Diese Entscheidung war für ihn nicht einfach gewesen. Es war nicht auszuschließen, dass die Syndiks bei Midway sich in irgendeiner Weise mit den Aliens geeinigt hatten, damit die Zugang zu diesem System hatten. Wenn sie dort auftauchten und sofort das Feuer eröffneten, liefen sie Gefahr, eine erst kurz zuvor vereinbarte friedliche Koexistenz zu zerstören. Sehr wahrscheinlich war das allerdings nicht, wenn man in Erwägung zog, was über die Aliens bekannt war. Außerdem würden wertvolle Sekunden und Minuten verstreichen, wenn jedes Schiff sich erst bei ihm eine Erlaubnis einholte, um das Feuer eröffnen zu dürfen. Sekunden und Minuten, die über Leben und Tod entscheiden konnten.
Dann ging ihm ein Gedanke durch den Kopf, der ihn glücklicherweise daran erinnerte, dass er noch etwas sagen musste. »Die Syndiks im Midway-Sternensystem stehen uns nicht feindselig gegenüber, sie werden daher auch nicht angegriffen, solange ich das nicht ausdrücklich genehmige. Es könnte ein Kriegsschiff oder ein Kurierschiff der Syndiks am Hypernet-Portal Wache halten. Dieses Schiff wird nicht unter Beschuss genommen. Wenn wir unseren Erwartungen entsprechend dort nicht auf die Aliens treffen, wird diese Flotte Midway durchqueren und den Sprungpunkt ansteuern, den die Aliens benutzt haben. Auf diesem Weg werden wir in ihr Territorium vordringen. Die Vorfahren eines jeden Einzelnen in dieser Flotte wären sicher stolz darauf, dass er zu denen gehört, die an diesem historischen Erkundungsflug teilnehmen dürfen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Desjani sah ihn an. »Sie haben den Syndiks in Midway das Geheimnis der Quantenwürmer der Aliens anvertraut. Mit diesem Wissen könnten sie in die Lage versetzt worden sein, sich mit ihrer kleinen Flotte zur Wehr zu setzen.«
»Möglicherweise ja. Achten Sie darauf, dass Ihre Finger nicht zu den Feuerkontrollen zucken, wenn wir bei Midway das Portal verlassen und vor uns einen Syndik-Jäger sehen.«
Sie setzte eine gespielt verletzte Miene auf. »Ich feuere Waffen nur ab, wenn ich das will.«
»Davon rede ich ja.«
Das Gefühl der Desorientierung war beim Verlassen des Hypernets nicht ganz so schlimm wie beim Sprungraum. Innerhalb einer Sekunde nach dem Auftauchen der Flotte bei Midway konzentrierte sich Geary auf sein Display, während die Sensoren aller Schiffe hastig die Daten aktualisierten.
Tatsächlich hielt sich ein einzelnes Syndik-Schiff einige Lichtminuten entfernt in der Nähe des Portals auf. Damit war es glücklicherweise weit genug entfernt, dass kein Allianz-Schiff »versehentlich« eine Salve darauf abfeuern konnte. Es handelte sich aber nicht um ein Kriegsschiff, sondern um ein ziviles Raumfahrzeug, dessen Präsenz am Hypernet-Portal eher ungewöhnlich war. Die einzigen anderen Schiffe hielten sich in einer Entfernung von gut einer Lichtstunde auf, ein paar zivile Frachter, die mit Blick auf einen sparsamen Verbrauch ihrer Brennstoffvorräte gemächlich auf dem Weg ins System waren oder zum Portal flogen.
Midway hatte sich nicht sehr verändert. Die gleichen Planeten und anderen Objekte wie beim letzten Besuch zogen auf ihren Bahnen um den Stern, so wie sie es schon seit einer Ewigkeit machten, ohne von den Menschen Notiz zu nehmen, die sich seit sehr kurzer Zeit für die Herrscher dieses Sternensystems hielten. Die Syndik-Flotte, die zum Schutz des Systems abgestellt worden war, bestand nach wie vor aus sechs Schweren Kreuzern, die Zahl der Leichten Kreuzer war um einen auf fünf erhöht worden, die Zahl der Jäger belief sich auf nur noch ein Dutzend. Es gab keinen Hinweis darauf, dass seit dem Zusammentreffen der Allianz-Flotte und der Aliens vor drei Monaten irgendwelche kriegerischen Auseinandersetzungen vorgefallen waren.
Dort, wo es zuletzt von Schiffen gewimmelt hatte, die die Bewohner des Systems vor einer Attacke der Aliens in Sicherheit hatten bringen wollen, war nun bloß routinemäßiger Fracht- und Passagierverkehr zu beobachten.
»Was glauben Sie, wieso sie nicht mehr so viele Jäger haben?«, fragte Geary an Desjani gewandt. »Hier deutet nichts auf einen Kampf hin, seit wir das System zuletzt verlassen haben.«
Sie verzog missbilligend den Mund, dann deutete sie auf die Region rings um das Hypernet-Portal. »Da hält sich in der Nähe gar kein Jäger auf. Die übliche Vorgehensweise der Syndiks bestand bislang darin, einen Jäger an einem Sprungpunkt oder einem Hypernet-Portal zu postieren, damit der als Kurier fungieren kann. Stattdessen haben sie nun ein ziviles Schiff dafür abgestellt.« Desjani schaute Geary an. »Vermutlich haben sie ein paar Jäger als Kuriere benutzt, um Nachrichten zur Zentralregierung in ihrem Heimatsystem zu überbringen, und die haben die Schiffe einfach einkassiert.«
»Das, was von der Syndik-Regierung noch übrig ist, kann jedes Kriegsschiff gebrauchen, das ihr in die Finger fällt. Aber die Leute hier brauchen ihre Schiffe auch. Meinen Sie, sie haben auf zivile Schiffe als Kuriere umgestellt, als sie gemerkt haben, dass ihnen allmählich die Jäger ausgehen?«
»Selbst Syndiks dürften schlau genug sein, um das zu erkennen«, sagte sie. »Nach einer Weile jedenfalls. Dafür haben sie sich einen weiteren Leichten Kreuzer einverleibt, vielleicht einen, der auf der Durchreise war und dessen Crew sie zum Bleiben überreden konnten. Aber vergessen Sie nicht, dass diesen Syndiks hier die schützende Flotte weggenommen wurde, damit sie uns stoppt. Die wissen, dass ihre Flotte nicht zurückkehren wird und dass ihre eigene Regierung sie praktisch wehrlos gegen die Aliens zurückgelassen hat.«
»Sie müssen wissen, dass sie auf sich allein gestellt sind«, stimmte Geary ihr zu. »Ich werde sie wissen lassen, dass wir nur auf dem Durchflug sind. Vielleicht können sie uns ja neue Erkenntnisse über diese Wesen liefern.«
»Dann wollen sie bestimmt im Gegenzug etwas von uns haben.«
»Vielleicht verspüren sie ja noch eine gewisse Dankbarkeit, dass wir ihnen das Leben gerettet haben.«
Desjani machte sich gar nicht erst die Mühe, darauf etwas zu erwidern.
Die Primärwelt befand sich derzeit fast genau auf der gegenüberliegenden Seite des Sterns, was die Kommunikation um einige Minuten hinauszögern würde. Da aber der Gesamtabstand zwischen der Flotte und diesem Planeten ohnehin bei über fünf Lichtstunden lag, machte das auch nicht mehr viel aus.
Die Syndiks hatten abgewartet, zunächst von den Allianz-Schiffen zu hören, daher traf ihre Antwort ein, als die Flotte bereits einen halben Tag im Midway-Sternensystem unterwegs war und sich dem Sprungpunkt zu jenem System deutlich genähert hatte, dem die Menschen einmal den Namen Pele gegeben hatten. Vor Jahrzehnten hatten sie es dann aber wieder verlassen müssen, als die Aliens dort einfielen und die Menschen vertrieben.
CEO Iceni meldete sich. Sie saß an ihrem Schreibtisch und schaute skeptisch in die Kamera, was nur zu verständlich war. Immerhin begrüßte sie eine große Raumflotte der Allianz in ihrem System; eine Flotte, die in den Jahrzehnten vor dem Friedensvertrag mit aller Verbitterung und Beharrlichkeit bekämpft worden wäre. »Ich richte meinen persönlichen Gruß an Admiral Geary. Um auf Ihre Frage zu sprechen zu kommen: Nein, wir haben seit der Abreise Ihrer Flotte keine Aktivitäten der Enigma-Rasse mehr beobachten können. Es ist der Wunsch unseres Volks, dass es auch weiterhin bei dieser Situation bleibt. Wir wollen die Enigma-Rasse nicht zu weiteren Offensiven gegen unser System provozieren. Nennen Sie uns bitte den Grund für die Rückkehr Ihrer Flotte nach so vielen Monaten der Abwesenheit. Die Menschen von Midway sind Ihnen natürlich nach wie vor dankbar für die Verteidigung dieses Systems, dennoch gehört Ihre Flotte einer fremden Macht an. Wir wissen, dass vage Vertragsformulierungen diesen Zustand erlauben, aber die Bewohner des Midway-Systems hegen nicht den Wunsch, dass die Allianz ein solches Eindringen in unser Gebiet zur Routine werden lässt. Wir werden Ihre Bewegungen aufmerksam verfolgen und darauf bestehen, dass zukünftige Besuche durch fremde Kriegsschiffe in unserem System zuvor mit uns abgesprochen werden.«