„Die Vorfahren sind uns gewogen!“, rief Garrosh. „Ich wusste, du würdest heute sterben, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich der Glückliche wäre, der die Gelegenheit bekommt, dich auszuweiden!“
„Ich bin überrascht, dass du überhaupt den Mut hattest, auf mein Schiff zu kommen“, knurrte Varian. „Seit unserer letzten Begegnung hast du dich in einen Feigling verwandelt. Erst lässt du Magnatauren die Drecksarbeit für dich erledigen, dann Elementarwesen und jetzt Kraken. Was hast du getan, nachdem du die Manabombe auf Theramore abgeworfen hattest – bist du davongerannt und hast dich versteckt? Ich bin sicher, du warst weit vom Schlachtfeld entfernt!“
Blutschrei sang zur Antwort, als die Axt in einem tiefen Bogen vorsauste, um Varians Beine zu durchtrennen. Der Mensch sprang über die Klinge hinweg und wirbelte noch in der Luft herum, doch beinahe hätte er seinen Kopf verloren, als Garrosh seine Waffe auf dem Rückschwung nach oben riss.
„Und du bist langsamer als bei unserer letzten Begegnung“, zischte der Orc. „Du wirst alt, Varian. Vielleicht hättest du deinem weinerlichen Sohn den Thron überlassen sollen. Wenn die Kraken deine mächtigen Schiffe erst in Feuerholz verwandelt haben, werde ich nach Sturmwind marschieren, und dann werde ich mir deinen kleinen Jungen schnappen, ihn in Ketten schlagen lassen und an einer Leine durch die Straßen von Orgrimmar führen!“
Er hatte gehofft, den Menschen durch diese Worte so zu erzürnen, dass er vor Wut die Beherrschung verlor und wild vorstürmte, anstatt weiter besonnen zu kämpfen. Doch zu seiner Verwirrung grinste Varian nur, während er sich unter dem Axthieb hinwegduckte und seinen nächsten Schlag plante. „Anduin würde dich überraschen“, sagte er. „Selbst Friedliebende hassen Feiglinge.“
Plötzlich war Garrosh dieser spöttischen Beleidigungen überdrüssig. „Dreimal haben wir die Klingen gekreuzt“, schnaubte er, „und das ist dreimal zu viel. Du wirst heute sterben – und mit dir alle, die du liebst.“ Er schnellte vor und schwang Blutschrei, doch Varian wich tänzelnd vor ihm zurück. Garrosh setzte ihm nach. Jeder Gedanke an Finesse oder Taktik war nun vergessen. Die Welt schrumpfte zusammen, bis es nur noch diesen Menschen und seinen bevorstehenden Tod gab. Die Waffen der beiden prallten erneut gegeneinander, ebenso wie ihre Körper. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter voneinander – da wurden sie unvermittelt in die Luft geschleudert.
Garrosh ruderte wild mit den Armen, und nur durch schiere Willenskraft gelang es ihm, Blutschrei festzuhalten. Er landete hart auf dem Deck, dann wurde aus der Waagerechten plötzlich eine Schräge, und er rutschte nach unten, während ein gewaltiges berstendes Geräusch in seinen Ohren widerhallte. Einen Moment später fiel er der blauen Oberfläche des Ozeans entgegen. Seine eigene Rüstung wurde nun zum Feind, und er sank wie ein Stein in die Tiefe, während ihn die Trümmer der Wellenlöwe auf dem Meeresboden festzunageln drohten.
Doch er hatte nicht vor, sich in diesen scheinbar so sicheren Tod zu fügen. Die Axt seines Vaters noch immer in der Hand, nutzte er die Schiffsteile, die an ihm vorbeisanken, zu seinem Vorteil und begann an den Trümmern nach oben zu klettern. Seine Lungen brannten, doch er kämpfte sich weiter, das Gesicht nach oben gewandt, dem Licht entgegen, bis er schließlich durch die Oberfläche stieß und heftig hustend die süße Luft einatmete.
Hände streckten sich ihm entgegen und zogen ihn aus dem Wasser, hin zu der Strickleiter, die man an der Seite eines der Hordeschiffe – er wusste nicht, welches es war – hinabgelassen hatte. Er kletterte nach oben und stolperte, Blutschrei fest umklammernd, auf das Deck.
„Kriegshäuptling!“ Es war Malkorok, der ebenfalls überlebt hatte. Die beiden schlossen ihre Hand um den Arm des anderen.
„V-varian“, keuchte Garrosh. „Was ist mit ihm geschehen?“
„Ich weiß es nicht“, gestand der Schwarzfelsorc. „Aber seht!“
Während er noch immer Salzwasser aushustete, drehte sich Garrosh um und folgte Malkoroks ausgestrecktem Finger mit den Augen. Der Anblick ließ seine Brust vor Stolz anschwellen.
Wohin er auch sah, trieben zerborstene oder brennende Allianzschiffe im Wasser, und die übrigen versuchten verzweifelt, die Kraken anzugreifen. Die Trümmer Dutzender Wracks tanzten auf den Wellen. Garrosh warf den Kopf zurück und brüllte truimphierend.
„Seht die Macht der Horde!“, schrie er. „Vier Schiffe gegen Dutzende! Und wir sind es, die den Sieg davontragen! Für die Horde! Für die Horde!“
Kalecgos hielt Jaina sanft in seiner rechten Vorderpfote, während sie die Fokussierende Iris dicht an ihren Körper presste. Sie flogen nach Norden, denn auch wenn Jaina nicht genau wusste, warum sie die Hauptstadt der Horde so unbedingt sehen wollte, schien Kalec doch ausreichend von der Aufrichtigkeit ihres Gesinnungswandels überzeugt, um kein einziges Wort des Protests von sich zu geben. Wollte sie sich davon überzeugen, dass es wirklich noch Unschuldige in Orgrimmar gab, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war? Oder hoffte sie, irgendwo Garrosh zu erspähen und ihn in tausend Stücke zu zerfetzen? Jaina konnte es selbst nicht sagen.
Die Wasserelementare, die noch immer an sie gebunden waren, eilten gehorsam unter ihnen dahin. Ohne Schwierigkeiten schienen sie mit dem raschen Tempo des Drachen mitzuhalten, der noch nicht verlangt hatte, dass Jaina sie wieder freiließ; und auch die Iris hatte er nicht zurückgefordert. Für dieses unausgesprochene, aber doch so offensichtliche und so unerschütterliche Vertrauen war sie Kalec dankbarer, als er auch nur ahnen konnte.
Sie eilten dahin, vorbei an den Echoinseln, und als sie auch die Schipperküste passierten, beschwor Jaina noch ein paar weitere, unkontrollierbar wütende Elementarwesen, die sich ihren wässrigen Artgenossen anschlossen. Die Wracks, die sie dort unter sich sah, waren zwar alt, dennoch erfüllte ihr Anblick die Lady von Theramore mit Sorge, und sie wünschte sich, zu wissen, wo Varian die Horde angreifen wollte.
Der Wunsch wurde ihr gewährt, als sie sich der Messerfaust-Küste näherten. Jaina keuchte, ihre Augen weiteten sich vor Schrecken. Die Flotte! Sie hatte gedacht, die Allianz würde die Mondfederfeste oder die Dunkelküste angreifen, aber nein, hier war sie. Hier … und in größter Bedrängnis.
Ich hätte sie zerstört, schoss es ihr durch den Kopf. Hätte ich die Flutwelle losgeschickt … hätte ich nicht nur Orgrimmar vernichtet, sondern auch die gesamte Flotte der Allianz.
Bei diesem Gedanken überkam sie ein Gefühl der Übelkeit, aber sie spürte Thrall und Kalecgos gegenüber auch Dankbarkeit. Doch jetzt war nicht die Zeit, sich schwach und machtlos zu fühlen. Sie musste handeln, denn Varians Flotte wurde nicht nur von ein paar Kriegsschiffen der Horde attackiert – es schien, als hätte Garrosh auch mehrere Kraken herbeigerufen, um sich seiner Feinde zu entledigen. Wie schon bei der Feste Nordwacht, wo er geschmolzene Riesen eingesetzt hatte, und in Theramore, wo er die Manabombe gezündet hatte, griff er wieder einmal auf Hilfsmittel zurück, und ob er dabei nun die Wesen der natürlichen Welt oder magische Objekte manipulierte, sein Verhalten war und blieb feige und respektlos.
„Flieg näher heran!“, rief sie Kalecgos zu, den sie auch jetzt noch duzte. Der Drache winkelte die Flügel an und stürzte dem Meer entgegen, und erst im letzten Moment breitete er die Schwingen wieder aus, sodass ihre Spitzen mit Salzwasser besprenkelt wurden, als sie sanft über die Wellen streiften. Jaina hielt die Fokussierende Iris fest in einer Hand, dann malte sie mit der anderen Muster in die Luft und flüsterte eine Beschwörungsformel.
Varian wischte sich die Mähne nassen Haares aus den Augen, die vom Salzwasser brannten, und während er sich an die Trümmer eines Schiffes klammerte – welches, konnte er nicht sagen –, versuchte er, die Lage einzuschätzen.
Inzwischen waren zahlreiche Schiffe der wütenden Umarmung der Kraken zum Opfer gefallen und untergegangen, und die Matrosen, die ins Wasser gestürzt waren, versuchten, zu einem der intakten Schiffe oder zur Küste hinüberzuschwimmen. Doch vor den Augen des hilflosen Königs wurden sie von glänzenden, schleimigen Tentakeln gepackt und in die hungrigen Mäuler der Meeresungeheuer gezerrt.