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Das klang zwar logisch, aber es konnte auch ein raffinierter Streich sein. Geary musterte Desjani aufmerksam und suchte nach einem Hinweis darauf, dass sie sich nur einen Spaß erlaubte. »Und niemand redet jemals darüber?«

»Wir müssen nicht viel darüber reden. Von unserer Seite läuft das alles ganz automatisch ab, aber ich schätze, das Hauptquartier verwendet viel Zeit darauf, unserer simulierten Crew zu erzählen, was sie tun und lassen soll. Haben Sie noch nie von der Potemkinschen Flotte gehört? Ich weiß nicht, woher der Name kommt. Vielleicht hieß derjenige so, der das System entwickelt hat, oder jemand hat den Namen in einer Datenbank gefunden und war der Meinung, dass er gut dazu passt. Auf jeden Fall wird damit die Flotte bezeichnet, so wie das Hauptquartier sie sehen will. Damit zeigen wir ihnen genau das, was man dort sehen will. Wir befolgen natürlich den eigentlichen Einsatzbefehl, aber das Mikromanagement ignorieren wir, ganz egal, welchen Bereich es betrifft.«

Nachdem er die Unterhaltung beendet hatte, starrte Geary minutenlang auf den Befehl. Auch wenn Desjani das Ganze auf die leichte Schulter nahm, sträubte sich alles in ihm gegen die Vorstellung, dem Hauptquartier einfach nur simulierte Daten zu übermitteln. Aber dann widmete er sich noch einmal eingehender den Befehlen und blieb dabei an einer Zeile hängen, die einen bestimmten Offizier auf einem bestimmten Schiff betraf. Ensign Door soll zweimal wöchentlich einen Bericht an seinen Vorgesetzten Lieutenant Orp senden und darin seine Fortschritte zusammenfassen, die er bei seiner Qualifizierung gemäß Flottenanweisung 554499A zum Notfallschadensbeseitigungsgruppenführer macht. Falls Ensign Door nicht die erforderlichen Fortschritte nachweisen kann, sollen wöchentliche Berichte die bestehenden Wissenslücken dokumentieren, wobei Formular B334.900 zu verwenden ist …

Geary löschte die Nachricht mit einem Tastendruck.

Natürlich war das nur die erste von vielen Nachrichten, die ihn aus dem Hauptquartier erreichten.

Die Nächste traf schon einen Tag später ein, diesmal als Mitteilung von höchster Priorität, die mit einem wütenden roten Blinken seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Das genügte bereits, um bei Geary ein ungutes Gefühl auszulösen, da er damit beschäftigt war, sich einen Überblick über den Bereitschaftsstatus der zur Ersten Flotte gehörenden Schiffe zu verschaffen. Mit einem resignierenden Seufzer nahm er die Nachricht an, dann tauchte vor ihm Admiral Celu auf, die neue Chefin des Flottenhauptquartiers für die Allianz. Celu hatte ein ausgeprägtes Kinn, das sie trotzig vorschob, als wollte sie Geary herausfordern.

»Admiral Geary, wir empfangen Berichte, die den Schluss zulassen, dass Sie beabsichtigen, Ihre Mission erst in dreißig Standardtagen nach der Übernahme des Kommandos zu beginnen. Diese Mission hat oberste Priorität für die Sicherheit der Allianz. Sie werden hiermit angewiesen, Ihr beabsichtigtes Abreisedatum um mindestens zwei Wochen vorzuverlegen. Wir erwarten, dass Sie den Erhalt dieser Nachricht so schnell wie möglich bestätigen und uns Ihr neues beabsichtigtes Abreisedatum mitteilen. Celu Ende.«

Nicht mal ein höfliches und angemessenes »Auf die Ehre unserer Vorfahren« am Ende der Nachricht. Und nicht bloß eine Textnachricht oder ein Video, um die Botschaft zu übermitteln, sondern ein virtuelles Ganzkörperbild, das eindeutig der Einschüchterung dienen sollte. Es gab einmal eine Zeit, da hätte es bei ihm blinden Gehorsam ausgelöst, ob er den Befehl nun für klug hielt oder nicht. Aber in den letzten Monaten hatte er ganz allein eine Flotte geführt, ohne von irgendeinem Vorgesetzten Anweisungen zu erhalten, er hatte sich zahlreichen Widersachern gestellt, die seine Autorität infrage stellen wollten, und er hatte mit seinen Befehlen während etlicher Schlachten zu viele Männer und Frauen in ihren Tod schicken müssen. Seine eigene Einstellung zu den Dingen hatte sich spürbar geändert, und Aktionen, mit denen er ohne Rücksicht auf das Risiko für die Untergebenen seinen Vorgesetzten gefallen wollte, sprachen ihn jetzt sogar noch weniger an als früher. Im Angesicht von mehr als nur einem kollabierenden Hypernet-Portal hatte das Bild der vor ihm stehenden Admiral Celu nicht annähernd die gleiche Wirkung wie früher.

Geary hielt die Nachricht an, um sich Celu genauer anzusehen. Eine sehr schön geschnittene Uniform, viele Auszeichnungen. Der Anblick erinnerte ihn an die Syndik-CEOs in ihren maßgeschneiderten Anzügen. Der Gesichtsausdruck in Verbindung mit dem Tonfall ihrer Nachricht ließ Geary vermuten, dass Celu eine Offizierin vom Typ »Schreihals« war, jene Sorte Vorgesetzte, die glaubten, dass eine laute Stimme und ständige Wut die einzigen zwei Führungsqualitäten waren, auf die es wirklich ankam.

Celu war eindeutig daran interessiert, ihr Verhältnis zu Geary als das zwischen Vorgesetzter und Untergebenem zu definieren. Er hatte damit kein Problem, schließlich war das ihr gutes Recht, und die Befehlskette musste beachtet werden. Aber ihm gefiel ihre Art nicht. Er hatte das Hauptquartier noch nie gemocht, das schon zu seiner Zeit seine Existenz damit rechtfertigte, dass es nun mal existierte, und das sich dadurch auszeichnete, Forderungen an die Kriegsschiffe zu stellen, die es eigentlich hätte unterstützen sollen. Offenbar war das während des langen Krieges nur noch schlimmer geworden, da die klaffende Lücke zwischen dem Hauptquartier und den Offizieren im Einsatz immer breiter geworden war.

Also hielt Geary nun inne und dachte nach. Es gab eine Möglichkeit, den Termin für den Aufbruch der Flotte nicht vorzuverlegen, auch wenn Celu den ausdrücklichen Befehl dazu erteilt hatte. Er rief das Regelwerk der Flotte auf, suchte nach dem richtigen Absatz und lächelte zufrieden, als die Passage angezeigt wurde. Die letztliche Verantwortung für die Sicherheit der Schiffe und des Personals sowie für den erfolgreichen Abschluss der übertragenen Aufgaben und Missionen liegt beim befehlshabenden Offizier. Es ist die Pflicht des Befehlshabers, alle potenziellen Faktoren in Erwägung zu ziehen, wenn er Befehle gibt.

Vor über hundert Jahren hatten Geary und seine Kameraden diese Vorschrift als die »Pech gehabt«-Regel bezeichnet. Befolgte man einen Befehl, obwohl ein paar von »allen potenziellen Faktoren« dagegensprachen, waren alle Konsequenzen daraus einfach nur die Schuld des jeweiligen Kommandanten. Befolgte man unter diesen Umständen einen Befehl nicht, dann traf ebenfalls den Kommandanten alle Schuld. Er hätte sich keine Sorgen machen müssen, dass eine solche Vorschrift zum Schutz der vorgesetzten Autorität aus dem Regelwerk entfernt worden war.

Aber er konnte die Vorschrift auch gegen diese vorgesetzte Autorität zum Einsatz bringen. Er konnte auf diesen Befehl mit einem sehr detaillierten Bericht reagieren, der all jene potenziellen Faktoren enthielt, mit denen sich die aus seiner Sicht notwendige Verzögerung bei der Umsetzung dieser Mission rechtfertigen ließ. Es waren weitere Reparaturen durchzuführen, die Vorräte waren noch nicht vollständig aufgestockt, Crewmitglieder waren nach wie vor auf Landurlaub, und wenn nicht ein Notruf an sie ausgesandt wurde, würden sie sich erst zum vereinbarten Termin wieder bei der Flotte einfinden. Um diese Argumente zusammenzustellen, würde er bestimmt einen ganzen Tag benötigen, und das, wo es keine Garantie gab, dass im Hauptquartier irgendjemand mehr lesen würde als den zusammenfassenden Absatz zu Beginn seiner Ausführungen. Es war nicht mal sicher, ob sich im Hauptquartier überhaupt jemand für Argumente interessierte, die der von ihnen gewählten Version der Wirklichkeit widersprachen.

Aber er konnte auch nicht lügen. Eine Potemkinsche Flotte mochte schön und gut sein, wenn es sich nur um rein verwaltungstechnische Angelegenheiten handelte. Aber eine Lüge über den Bereitschaftsstatus der Flotte hatte da schon etwas Kriminelles an sich.