»Finden Sie eine Lösung, Sir. Das ist doch die Aufgabe eines Regierungschefs, nicht wahr?«
Senator Navarro seufzte und kniff für einen Moment die Augen zu, die er zusätzlich noch mit seiner Hand bedeckte. »Wir müssen …«
Was immer er auch hatte sagen wollen, er wurde dabei von Senatorin Suva unterbrochen. Ihr Blick hatte etwas Kühles, Berechnendes, und was sie ohne Gefühlsregung sagte, versetzte Geary sogar noch mehr in Erstaunen. »Admiral, Sie sprachen davon, dass diese Anklagen niemals hätten erhoben werden sollen, und dass sie zwar formal korrekt sind, die Auswirkungen auf die Flotte dabei aber nicht in Erwägung gezogen wurden.«
»Ja, Madam Senatorin.«
»Betrachten wir Admiral Geary als eine Autorität auf diesem Gebiet?«, fragte Suva die anderen Senatoren auf eine Weise, die mehr nach einer rhetorischen Frage klang. »Ja? Dann müssen wir daraus folgern, dass uns schwerwiegende Beweise dafür vorliegen, dass die Anklageerhebung nicht ordentlich verlaufen ist. Jede Maßnahme, die solch gravierende Konsequenzen für die Verteidigungsfähigkeit der Allianz nach sich zieht, hätte mit dem Allianz-Senat in seiner Funktion als höchster Autorität für militärische Angelegenheiten abgestimmt werden müssen, bevor irgendwelche Schritte in die Wege geleitet wurden.«
Navarro ließ seine Hand sinken und sah Suva an. »Die Anklagen kamen durch einen fehlerhaften Prozess zustande.«
»Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass das der Fall ist.« Es hörte sich nicht so an, als sei sie von ihren eigenen Worten überzeugt, aber Geary schwieg und wartete ab, was die Politiker vorhatten.
»Dann ist es unsere Pflicht, diesen Prozess neu aufzurollen und ihn zu analysieren«, folgerte Navarro. »Wir müssen sicherstellen, dass keine Fehler gemacht und alle entscheidenden Faktoren berücksichtigt wurden. Derart schwerwiegende Anschuldigungen dürfen nicht irrtümlich erhoben werden.« Er wandte sich zu Geary um. »Wir können und wir werden diese Verfahren aussetzen, solange die Entscheidungen und Abläufe gründlich überprüft werden, die zu diesen Anklagen geführt haben.«
Geary zögerte. »Falls die zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftauchen sollten …«
»Das wird nicht geschehen, auch wenn Sie das von uns nicht schriftlich bekommen werden.«
»Aber wenn diese Offiziere von der Regierung für ihr Handeln belobigt werden und dabei ausdrücklich erwähnt wird«, meldete sich Sakai nachdenklich zu Wort, »dass sie das trotz bedenklich geringer Brennstoffvorräte geschafft haben, die sie nicht zu verantworten hatten, dann würde das jedem Versuch die Grundlage entziehen, sie wegen dieser Handlungen vor ein Kriegsgericht stellen zu wollen.«
»Richtig.« Navarro musste lächeln. »So werden wir das machen, Admiral Geary. Das schwöre ich bei der Ehre meiner Vorfahren.«
Suva, die immer noch eine auffallend neutrale Miene wahrte, deutete mit einer Kopfbewegung auf Geary. »Nehmen Sie eine Mitteilung auf, Admiral. Teilen Sie der Flotte sofort mit, dass die Anklagen fallen gelassen werden. Wir können eine Übertragung nach draußen schicken und für Ruhe sorgen.«
Hastig legte er sich einige Worte zurecht, von denen er hoffte, dass sie genau das waren, was Desjani und Timbale benötigten, um Ruhe einkehren zu lassen. »Hier spricht Admiral Geary. Die Regierung stimmt zu, dass die gegen die Offiziere der Flotte vorgebrachten Anklagen jeder Grundlage entbehren. Sie werden zurückgezogen. Ich befinde mich derzeit noch in einer Besprechung mit der Regierung, daher kann ich nicht auf üblichem Weg Kontakt aufnehmen, dennoch gehe ich davon aus, dass jeder die Befehle und Anweisungen befolgt, die von Captain Desjani an Sie weitergeleitet werden. Jedes Schiff, das seinen ursprünglichen Orbit verlassen hat, kehrt unverzüglich dorthin zurück. Alle Schiffe nehmen Abstand von jeglichen Handlungen, die den Befehlen, Regeln und Vorschriften widersprechen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Suva betätigte ihre Kontrollen, damit die Sicherheitsbarrieren für den winzigsten Bruchteil einer Sekunde abgeschaltet wurden, den der Impuls benötigte, um die Nachricht nach draußen zu senden.
Das sollte eigentlich genügen, um die Gemüter zu beruhigen, aber mit Gewissheit ließ sich das erst sagen, wenn er diesen Raum wieder verlassen konnte. Genauso ungewiss war für ihn, was sich hinter der Tatsache verbergen mochte, dass ihm solche anscheinend ernst gemeinten Zugeständnisse gemacht worden waren. Der Große Rat hatte ihm schon zuvor Dinge zugesichert und sich auch ganz exakt an diese Zusicherungen gehalten, während gleichzeitig geplant wurde, wie sich die erklärte Absicht dennoch umgehen ließ. Warum waren die Senatoren jetzt so schnell eingeknickt, nachdem sie sich so lange Zeit gegen alles gesträubt hatten? Und wieso war es ausgerechnet Suva, die ein Argument vortrug, mit dem sich ein Einschreiten der Regierung rechtfertigen ließ, wenn sie doch Minuten zuvor noch so sehr gegen jede Form der Intervention gewesen war?
»Gut«, sagte Navarro recht energisch. »Wenn wir uns dann dem eigentlichen Grund für dieses Treffen widmen könnten …«
»Senator«, unterbrach Sakai ihn. »Es gibt da noch etwas, das klargestellt werden muss. Zuvor hat Admiral Geary erklärt, dass er den Dienst in der Flotte quittiert.«
»Oh. Stimmt ja. Ist diese Erklärung widerrufen, Admiral?«
Geary atmete langsam aus. »Jawohl, Sir. Ich widerrufe hiermit meine Erklärung, dass ich den Dienst quittiere.«
»Gut.« Navarro ließ ein paar Sekunden verstreichen, in denen er den kleinen Raum betrachtete. »Bedauerlicherweise ist eine Barriere durchbrochen worden. Ihre Fähigkeit, die Regierung unter Druck zu setzen, ist damit publik geworden, zumindest in diesem Kreis hier. Ich hoffte, wir können zukünftig auf Ihre Loyalität gegenüber der Allianz und auf Ihr Ehrgefühl zählen, um sicherzustellen, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholt.«
»Dass es diesmal geschehen ist, ging nicht auf meine Veranlassung zurück, Sir«, erwiderte Geary so förmlich, dass es ihm sogar selbst auffiel. Er hatte ein schlechtes Gewissen, und obwohl er wusste, dass er das aus gutem Grund hatte, sträubte er sich dennoch dagegen.
»Natürlich nicht.« Navarro tippte auf verschiedene Kontrollen, daraufhin zeigte das Display eine Region des Alls an, die Geary seit Kurzem vertraut war. »Wir haben eine sehr wichtige Mission für Sie, Admiral. Es existiert ein Problem auf der von uns abgewandten Seite des Syndik-Gebiets; ein Problem, auf das Sie gestoßen sind. Senator Sakai hat sich sehr ins Zeug gelegt, um uns zu versichern, dass Sie im Umgang mit diesen Aliens die angemessenen Maßnahmen ergriffen haben, aber wir wissen nicht, wie nachhaltig die Maßnahmen auf besagte Aliens gewirkt haben. Genau genommen wissen wir so gut wie nichts über die Aliens, und gerade das muss sich ändern.«
Geary konnte nur zustimmend nicken.
»Sie werden mehr über die Aliens herausfinden, Admiral«, fuhr Navarro fort und deutete auf das Display. »Ihr Befehl lautet, dorthin zurückzureisen, diesmal aber nicht an der Grenze zwischen den Syndiks und den Aliens haltzumachen, sondern in das von ihnen beanspruchte Gebiet vorzudringen. Da uns zumindest bekannt ist, was zahlreichen Syndik-Schiffen durch die Aliens zugefügt wurde, werden Sie mit einer großen Streitmacht vorrücken. Sie werden das Kommando über die neu aufgebaute Erste Allianz-Flotte übernehmen.« Jetzt war deutlich zu erkennen, dass er einen Text ablas, der vor ihm projiziert wurde. »Nachdem Sie das Kommando übernommen haben, werden Sie umgehend die Planung für eine umfassende Expedition in Angriff nehmen und in die Tat umsetzen, um diese fremde Rasse zu erforschen, der kürzlich nachgewiesen werden konnte, dass sie Sternensysteme auf der abgelegenen Seite des Territoriums der Syndikatwelten bevölkern. Ihre Aufgabe ist es, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um alles über die Schlagkraft, die Fähigkeiten und Charakteristiken dieser fremden Rasse in Erfahrung zu bringen. Gleichzeitig obliegt es Ihnen, alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Feindseligkeiten zu vermeiden. Es ist von äußerster Wichtigkeit zu erfahren, wie weit sich das von den Aliens besetzte Gebiet erstreckt, weshalb Ihr Auftrag auch die Aufgabe umfasst, die Parameter dieser Region zu bestimmen. Ferner werden Sie versuchen, Kontakt mit den Aliens aufzunehmen, wobei Sie aber die Umstände oder Gebräuche respektieren werden, die die Aliens dazu veranlassen, so verschlossen zu agieren. Und wenn es sich in irgendeiner Weise arrangieren lässt, werden Sie mit den Aliens Vereinbarungen mit dem Ziel aushandeln, weitere Feindseligkeiten zu vermeiden. Dabei werden Sie zugleich sicherstellen, dass wir uns nicht unserer Fähigkeit berauben, auch zukünftig Maßnahmen zur Verteidigung der Allianz zu ergreifen.«