Duellos stand auf und deutete im Scherz eine Verbeugung an. »Wir vergeuden hier wertvolle Zeit«, sagte er dann. »Das ist ein Umweg, der uns nur Zeit kostet. Wieso hat die Regierung darauf bestanden, wenn es doch zuerst hieß, dass die oberste Priorität lautet, möglichst schnell möglichst viel über diese Aliens in Erfahrung zu bringen?«
»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie die Antwort darauf finden können.«
Duellos wollte schon aufbrechen, dann hielt er doch noch inne. »Wie ironisch. Wir haben Monate für den Heimweg gebraucht, und immer wieder mussten wir versuchen, den Motiven und der Denkweise einer fremden Rasse auf den Grund zu gehen, von der wir nur vermuten konnten, dass sie existiert. Und jetzt verbringen wir unsere Zeit damit, den Motiven und der Denkweise unserer eigenen Regierung auf den Grund zu gehen. Da fällt mir ein, Sie werden doch die Marines im Auge behalten, richtig? Diese Verhaltensregeln lassen sich nämlich zu leicht als eine Lizenz zum Töten auslegen, mit der sie alles aus dem Weg räumen können, was ihnen als feindselig erscheint.«
»Ich kann darauf vertrauen, dass Carabali ihre Leute unter Kontrolle hat, aber ich werde ihr noch einmal eintrichtern, wie wichtig es ist, dass wir jeden einzelnen abgefeuerten Schuss auch rechtfertigen können.«
»Das wäre vermutlich gut, genau wie Ihre Ermahnung an die anderen Commander.« Sekundenlang schien Duellos auf irgendeinen Punkt in weiter Ferne zu starren. »Ein Leben lang auf alles zu schießen, was nach einem Syndik aussieht, ist eine Angewohnheit, die man nicht so einfach ablegt«, ergänzte er dann noch mit einem betrübten Unterton.
Nachdem Duellos verschwunden war, schaute Geary eine Weile auf die Stelle, an der sich der Mann gerade eben noch befunden hatte. Zeitvergeudung. Ja, Duellos hatte es auf den Punkt gebracht, es ist Zeitvergeudung, und es lenkt mich von meiner eigentlichen Aufgabe ab – und das könnte auch noch der Fall sein, wenn wir diese Gefangenen an Bord geholt haben. »Tanya, achten Sie bitte mit darauf, dass ich ganz auf die Aliens konzentriert bleibe.«
Sie sah ihn verwundert an. »Das macht Ihnen Sorgen?«
»Ich weiß nicht, was uns in diesem Gefängnis erwartet – oder besser gesagt: wer uns da erwartet. Aber wir können es uns nicht leisten, dass ich mich mit Dingen beschäftige, die sich darum drehen, wenn ich mir eigentlich Gedanken über das machen muss, was vor uns liegt. Wenn sich irgendetwas ergibt, das sich als zu große Ablenkung entpuppt, dann helfen Sie mir, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.«
»Ich wünschte, Sie hätten das gesagt, solange Roberto Duellos noch hier war. Sie können manchmal so starrsinnig sein, dass ich ein zweites Paar Hände gut gebrauchen könnte, um Ihnen die Augen zu öffnen.«
Eine Anzahl Satelliten, die bis vor Kurzem den Planeten umkreist und mit ihren Sensordaten den Syndik-Streitkräften gedient hatten, waren in tote Objekte verwandelt worden, die aus ihrer Bahn geworfen in die Atmosphäre eintauchten und dort verglühten. Zudem hatte man vier Orbitalplattformen ausgeschaltet, da die mit Marschflugkörpern bestückt gewesen waren.
Als die Flotte in einen Orbit um die Primärwelt von Dunai einschwenkte, warf Geary wieder einen Blick zu Rione, die weiterhin nicht zu erkennen gab, was sie von seiner Vorgehensweise hielt. »Noch immer keine Reaktion von diesem Syndik-CEO?«
»Nein, nur eine Litanei von Beschwerden über Ihre ›grundlose‹ Zerstörung mehrerer Satelliten.«
Er öffnete ein Komm-Fenster zu seiner Linken. »General Carabali, wie sieht’s aus?«
Carabali, die einen anderen Teil ihres Displays im Auge behielt und daher an Geary vorbeisah, nickte respektvoll. »Es ist ein guter Tag für eine nichterlaubnispflichtige Personenbefreiungsoperation, Admiral.«
»Sind sie immer noch bereit, Widerstand zu leisten?«, fragte er.
»Bodentruppen sind rund um das Gefangenenlager in Gefechtsformation verteilt«, erwiderte Carabali. Ein Fenster öffnete sich vor Geary und zoomte das Gebiet rund um das Lager heran. »Aber bislang haben wir keine Versuche feststellen können, die Gefangenen aus ihren Kasernen zu holen und sie als menschliche Schutzschilde zu benutzen. Die Syndiks haben sämtlichen Flugverkehr eingestellt, aber es gibt zahlreiche Artillerie- und Raketenabschussbasen in Reichweite des Gefangenenlagers.«
»Glauben Sie, sie werden kämpfen?«
»Meine Einschätzung ist, Admiral, dass sie davon ausgehen, dass wir im allerletzten Moment doch noch einen Rückzieher machen werden. Das würde erklären, warum sie die Gefangenen nicht noch offensichtlicher als Geiseln benutzen, denn das könnte uns ja erst so richtig sauer machen. Wenn das der Fall ist, kapitulieren sie vielleicht in dem Augenblick, in dem wir landen. Aber sie könnten natürlich auch den Befehl haben, sich zur Wehr zu setzen, wenn wir tatsächlich die Marines zu ihnen schicken.«
Geary drückte eine Hand gegen seine Stirn und überlegte. »Madam Gesandte, ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie mir sagen, was diesem CEO wohl im Augenblick durch den Kopf geht.«
Sekundenlang fragte er sich, ob sie überhaupt antworten würde, aber dann begann sie doch zu reden: »Er hat seine ganze Autorität und Urteilsfähigkeit auf die Annahme gestützt, dass Sie auf seine Forderungen eingehen. Durch Ihre Weigerung und sein Beharren hat er sich selbst in eine Ecke manövriert. Wenn er jetzt keinen Widerstand leistet, wird er als Schwächling und Dummkopf dastehen. Wenn er kämpft, wird man ihn zwar auch für dumm halten, weil er die Situation so völlig falsch eingeschätzt hat, aber er wird nicht als schwach dastehen. Ein Führer, der sich eine Dummheit leistet, kann politisch trotzdem überleben, vor allem wenn die Leute sehen, dass er bis zum bitteren Ende kämpfen will. Aber ein Führer, der dumm und schwach ist, hat keine Überlebenschancen. Das geht meiner Ansicht nach in diesen Minuten durch seinen Kopf.«
Desjani legte die Stirn in Falten und sah zu Rione, dann zuckte sie wie verärgert mit den Schultern. »Das sehe ich auch so«, flüsterte sie Geary zu.
»Dann bleibt mir also keine andere Wahl.« Er aktivierte den Befehl zur Bombardierung, der Countdown zum Start des Feuers näherte sich der Null, dann tippte er auf eine andere Taste, um seinen Befehl zu bestätigen. Minuten später war die Zeit abgelaufen, und die Kriegsschiffe begannen, kinetische Geschosse abzuwerfen.
Das Sperrfeuer durchdrang die Planetenatmosphäre wie ein tödlicher Hagel, jedes massive Stück Metall jagte mit enormer Geschwindigkeit der Oberfläche entgegen und speicherte dabei Energie, die im Augenblick des Aufpralls in einer vernichtenden Detonation freigesetzt wurde. Die Bewohner dieser Welt konnten die Geschosse bei ihrem Eintritt in die Atmosphäre beobachten, und es war ihnen auch möglich, ziemlich genau zu bestimmen, wo sie einschlagen würden. Aber sie konnten nichts tun, um die Projektile aufzuhalten, und es blieben ihnen allein wenige Minuten, um auf die nahende Gefahr zu reagieren. Menschen konnten dabei beobachtet werden, wie sie zu Fuß oder in Fahrzeugen aus befestigten Stellungen flohen, während die Truppentransporter nahe dem Gefangenenlager bemüht waren, möglichst schnell die Gefahrenzone zu verlassen.
Das Bombardement war so abgestimmt worden, dass jede Salve möglichst simultan die verschiedenen Ziele erreichte, um die psychologische Wirkung der Treffer noch zu verstärken. Die physikalische Wirkung musste dagegen nicht erst verstärkt werden. Wo die kinetischen Projektile einschlugen, verwandelten sich Geschützstellungen in Krater; Gebäude, in denen Sensoren, Kommando- oder Überwachungsanlagen untergebracht waren, wurden in Stücke gesprengt; Brücken und Straßen wurden restlos ausgelöscht. Auf einem breiten Streifen entlang der Strecke, die die Shuttles mit den Marines an Bord fliegen würden, und in weitem Umkreis um das Lager selbst hörten alle planetaren Verteidigungseinrichtungen von einer Sekunde zur nächsten auf zu existieren.