Tulevs Nachricht sollte eine halbe Stunde zuvor empfangen worden sein, ehe die kinetischen Projektile absichtlich von ihrer Flugbahn abgekommen waren. Seine übliche gelassene Art war dabei noch deutlicher zutage getreten, was ihn so kalt wie Stein hatte rüberkommen lassen, während sein sachlicher Tonfall noch viel bedrohlicher wirkte, als wenn er wutentbrannt geredet hätte. »Ihr Führer spielt mit Ihrer aller Leben, nur weil er von dieser Flotte Geld erpressen will. Meine Aufgabe ist es sicherzustellen, dass alle Allianz-Angehörigen in diesem Sternensystem aus der Kriegsgefangenschaft befreit und an Bord der Flotte gebracht werden. Ich werde diesen Auftrag mit allen notwendigen Mitteln in die Tat umsetzen und keine weiteren Verzögerungen hinnehmen. Sie haben drei Stunden Zeit, um uns Ihre Bereitschaft mitzuteilen, friedfertig alle Gefangenen in unsere Obhut zu übergeben. Wenn dieser Zeitraum verstreicht, ohne dass etwas geschieht, werde ich alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Captain Tulev Ende.«
Die Flotte war inzwischen dem Planeten so nahe gekommen, dass die Antwort nur eine Stunde benötigte. Geary befand sich unverändert auf der Brücke der Dauntless, als beide Gesandten sich bei ihm meldeten.
»Er hält uns immer noch hin.«
Geary ließ ein paar Sekunden verstreichen, ehe er sich an Rione wandte, um sich zu vergewissern, dass er das richtig verstanden hatte. »Der Syndik-CEO in diesem System will immer noch Lösegeld von uns erpressen?« Er hielt es für notwendig, das so auszusprechen, damit es auch ja keine Missverständnisse gab.
»Ja, und er gibt sich sogar äußerst trotzig.« Neben Riones Kopf öffnete sich ein weiteres Fenster.
Die dort wiedergegebene Mitteilung zeigte den Syndik-CEO mit einem Gesichtsausdruck, den Geary mittlerweile als den Versuch eines einschüchternden Blicks deutete, der ebenfalls einstudiert sein musste, da er ihn zuvor schon bei etlichen anderen CEOs hatte beobachten können. »Wir haben von Admiral Geary etwas Besseres erwartet als solch fadenscheinige Versuche, die unschuldige Bevölkerung dieser Welt in Angst und Schrecken zu versetzen. Das sind keine Verhandlungstaktiken, wie sie von zivilisierten Menschen angewandt werden. Ich bin mir sicher, dass die lebenden Sterne so etwas nicht gerne sehen.«
Der CEO veränderte seinen Gesichtsausdruck in etwas, das Geary in die Kategorie »Finsterer Blick« eingeordnet hätte. »Wir haben keine Angst davor, auf unseren Rechten zu bestehen, wie sie in dem Vertrag festgehalten wurden, mit dem ein langer und schrecklicher Krieg durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen unserer Völker beendet werden konnte. Wenn nötig, sind wir bereit, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr zu setzen. Es liegt in meiner Verantwortung, jeden Angriff und jeden Versuch einer Landung auf unserer friedfertigen Welt zu unterbinden.«
Desjani gab einen röchelnden Laut von sich.
Nun wechselte der CEO zum Mienenspiel »Betrübt, aber vernünftig«. »Es wäre sehr unerfreulich, wenn jemand zu Schaden kommen würde, nur weil Sie sich weigern, über eine realistische Entschädigung zu reden. Geld ist nicht wichtiger als Menschenleben. Ich erwarte ein Zeichen Ihrer Bereitschaft, nicht weiter mit Gewalt zu drohen, sondern zu verhandeln, damit wir zu einer für beide Seiten annehmbaren Beilegung unserer Differenzen gelangen können.«
Als das Bild des CEO verschwunden war, starrte Geary weiter auf den Schirm, ohne einen Ton zu sagen. Er wusste nicht, ob er seiner Stimme würde trauen können.
»Okay«, sagte Desjani ganz gelassen. »Ich brauche jetzt nur einen einzelnen Stein und die Koordinaten von diesem Syndik-Abschaum.«
»Er gibt einfach nicht nach«, stellte General Charban fest, was allen bewusst war. »Wir müssen noch mehr Druck auf ihn ausüben. Wir müssen ihm zu verstehen geben, wie ernst wir es meinen. Irgendeine noch größere, deutlichere Demonstration.«
Zwar konnte Charban nicht sehen, wie Desjani daraufhin die Augen verdrehte, aber ihre Antwort war laut genug, um von den Gesandten gehört zu werden: »Die spielen immer noch mit uns, weil sie glauben, dass der ehrbare Black Jack sie nicht bombardieren wird. Die halten uns hin und wiederholen weiter ihre Forderungen, weil wir tun können, was wir wollen – sie werden es immer für einen Bluff ansehen.«
Geary nickte und fühlte sich endlich wieder in der Lage, ruhig zu reden. »Ich glaube, Sie haben völlig recht. Und wenn dieser CEO so denkt, dann werden andere Syndik-CEOs die gleiche Ansicht vertreten: Sie halten mich für weich, weil ich zivile Opfer und rücksichtslose Bombardements vermeiden will.«
»Und«, ergänzte Desjani, »das bedeutet auch, wenn dieser CEO damit durchkommt, wird man uns in jedem Sternensystem, in dem wir unsere Leute aus der Kriegsgefangenschaft holen wollen, mit ähnlichen Lösegeldforderungen konfrontieren.«
Er blickte erneut die beiden Gesandten an. Charban sah skeptisch drein und schüttelte den Kopf, während Rione Geary einfach nur anschaute und nicht erkennen ließ, ob sie seine Einschätzung teilte oder nicht. »Uns bleiben nur fünf Stunden, bis wir den Orbit dieses Planeten erreichen«, machte Geary klar. »Wir haben unsere Haltung bereits erklärt, eine Haltung, die in jeder Hinsicht den Bestimmungen des Friedensvertrags entspricht. Meiner Ansicht nach lassen uns diese Syndiks keine andere Wahl, als ihnen und jedem, der ihnen nacheifern will, zu zeigen, wie wir auf solche Taktiken reagieren. Sie müssen begreifen, dass ich zwar ehrbar bin, dass man deswegen aber nicht so mit mir umspringen kann. Und sie müssen auch erkennen, dass Erpressung keine Methode ist, mit der man der Allianz kommen kann.«
»Was haben Sie vor?«, fragte Rione. »Wir haben mit diesen Leuten Frieden geschlossen.«
»Einen Frieden, der sie dazu verpflichtet, bestimmte Dinge zu tun, die sie genau jetzt aber nicht tun. Dieser CEO hat erklärt, dass er uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln daran hindern wird, die Gefangenen zu befreien, also auch mit militärischen Mitteln.«
»Ja, richtig«, stimmte Rione ihm zu, woraufhin Charbans finsterer Blick von Geary zu ihr wanderte.
»Also beabsichtige ich nun, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Gefangenen zu befreien und dafür zu sorgen, dass unserem Personal bei diesem Einsatz nichts zustößt. Das heißt, wir schalten jede Verteidigungseinrichtung aus, die unsere Landestreitkräfte oder die Schiffe im Orbit gefährden können, wir riegeln das Lager ab, um Verstärkungen der Bodentruppen den Weg dorthin zu versperren, und wir reagieren auf jeden wie auch immer gearteten Versuch, uns anzugreifen oder unsere Operation zu stören.«
Neben ihm stieß Desjani ein lautloses Jawohl! aus.
Charban dagegen schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Es ist noch zu früh, um zu so drastischen Maßnahmen zu greifen. Die rechtlichen Folgen …«
Im Augenblick hatte Geary von allen Politikern die Nase voll, daher unterbrach er den Mann: »Das mag Ihre Meinung sein, General, aber das Kommando über die Flotte liegt bei mir, nicht bei Ihnen!«
Der General bekam einen roten Kopf und schaute zu Rione. »Wir können diese Vorgehensweise nicht genehmigen.«
Rione schwieg weiter und ließ nun auch gegenüber Charban nicht erkennen, ob sie seiner Meinung war oder nicht.
»Sofern keiner von ihnen dazu autorisiert ist, mich meines Kommandos zu entheben«, redete Geary weiter, während sein Finger sich der Taste näherte, die die Unterhaltung beenden würde, »werde ich so vorgehen, ganz gleich ob Sie mir das genehmigen oder nicht. Ich danke Ihnen für Ihren Beitrag.« Er betätigte die Taste, gleich darauf erloschen die Gesichter der beiden Gesandten.
Desjanis Augen leuchteten, als sie sich zu ihm umdrehte und seinen Arm packte, damit er sich ihr zuwandte. Sie beugte sich vor und sprach so leise, dass man ihre Unterhaltung nicht einmal bei abgeschalteter Privatsphäre hätte belauschen können: »Die perfekte Entscheidung und der perfekte Umgang mit diesen Politikern. Bei den lebenden Sternen, ich liebe dich!«