drachenschwarm. Sie wurde uns gestohlen und für einen feigen und schrecklichen Angriff missbraucht. Ich kann und will nicht zulassen, dass so etwas noch einmal geschieht.“

„Was ich tue, ist nicht feige!“, schrie Jaina. „Es ist gerecht! Du bist nach Theramore zurückgekehrt, Kalec. Du hast gesehen, was dort geschah. Du kanntest sie nicht so gut wie ich, aber die Leidende und Tervosh und K-kinndy – sie waren auch deine Freunde! Nichts außer Staub war noch von ihnen übrig, Kalec. Staub!“

Bei diesem letzten Wort kippte ihre Stimme. Er machte keinerlei Anstalten sie anzugreifen, wohingegen sie noch immer in Kampfhaltung dastand, die Hand fest auf der Fokussierenden Iris.

„Auch ich habe die verloren, die ich liebe“, entgegnete er. „Ich verstehe also zumindest einen Teil deines Schmerzes.“ Er machte einen Schritt auf sie zu und streckte beschwörend die Arme aus.

„Halt! Rühr dich nicht von der Stelle!“ Wieder knisterte arkane Energie um ihren Körper. „Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle!“

„Bist du da so sicher?“ Kalec war stehen geblieben, aber nicht zurückgewichen. „Dann sag mir, ob dir das vertraut vorkommt: Zunächst kann man es gar nicht begreifen, dann kommen die Schuldgefühle, aber auch die Zweifel und die Taubheit, weil man noch immer nicht in der Lage ist, es ganz und gar zu verarbeiten. Man kann sich nur Stück für Stück damit auseinandersetzen, so, als würde man den Vorhang vor dem Fenster der Seele Zentimeter um Zentimeter zurückziehen. Und jedes Mal, wenn einem aufs Neue klar wird, dass man diese geliebte Person niemals wiedersehen wird, erfasst einen dieser merkwürdige Schock – wieder und wieder und wieder. Und dann kommt der Zorn. Der Hass. Der Wunsch, denjenigen wehzutun, die dir wehgetan haben. Die zu töten, die jenes geliebte Wesen getötet haben. Aber weißt du was, Jaina? So löst es sich nicht! Was ändert sich, falls du das tust und Orgrimmar unter dieser Welle begraben wird? Wird Kinndy in Theramore auf dich warten, wenn du zurückkehrst? Wird Tervosh wieder in seinem Kräutergarten stehen und Unkraut jäten? Wird die Leidende wieder ihr Schwert schärfen und dabei finster vor sich hin blicken, wie sie es so gerne tat? Jaina, keiner von ihnen wird zurückkommen.“

Ihr Herz zog sich vor Qualen zusammen. Sie wollte nicht auf seine Worte hören, denn alles, was er sagte, war so schrecklich wahr. Sie durfte sich nicht eingestehen, dass er recht hatte, denn dann musste das Feuer des Zorns in ihr erlöschen.

„Nun, dann sollen sie zumindest Gesellschaft bekommen“, schnappte sie.

„In diesem Fall solltest du bereit sein, dich ihnen bald ebenfalls anzuschließen“, fuhr Kalec unbeirrt fort, „denn ich weiß, du könntest nicht mehr mit dir selbst leben, wenn du es tatsächlich tust. Jaina – all die Dinge, die ich beschrieben habe, habe ich durchlitten. Ich habe sie so tief, so intensiv gefühlt, dass ich nicht wusste, wie mein Herz es überhaupt noch ertragen konnte weiterzuschlagen. Ich weiß, wie es sich anfühlt. Und … ich weiß auch, dass diese Wunde geheilt werden kann. Es dauert lange, und es geschieht nur Stück für Stück, aber sie kann verheilen. Es sei denn, du gibst nach und tust etwas, von dem du dich nie wieder erholen wirst. Und glaub mir – falls du diese Welle nach Orgrimmar schickst, wirst du innerlich so tot sein wie diejenigen, um die du angeblich trauerst.“