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Um diese Uhrzeit waren nur wenige Besatzungsmitglieder unterwegs, und die meisten von ihnen waren auf ihren Posten. Deshalb fiel ihm auch sofort die Frau auf, die vor ihm um eine Ecke bog.

Rione.

Sie sah ihn und zögerte kurz, doch dann ging sie weiter, bis sie unmittelbar vor ihm stehen blieb.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte er.

»Es ging mir schon schlechter.«

Sein schlechtes Gewissen regte sich prompt. »Kann ich irgendetwas für Sie tun?«

»Das bezweifle ich. Was Sie für mich getan haben … was wir beide getan haben, ist genau das, was zu dieser Situation geführt hat.« Sie schaute zur Seite. »Sie tragen daran keine Schuld. Das wäre nicht mal der Fall, wenn Sie mich gepackt und in Ihr Bett geschleift hätten, weil ich es schließlich wollte. Genau genommen war ich diejenige, die Sie verführt hat, nicht umgekehrt. Und das habe ich meinem Mann auch offen gesagt. Aber es geht hier nicht nur um die Vergangenheit, die Sie und ich teilen.« Rione senkte abermals den Blick, während sich ihre Miene verfinsterte. »Etwas in ihm hat sich verändert. Er ist düsterer … härter. Wütender.«

»Die meisten Gefangenen müssen eine Menge verarbeiten«, sagte Geary.

»Ich weiß, aber in seinem Fall ist Ihr medizinisches Personal in Sorge.« Sie schüttelte den Kopf. »Er redet nur noch von Vergeltung. Er will es den Syndiks heimzahlen, und er will es sogar den Menschen in der Callas-Republik heimzahlen, von denen er sich zurückgesetzt fühlt. Und an Ihnen will er sich natürlich auch rächen. Aber man hat mir versichert, dass sich seine Wutausbrüche bislang innerhalb akzeptabler Parameter bewegen.« Sie sagte das mit einem ironischen, bitteren Unterton.

»Und was ist mit Ihnen?«

»Mit mir?« Rione zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Mit Blick auf den Mann, der er einmal war, werde ich weiter versuchen, zu ihm durchzudringen. Er weiß jetzt sehr genau, dass ich ein Verhalten, wie er es heute an den Tag gelegt hat, nicht hinnehmen werde. Aber es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass ich nicht mehr die Frau bin, die ich mal war. Ich wurde Senatorin und Co-Präsidentin der Callas-Republik, ich habe vieles getan, seit wir getrennt worden sind. In seiner Vorstellung habe ich die ganze Zeit zu Hause gesessen und auf ihn gewartet, ohne mich in irgendeiner Weise zu verändern. Wie kann ich ihm böse sein, wenn er sich an dieses Bild geklammert hat, um die Trostlosigkeit dieses Arbeitslagers zu überstehen? Aber wie konnte er die Augen vor der Tatsache verschließen, dass ich eben nicht allein zu Hause sitzen und bis in alle Ewigkeit auf ihn warten würde, sondern dass ich dieses Zuhause verlassen würde, um zu tun, was ich tun konnte?«

»Es kann verdammt schwer sein«, sagte Geary bedächtig, »wenn man feststellen muss, wie sehr sich die Welt verändert hat, die man einmal so gut gekannt hatte.«

»Gerade Sie müssen das wissen.« Tonfall und Gesichtsausdruck verrieten, dass Rione innerlich zu ihm auf Abstand ging, obwohl sie nach wie vor dicht vor ihm stand. »Die Dinge verändern sich ständig, so wie sie zugleich immer so bleiben, wie sie einmal waren. Vertrauen Sie nie einem Politiker, Admiral Geary.«

»Nicht mal Ihnen?«

Nach einer langen Pause antwortete sie: »Vor allem nicht mir.«

»Was ist mit den Senatoren im Großen Rat?« Diese Frage hatte ihn schon lange gequält.

Diesmal ließ Rione sich noch mehr Zeit mit ihrer Antwort: »Ein lebendiger Held kann etwas sehr Lästiges sein.«

»Denkt die Regierung immer noch so von mir?«, fragte Geary geradeheraus.

»Die Regierung.« Rione hauchte einen kurzen Lacher aus, ihr Gesichtsausdruck veränderte sich dabei nicht. »Sie reden von ›der Regierung‹, als wäre die eine einzelne, monolithische Bestie von gewaltigen Ausmaßen, mit zahllosen Händen, die nur von einem einzigen Gehirn kontrolliert werden. Drehen Sie das Bild lieber um, Admiral. Stellen Sie sich vor, dass die Regierung ein Mammut ist mit nur einer einzigen, riesigen Hand, die von zahllosen Gehirnen gelenkt wird. In der Praxis bedeutet das, dass diese Hand zwar gewaltige Macht besitzt, aber sich schwerfällig und tollpatschig bewegt. Sie haben den Großen Rat bei der Arbeit beobachten können. Welches Bild halten Sie für passender?«

»Was ist im Augenblick los? Wieso sind Sie wirklich hier?«

»Ich bin eine Gesandte der Allianz-Regierung.« Ihre Stimme verriet keine Gefühlsregung.

»Wer hat Sie zur Gesandten bestimmt? Navarro?«

»Navarro?« Sie sah ihm wieder in die Augen. »Glauben Sie, er würde Sie hintergehen?«

»Nein.«

»Dann haben Sie recht. Jedenfalls würde er es nicht wissentlich machen. Aber er ist müde, ihm haben die Pflichten im Großen Rat die Kräfte geraubt. Suchen Sie woanders, Admiral. So einfach sind die Dinge nicht.«

»Wir sind nicht nach Dunai geflogen, nur weil Ihr Mann hier gefangen war. Sie wussten gar nicht, dass er hier festgehalten wurde. Wen sollten wir tatsächlich aus dem Lager holen?«

Wieder folgte eine lange Pause. »Suchen Sie nach einer einzelnen Person?« Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging an ihm vorbei durch den Korridor.

»Würden Sie mir wichtige Informationen vorenthalten, wenn Sie wollten, dass ich Sie und Ihren Mann sicher zurück nach Hause bringe?«, rief Geary ihr nach. Rione antwortete nicht, sondern ging einfach weiter.

Es war ihm gelungen, einige der zahlreichen Bitten und auch Forderungen nach einem persönlichen Treffen von sich fernzuhalten, die von Charban an ihn weitergeleitet worden waren, bis die Dauntless und der Rest der Flotte in das Nichts des Sprungraums zurückgekehrt war. Aus Respekt vor dem Rang und Dienst an der Allianz hatte sich Geary nur Zeit genommen, um mit einigen wenigen zu reden. Dabei hatten sich diese Treffen überwiegend als schwierig erwiesen, da er den Offizieren nichts von dem bieten konnte, was sie von ihm erwarteten. Obwohl er es ihnen ausführlich darlegte, beharrten etliche von ihnen auf ihren Forderungen.

Nie zuvor hatte er das isolierte Nichts des Sprungraums so genossen wie in diesem Moment.

Die Arbeiten auf der Dauntless sorgten weiter dafür, dass Korridore zeitweise gesperrt waren, aber das allmähliche Vorrücken dieser Baustellen war auch der Beweis dafür, dass die Überholung des Schiffs Fortschritte machte. Hin und wieder wurden dabei ganze Sektionen übersprungen, weil dort Systemkomponenten aufgrund von in Gefechten davongetragenen Schäden bereits umfassend ausgetauscht worden waren. »Die Überholung der Dauntless ist zu einundfünfzig Prozent abgeschlossen«, hatte Captain Smythe vor dem Sprung stolz verkündet. »Die restlichen neunundvierzig Prozent können aber noch ziemlich haarig werden, weil wir erst mal das erledigt haben, was mit dem geringsten Aufwand verbunden ist.«

Wenig später erhielt Geary Besuch von Desjani, die beim Betreten seines Quartiers auf den Matrosen neben ihr deutete, einen Master Chief Petty Officer, dessen Bauchumfang an der obersten Grenze dessen liegen musste, was die Flotte erlaubte. Seine Uniform saß dennoch tadellos, und die Abzeichen ließen erkennen, dass er einige beeindruckende Gefechtsauszeichnungen erhalten hatte. »Admiral, kennen Sie Master Chief Gioninni?«

Geary nickte, da er sich gut daran erinnern konnte, dem stämmigen Mann einige Male begegnet zu sein. »Wir haben uns schon mal unterhalten.«

»Hat Master Chief Gioninni bei einer dieser Unterhaltungen jemals erwähnt, dass er noch nie wegen der Verletzung eines einzigen Gesetzes oder einer einzigen Vorschrift verurteilt worden ist? Und dass dennoch unzählige Gerüchte darüber kursieren, er würde angeblich in einem solchen Umfang tricksen und schachern, dass die taktischen Systeme eines typischen Schlachtkreuzers damit hoffnungslos überfordert wären?«