»Meinen Sie meine Haare, Sir?«
»Ja. Ich habe schon den einen oder anderen Matrosen mit grün gefärbten Haaren gesehen, aber keinen von ihnen angesprochen, weil es sich im Rahmen der Vorschriften bewegte. Dennoch ist es etwas sehr auffällig.«
Jamenson lächelte ihn kläglich an. »Das ist meine natürliche Haarfarbe, Sir. Ich stamme von Éire.«
»Éire?« Der Name sagte ihm auf Anhieb nichts, daher rief er eine Sternenkarte auf. »Das ist ziemlich weit weg. Eines der Systeme, die unmittelbar von der Alten Erde aus kolonisiert wurden.«
»Richtig, Admiral. Die ersten Kolonisten auf Éire hatten eine ausgeprägte Vorliebe für die Farbe Grün, und vermutlich hat man ihnen zu viel freie Hand bei Genmanipulationen gelassen.« Sie berührte leicht ihre Schläfe. »Es kann umgekehrt werden, aber viele von uns halten das für nicht angebracht, weil es unseren Vorfahren so viel bedeutet hat. Außerdem ist es für uns größtenteils harmlos und schadet Dritten nicht.«
»Größtenteils harmlos?«, wiederholte Geary, während er darüber nachdachte, dass er sich gewundert hatte, wieso ein Offizier der Flotte einen solchen Farbton wählte.
»Ich kann nichts daran ändern, was andere von meinen Haaren halten, Admiral. Aber der Farbe habe ich auch einen Spitznamen zu verdanken. Noch bevor ich Éire verließ, nannte man mich Kleeblatt.«
»Kleeblatt? Das ist eine Pflanze, nicht wahr?«
»Eine grüne Pflanze. Man findet sie überall auf Éire.« Wieder huschte ein betrübtes Lächeln über ihr Gesicht. »Die hat unseren Vorfahren offenbar auch sehr viel bedeutet.«
Nachdem Lieutenant Jamenson gegangen war, machte sich Geary auf den Weg zur Brücke. Je näher der Zeitpunkt der Abreise für die Flotte rückte, umso rastloser wurde er, da er aufbrechen wollte. Diese Mission war der Daseinszweck seiner Flotte, und je früher sie von hier wegkamen, desto eher geriet er außer Reichweite für Nachrichten vom Hauptquartier und für weitere unsinnige Befehle vonseiten der Regierung.
Desjani hielt sich natürlich schon auf der Brücke auf und beendete soeben eine Trainingssimulation für die Brückencrew. »Und? Wie war das Treffen?«, fragte sie.
»Aufschlussreich.«
»Da Sie offenbar Wert darauf legen, gezielte Fragen gestellt zu bekommen, werde ich es so formulieren: Warum hat Captain Smythe eine grünhaarige Offizierin hergeschickt, die mit Ihnen persönlich reden sollte?«
»Ihre Aufgabe ist es, Sachverhalte zu verdrehen.«
Desjani wartete einen Moment, ob Geary in irgendeiner Weise erkennen ließ, dass er sich einen Scherz erlaubt hatte, dann sagte sie: »Wenn Sie einen Lieutenant brauchen, der Sachverhalte verdreht, dann habe ich auf der Dauntless mindestens einen Kandidaten, der diese Anforderungen erfüllt.«
»Ich werde es mir merken. Ich erkläre Ihnen später die Einzelheiten.« Das Privatsphären-Feld, das seinen und Desjanis Platz auf der Brücke umgab, war zwar ein guter Schutz, doch aus seiner eigenen Erfahrung als Junioroffizier wusste Geary, dass man eine erstaunliche Fülle an Informationen gewinnen konnte, wenn man in ein Gespräch vertiefte Senioroffiziere heimlich beobachtete. Er ließ sich in seinen Sessel sinken und sah sich auf der Brücke der Dauntless um, wobei er einen zufriedenen Seufzer unterdrücken musste. »Wissen Sie, nach dem ganzen Hin und Her mit dem Großen Rat, den Allianz-Politikern und dem Hauptquartier wird es eine angenehme Abwechslung sein, wieder mit verlogenen Syndiks und mordlüsternen Aliens zu tun zu haben.«
»Wenn man sich Gefahren gegenübersieht, wünscht man sich, wieder zu Hause zu sein«, sagte sie nachdenklich. »Aber wenn man erst mal wieder zu Hause ist, dann kann es sein, dass man sich sehr schnell wünscht, wieder weit weg zu sein und irgendwelchen Bedrohungen zu trotzen.«
»Sie können wirklich mit Worten umgehen, Captain Desjani. Als wir auf Kosatka waren …«
»Die ganzen vier Tage?«
»… hatten Sie da Gelegenheit, mit Ihrem Onkel zu reden, dem Literaturagenten?«
»Nur einmal.« Ihr Blick schweifte in die Ferne ab. »Er wollte, dass ich ein Tagebuch unserer Reise vom Syndik-Heimatsystem bis nach Hause schreibe. Ich habe gesagt, dass es die meiste Zeit über ziemlich langweilig war.«
»Außer wenn es aufregend war.«
Sie grinste ihn an. »Und ich habe ihm gesagt, auf Persönliches würde ich ohnehin nicht eingehen. Man konnte förmlich zusehen, wie die Träume meines Onkels sich in Rauch auflösten.«
Geary musste sich ein Lachen verkneifen. »Sie haben die Träume eines Literaturagenten zerstört?«
»Das macht mich schon jetzt fast zu einer Schriftstellerin, nicht wahr?«, entgegnete Desjani.
Der Rest der Woche verging zu langsam in der Hinsicht, dass Geary mit neuen unangenehmen Überraschungen rechnete, während die Zeit für noch zu erledigende Arbeiten viel zu schnell verging. Eine Flut von Crewmitgliedern, die nach ihrem Landurlaub auf ihre Schiffe zurückkehrten, hielt die Shuttles auf Trab, und an Bord der Dauntless war Geary bei seinen Spaziergängen immer häufiger zu Umwegen gezwungen, da die Ingenieure von der Titan immer wieder Korridore absperrten, um mit großem Enthusiasmus alte Komponenten aus den Kreisläufen des Schiffs herauszureißen und gegen Ersatzteile austauschten, die so konstruiert waren, dass sie eine weitaus höhere Lebenserwartung aufwiesen.
Dr. Setin, der sich als der Führer der Expertengruppe vorgestellt hatte (»allerdings nicht als ein Führer in einem strikt hierarchischen Sinn«), bewerkstelligte es, lange genug von der Tsunami zu entwischen, um mit einem Shuttle zur Dauntless zu fliegen. »Eine unglaubliche Gelegenheit, Admiral«, hatte er zu Geary gesagt. »Können Sie sich vorstellen, wie aufregend das ist, tatsächlich einer anderen intelligenten Spezies zu begegnen?«
Während er an die Schlacht bei Midway zurückdachte, musste Geary höflich lächeln. »Ja.«
»Ja, natürlich. Sie sind mit dieser Spezies ja bereits zusammengetroffen. Und? Wie war das?«
»Aufregend.«
Dr. Setin hatte ihm bei dieser Gelegenheit auch die notwendige Autorisierung vorgelegt, damit er sich ansehen konnte, was von der Flotte bislang über die Enigma-Rasse zusammengetragen worden war. Geary versorgte ihn mit diesen Informationen und schickte ihn zurück zur Tsunami.
Am Tag vor der Abreise unternahm Geary einen virtuellen Rundgang durch die Orion, um sich persönlich ein Bild davon zu machen, wie weit die Reparaturen vorangekommen waren und wie es um die Moral der Crew bestellt war. Mittlerweile hatte er sich an den deprimierenden Gedanken gewöhnt, dass die Orion ihn immer dann im Stich ließ, wenn die Unterstützung durch dieses Schiff sich am dringendsten erwies. Auch wenn Desjani von Commander Shens Fähigkeiten überzeugt war, glaubte Geary, dass das Schiff nur noch durch eine göttliche Intervention zum Umkehren veranlasst werden konnte.
Shen schaute so finster drein wie gewohnt, während er Gearys virtuelle Präsenz durch das Schiff führte. Gelegentlich wies er auf das eine oder andere hin, für gewöhnlich überließ er jedoch seiner Crew das Reden. Bemerkenswert war, wie viele Reparaturen man erledigt hatte, doch das beeindruckte Geary nicht annähernd so sehr wie die enthusiastische Art, mit der die Besatzungsmitglieder ihm präsentierten, was sie alles geleistet hatten. »Sämtliches Batterie-Personal ist zertifiziert, die Projektoren der Höllenspeere liegen bei hundert Prozent«, erklärte ein Chief voller Stolz, als Geary stehen blieb und sich dessen Batterie ansah.
Shen, der die ganze Zeit über eine Miene zog, als hätte er sich eine Blase gelaufen, konzentrierte sich auf den Chief: »Hat Lironi seine Qualifikation abgeschlossen?«