»Das sehe ich leider auch so.« Geary aktivierte sein eigenes Display. »Mal sehen, ob wir hier fündig werden. Suchen: Führer … nein, Herrscher … kämpft … jenseits … der Grenze.« Eine extrem lange Liste an Ergebnissen wurde angezeigt. »Na, großartig. Und wie soll ich mich da durchwühlen?«
Desjani beugte sich vor und zeigte auf einen Eintrag. »Marcus Aurelius? Was für ein seltsamer Name. Und wie alt dieses Zitat ist. Römischer Imperator. Was ist ein Römischer Imperator?«
»Was war ein Römischer Imperator?«, korrigierte Geary sie und sah sich die Daten an. »Das ist sehr lange her. Das ist noch die Alte Erde. Aber was hat das zu tun mit meiner … Halt. Er war Herrscher über ein Imperium, der seine Zeit damit verbrachte, an den Grenzen zu kämpfen.«
»Klingt, als hätten wir einen Treffer gelandet.«
»Wollen wir’s hoffen.« Er las den Eintrag weiter. »Er war offenbar auch eine Art Philosoph. ›Wenn es nicht richtig ist, dann tu es nicht. Wenn es nicht wahr ist, dann sag es nicht‹, wird er hier zitiert.«
»Er hat gut reden«, beklagte sich Desjani. »Damit Sie das richtige tun können, müssen Sie verdammt gut darauf achten, was Sie sagen. Vielleicht war das in der Zeit des Römischen Imperiums einfacher. Da spielte sich alles auf einem einzelnen Planeten ab. Sogar nur auf einem Teil eines einzelnen Planeten. Wie kompliziert kann es da schon zugegangen sein?«
»Ich würde sagen, das hängt ganz davon ab, wie sehr sich die Menschen seitdem verändert haben – oder ob sie sich überhaupt verändert haben. Dieser Aurelius musste an den Grenzen seines Imperiums kämpfen, um dessen Sicherheit zu gewährleisten«, überlegte Geary. »Währenddessen haben seine Untergebenen zu Hause die Amtsgeschäfte weitergeführt. Das ist unsere Antwort. Alle sagen, ich bin der Einzige, der mit diesen Aliens klarkommen kann, also erzählen wir, dass ich mich auf den Weg machen muss, während meine vertrauenswürdigen Agenten innerhalb der Allianz meine Befehle ausführen.«
»Sehr geschickt«, lobte ihn Desjani. »Und die Identität dieser Agenten muss geheim bleiben?«
»Aber natürlich.« Er sagte es jedoch in einem so missmutigen Tonfall, dass er damit wieder einen warnenden Blick einfing.
»Admiral Geary, Sie führen damit nur die Leute in die Irre, die ansonsten nur für Unruhe und Probleme sorgen würden. Jetzt ziehen Sie Ihre Uniform glatt.«
»Die sitzt gut …«
»Sie sind ein Admiral, und Sie müssen sich von Ihrer besten Seite zeigen. Außerdem möchte ich nicht, dass Sie beim Verlassen des Shuttles so aussehen, als hätte ich Sie begrapscht.«
»Jawohl, Ma’am.«
Abermals sah sie ihn an und verdrehte die Augen, während sie aufgebracht schnaubte.
Nachdem das Shuttle im Hangar aufgesetzt hatte, ging er die Rampe hinunter und betrat eines der Decks der Dauntless. Das weckte die Erinnerung an all die Ereignisse, die sich an Bord dieses Schiffs abgespielt hatten. Gearys letzte Worte zu Admiral Bloch, bevor der sich auf den Weg in sein Verderben machte; die erste Begegnung mit Männern und Frauen der Allianz, die aus Arbeitslagern der Syndikatwelten befreit worden waren; seine überhastete Abreise vier Wochen zuvor, mit der er einer erneuten Beförderung und neuen Befehlen entflohen war, um Desjani einzuholen.
Dass sie ihre Ankunft so kurz vor ihrem Eintreffen angekündigt hatten, schien die Crew der Dauntless nicht in Angst und Schrecken versetzt zu haben. Eine perfekt angeordnete Garde empfing Geary mit allen ihm gebührenden Ehren, als er das Deck betrat. Aus den Lautsprechern überall an Bord ertönte die Durchsage: »Admiral Geary eingetroffen.« Er hob den Arm, der sich eben von der Anstrengung zu erholen begonnen hatte, und erwiderte den Salut.
Als Desjani nach ihm die Rampe verließ, wurde auch sie mit allen Ehren empfangen, gefolgt von der Ankündigung: »Dauntless, eingetroffen.« Alten Traditionen entsprechend, die die befehlshabenden Offiziere von Kriegsschiffen betrafen, wurde Desjani bei derartigen Anlässen mit dem Namen ihres Schiffs bezeichnet.
Geary blieb stehen und wartete auf sie, während sein Blick über die versammelten Offiziere des Schiffs wanderte, ebenso über die Reihen der Matrosen und Marines dahinter, die den Rest der Crew repräsentierten. Sie sahen alle gut aus, nein, sogar besser als gut. Ihm wurde bewusst, dass er beim Anblick seiner Leute zu lächeln begonnen hatte. Das Lächeln behielt er bei, weil er wusste, dass sie alle seine Reaktion sehen konnten.
Desjani stellte sich zu ihm, ihre Miene verriet keine Regung. Schließlich nickte sie ihrem XO zu. »Die Crew scheint sich in annehmbarer Verfassung zu befinden.«
»Danke, Captain.«
»Der Admiral und ich werden an einer dringenden Flottenkonferenz teilnehmen, im Anschluss daran werde ich eine Inspektion des Schiffs durchführen.«
»Jawohl, Ma’am.« Der XO nahm von einem anderen Offizier ein rechteckiges Objekt entgegen, das ungefähr einen halben Meter breit und vielleicht fünfundzwanzig Zentimeter hoch war. Er trat vor und überreichte es Desjani. »Von den Offizieren und der Crew der Dauntless, mit den besten Wünschen und Glückwünschen für Sie und Admiral Geary, Captain.«
Desjani stutzte, als sie den Gegenstand an sich nahm, doch dann begann sie zu lächeln und drehte das Geschenk so, dass auch Geary es sehen konnte. Es handelte sich um eine Tafel aus echtem Holz, in das eine glänzende metallene Sternenkarte eingelassen war. Diese Karte zeigte den Weg der Flotte unter Gearys Kommando, jedes dabei durchflogene Sternensystem war mit seinem Namen versehen worden. Die Reise endete im Varandal-System auf dem Gebiet der Allianz. Unter dieser Einlegearbeit waren echte Fäden auf das Holz aufgesetzt worden, um die Namen Geary und Desjani zu bilden, zwischen denen die Fäden zu einem wunderschönen Knoten gebunden worden waren.
Geary hatte seit seiner Zeit als Junioroffizier Matrosen miterlebt, die sich mit solchen Knoten befasst und sie immer wieder geübt hatten. Von ihnen wusste er auch, dass diese Knoten ein unglaublich altes Handwerk waren. Sie hatten bis heute nichts von ihrem Nutzen verloren, wenn es darum ging, etwas mit einem Seil festzuzurren, wie es schon auf den allerersten Handelsschiffen auf den Meeren der Erde gemacht worden war. »Sehr schön«, erklärte er. »Vielen Dank.«
»Ja«, stimmte Desjani ihm zu. »Wir danken Ihnen allen«, fügte sie laut genug an, um auch noch im letzten Winkel des Hangardecks gehört zu werden. »Bitte bringen Sie das in mein Quartier«, wandte sie sich wesentlich leiser an ihren XO und gab ihm die Tafel zurück. »Der Admiral und ich müssen jetzt die Konferenz einberufen.«
»Ja, Captain. Willkommen zurück.«
Dann endlich lächelte sie. »Es ist schön, wieder hier zu sein. Zweifellos haben Sie das schon längst gehört, dennoch freue ich mich, noch einmal formell zu bestätigen, dass die Dauntless wieder Admiral Gearys Flaggschiff sein wird. Informieren Sie bitte die Besatzung dahingehend.«
Zusammen mit Desjani verließ Geary das Hangardeck, während sich hinter ihnen die geordneten Reihen aus Offizieren und Besatzungsmitgliedern auflösten. Stimmengewirr machte sich nach der Ankündigung des Captains breit. Geary atmete langsam und gleichmäßig tief durch, froh darüber, wieder in vertrauten Korridoren unterwegs zu sein. Man konnte sich zwar nirgendwo verlaufen, wo es eine Komm-Verbindung gab, die einen zu jedem Ziel dirigieren konnte. Dennoch hatte es etwas Beruhigendes, sich an einem Ort aufzuhalten, an dem man sich auch ohne Hilfe zurechtfand. »Sie wollen die Tafel in Ihrem Quartier haben?«, fragte er.
»Ja, Sir, sie wird an einem Schott in meinem Quartier aufgehängt. Auf diese Weise bekommt sie nicht gleich jeder zu sehen.«
»Wenn sie in Ihrem Quartier hängt, werde ich sie womöglich nie zu sehen bekommen. Ich dachte, wir waren uns einig, dass ich Sie dort nicht besuchen werde, um keinen falschen Eindruck zu erwecken.«