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Der Gedanke ließ sie die Stirn runzeln. »Vielleicht werde ich sie Ihnen von Zeit zu Zeit ausleihen.«

»Danke.«

Auch der Konferenzraum der Dauntless war ihm vertraut, wenn auch nicht so behaglich wie der Rest des Schiffs. Zu viele Dramen hatten sich hier abgespielt, als dass es möglich gewesen wäre, Ruhe und Entspannung zu finden. Seufzend setzte sich Geary hin und überprüfte die Konferenzsoftware, während er überlegte, was er sagen sollte. Die Flotte war derzeit im ganzen Varandal-System verteilt, wobei die Distanz zu den am weitesten entfernten Schiffen fast zehn Lichtminuten betrug. »Das wird die Menge der Fragen und Antworten deutlich reduzieren«, sagte er.

»Wenn Sie meinen«, kam Desjanis Antwort, während sie etwas auf ihrem eigenen Display überprüfte.

Wie üblich hatte sie genau verstanden, wie es ihm in Wahrheit erging. »Man wird ja noch träumen dürfen.«

Ihre Unterhaltung wurde jäh unterbrochen, als die virtuellen Darstellungen der befehlshabenden Offiziere zu beiden Seiten des Tisches Gestalt annahmen. Der Tisch und mit ihm der Raum schienen sich immer mehr in die Länge zu strecken, um den immer zahlreicher auftauchenden Teilnehmern Platz zu bieten. Die meisten Gesichter waren ihm mittlerweile vertraut, aber bei Hunderten von Offizieren konnte Geary nur ein paar wirklich gut kennen, wohingegen manche andere ihm gar nichts sagten. Er nahm sich einen Moment Zeit, um sich auf den aktuellen Kommandanten der Orion zu konzentrieren, da in diesem Augenblick das Bild von Commander Shen auftauchte. Er war ein dünner Mann, von schmaler Statur, und sein Gesichtsausdruck hatte etwas Verärgertes an sich, was bei ihm aber ein Dauerzustand zu sein schien, nicht jedoch die Reaktion auf irgendeinen aktuellen Vorfall. Geary nahm sich vor, sich so bald wie möglich mit der Dienstakte dieses Mannes zu befassen.

Doch dann sah er, dass Desjani Shens Ankunft bemerkt hatte, den Mann anlächelte und ihm zuwinkte. Commander Shens Blick wanderte zu ihr, und dann sah es aus, als würde seine untere Gesichtshälfte wie ein Felsblock bersten, der von einem Erdbeben erschüttert wurde. Er erwiderte ihr Lächeln und nickte zum Gruß, dann nahm sein Gesicht gleich wieder diesen auffallend gereizten Ausdruck an.

»Sie kennen ihn?«, erkundigte sich Geary bei Desjani.

»Wir haben zusammen auf einem Schweren Kreuzer gedient«, antwortete sie. »Er ist ein sehr guter Offizier.« Als wisse sie genau, was Geary dachte, ergänzte sie dann noch: »Der äußere Eindruck kann täuschen.«

»Ich vertraue auf Ihr Urteil, jedenfalls was ihn angeht.«

»Die Orion hat sich an die Befehle gehalten«, machte sie deutlich.

»Ein sehr gutes Argument.« Wenn Shen die Orion umkehren lassen konnte, dann hatte er sich das Recht verdient, jeden Gesichtsausdruck zur Schau zu stellen, der ihm gefiel.

Einen Moment später stutzte Geary, als ein weiterer befehlshabender Offizier auftauchte. Dieser Captain hätte fast ein Zwilling von Commander Shen sein können, was auch für seine finstere Miene galt, die so wirkte, als könnte sie gar keinen anderen Ausdruck annehmen. Da die Konferenzsoftware erkannte, worauf Gearys Blick gerichtet war, holte sie das Bild des Captains näher heran und listete neben ihm Informationen auf. Captain Shand Vente, Invincible.

»Was ist aus Commander Stiles geworden?«, fragte er verwundert.

Desjani sah wieder auf, entdeckte Vente und verzog angewidert das Gesicht. »Jemand mit höherem Dienstgrad und besseren politischen Beziehungen dürfte die richtigen Leute um einen Gefallen gebeten haben, damit er das Kommando übernehmen kann. Vergessen Sie nicht, das Kommando über einen Schlachtkreuzer wird als wichtiger Schritt hin zum Dienstgrad des Admirals angesehen. Es war schon schwierig, in Kriegszeiten zum Admiral befördert zu werden, und da die Admiräle nun nicht mehr scharenweise bei Raumschlachten ums Leben kommen, sind die Aussichten umso schlechter.« Ihr Blick kehrte zu Geary zurück. »Ausgenommen natürlich Sie. In Ihrem Fall ist es ja sogar so, dass Sie immer und immer wieder zum Admiral befördert werden.«

»Ich Glückspilz«, murmelte Geary. Von Zeit zu Zeit kam es zu solchen Situationen, die ihm vor Augen führten, wie sehr der hundert Jahre währende Krieg gegen die Syndiks die alten Werte der Flotte in ihr Gegenteil verkehrt hatten. Es war keineswegs so, dass Politik für Senioroffiziere ein Jahrhundert zuvor ein Fremdwort gewesen wäre, aber politische Einflussnahme hatte sich auf Umwegen abgespielt. Es war nie so offensichtlich gewesen, dass einem Offizier nach wenigen Monaten ein Kommando abgenommen worden wäre, um einen anderen auf diesen Platz zu setzen, damit sich dessen Aussichten auf eine weitere Beförderung verbesserten. »Ist Vente mit Shen verwandt?«

»Wieso …?« Sie schaute Vente genauer an und stutzte. »Nicht dass ich wüsste.«

Vente, dem die Konferenzsoftware signalisiert hatte, dass Geary ihn ansah, drehte sich zum Kopfende des Tischs um. Anders als bei Shen änderte sich sein Gesichtsausdruck kein bisschen. Er nickte abrupt und wandte sich wieder ab, um weiter vor sich auf den Tisch zu starren, als liege dort etwas, das ihn schrecklich ärgerte.

Die Crew der Invincible tat Geary leid, aber er war sich nicht sicher, ob er in der verbleibenden Zeit noch etwas wegen Vente würde unternehmen können. Die Ankunft von Captain Tulev lenkte ihn von dem Ärger ein wenig ab. Fast zeitgleich mit Tulev tauchten auch die befehlshabenden Offiziere seiner Division am Konferenztisch auf, darunter auch Commander Bradamont. Sie saß schweigend da und schaute vor sich hin, wie Geary es von früheren Besprechungen von ihr gewohnt war, sofern er sie dabei überhaupt wahrgenommen hatte. Wären da nicht noch so viele andere Dinge gewesen, die ihm Kopfzerbrechen bereiteten, hätte er sich vermutlich gründlicher mit der Frage beschäftigt, wie es sein konnte, dass jemand im Gefecht so energisch auftrat, bei den Konferenzen aber keinen Ton herausbrachte. Aber letztlich wäre er ihr dafür vermutlich einfach nur dankbar gewesen, wenn er an die Probleme dachte, die er in der gleichen Zeit mit Offizieren wie Captain Numos gehabt hatte, die am Konferenztisch genauso agierten wie auf dem Schlachtfeld.

Der Gedanke lenkte Geary genügend ab, um sich schnell nach Numos’ Status zu erkundigen. Er wartet noch immer auf sein Kriegsgerichtsverfahren. Die Mühlen der Justiz mahlen manchmal sehr langsam. Aber sie hatten Zeit genug, um sich diese idiotischen Anklagen gegen mehr als hundert befehlshabende Offiziere auszudenken, anstatt sich mit Numos zu befassen.

Weitere virtuelle Bilder entstanden, während der Konferenzraum immer größer und größer zu werden schien, um allen Teilnehmern Platz zu bieten. Captains, Commander und Lieutenant Commander, die das Kommando über Schlachtkreuzer, Schlachtschiffe, Schwere und Leichte Kreuzer, Hilfsschiffe und Zerstörer hatten. Captain Duellos lehnte sich auf seinem Platz gemächlich zurück, als hätte sich die Flotte nicht erst kurz zuvor noch am Rand der Meuterei befunden. Captain Tulev saß stocksteif da und ließ kaum eine Gefühlsregung erkennen, aber er nickte Geary zum Gruß zu. Captain Badaya schaute sich argwöhnisch um; er rechnete unübersehbar damit, dass jeden Augenblick regierungstreue Agenten aus ihren Verstecken kamen, um Offiziere festzunehmen. Captain Jane Geary saß ruhig da und ließ sich nicht anmerken, dass sie erst vor Kurzem noch andere Kommandanten dazu angestachelt hatte, sich über Befehle hinwegzusetzen. Auch Captain Armus ließ kein Unbehagen erkennen, wofür er aber auch gar keinen Grund gehabt hätte, wirkte er doch wie üblich so schwerfällig wie das von ihm befehligte Schlachtschiff. Bis zu diesem Augenblick war es Geary nicht bewusst gewesen, wie beruhigend diese Art von Schwerfälligkeit sein konnte, wenn ringsum andere kopflos hin- und hereilten.

Als auch der letzte noch fehlende Offizier aufgetaucht war, stand Geary auf, woraufhin die virtuell Anwesenden sich zu ihm umdrehten. Diejenigen, deren Schiffe sich in unmittelbarer Nähe zur Dauntless aufhielten, reagierten fast in Echtzeit, während andere, deren Schiffe einige Lichtminuten entfernt waren, unter Umständen erst sehen würden, dass er sich erhoben hatte, wenn er längst zu Ende gesprochen hatte. »Lassen Sie mich damit beginnen, Ihnen die Situation zu erklären. Mir ist das Kommando über die neue Erste Flotte übertragen worden. Da jedes Schiff hier im System zu dieser Flotte gehört, bin ich seit einer halben Stunde wieder offiziell Ihr Befehlshaber.«