Lieutenant Jamensons grünes Haar wirkte irgendwie nicht ganz so leuchtend, als sie gegenüber von Geary Platz nahm. »Admiral, es gibt da eine Sache, von der Captain Smythe meint, ich sollte Sie darüber informieren.«
»Ein Problem mit den Reparaturen innerhalb der Flotte?«
»Nein, Sir.« Jamenson hielt kurz inne, als wisse sie nicht so recht, wie sie weiterreden sollte. »Ich sagte Ihnen ja bereits, dass ich nicht nur Dinge verdrehen, sondern auch entwirren kann. Captain Smythe … nun, er hält sich gern auf dem Laufenden über alles, was sich so abspielt, deshalb überwacht er auch einen Großteil des Nachrichtenverkehrs, der nicht ausdrücklich für ihn oder für sein Kommando bestimmt ist.«
»Verstehe.« Das bedeutete nichts anderes, als dass Captain Smythe schon in Varandal Allianz-Mitteilungen angezapft hatte, die ihn eigentlich nichts angingen. Es überraschte Geary nicht sonderlich. Rein rechtlich betrachtet war es eine Verletzung der Sicherheitsregeln und der Kommunikationsbestimmungen, aber in der Praxis war Captain Smythe nicht der einzige befehlshabende Offizier, der auf diese Weise Ausschau nach Dingen hielt, die er besser wissen sollte, auch wenn formal nicht festgelegt worden war, dass man ihn davon in Kenntnis zu setzen hatte. Außerdem konnte es nie schaden, wenn man etwas wusste, das eigentlich nur ein anderer erfahren sollte.
»Wir hatten eine Menge solcher Nachrichten zwischengespeichert, bevor wir das Allianz-Gebiet verließen«, fuhr Jamenson fort. »Es dauert eine Weile, sie durchzuarbeiten, weil sie zahlreiche Details sowie unbekannte Programmcodes und Finanzierungskanäle enthalten, die ich nicht kenne. Aber ich glaube … nein, ich bin mir sicher, dass in diesen Nachrichten ein Muster zu finden ist.«
Ihr Tonfall war alles andere als ermutigend. »Etwas, das diese Flotte betrifft?«
»Das weiß ich nicht, Admiral. In wenigen Worten zusammengefasst: In der Allianz werden weiter neue Kriegsschiffe gebaut.«
»Das ist uns bekannt«, sagte Geary. »Es werden die Schiffe zu Ende gebaut, deren Hüllen bereits fertiggestellt sind.«
»Nein, Sir. Es ist viel mehr als nur das.« Abermals zögerte Jamenson. »Ich kann mich nicht mit absoluter Gewissheit auf Zahlen festlegen, aber nach der Anzahl der Projektnummern, der Verweise auf Verträge und der Finanzierungsanforderungen muss es sich mindestens um je ein Dutzend Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer handeln, darunter auch umfassende Modifikationen an den teilweise fertiggestellten Hüllen. Dazu kommen noch etliche Schwere und Leichte Kreuzer sowie Zerstörer, die als Eskorten dienen sollen.«
Eine Zeit lang sah er Jamenson schweigend an, während er versuchte, diese Information in das einzufügen, was er bereits wusste. Oder was er zu wissen glaubte. »Und das wird geheim gehalten?«
»Ja, Admiral. Wir sollten keine von diesen Nachrichten sehen, die den Bau der Schiffe angehen, und das Ganze ist in einem Wirrwarr aus Details verborgen. Es existiert nicht eine einzige Namensnennung einer Werft, von daher war es schwierig herauszufinden, um was es da überhaupt geht.«
Wieder folgte eine lange Pause, in der Geary nachzudenken versuchte. »Hilfsschiffe? Werden auch Hilfsschiffe gebaut?«
»Ähm …« Jamenson schaute verdutzt drein. »Ich habe keinen Hinweis auf den Bau neuer Hilfsschiffe entdecken können, Admiral.«
Hatte das Hauptquartier deshalb versucht, ihm einen Teil seiner Hilfsschiffe abzunehmen? Oder waren diese neuen Schiffe lediglich für die Verteidigung der Allianz vorgesehen, nicht aber für irgendwelche Operationen außerhalb des Territoriums?
Warum hatte man den Bau dieser Schiffe vor ihm geheim gehalten? Warum hatten der Große Rat und alle anderen ihm gegenüber beteuert, dass keine neuen Schiffe mehr gebaut wurden? Und was hatte es mit diesen umfangreichen Modifikationen auf sich? Wurden diese Schiffe so angelegt, dass sich ihre Lebensdauer verlängerte? Wenn das der Fall war, dann hatte irgendjemand erkannt, was mit den viel kurzlebigeren Schiffen in Gearys Flotte schon bald geschehen würde.
Jamenson sah ihn besorgt an und biss sich auf die Unterlippe.
Schließlich nickte Geary ihr zu. »Danke, Lieutenant. Das ist eine wichtige Information, und dank Ihren Fähigkeiten wissen wir jetzt Bescheid. Haben Sie sonst noch etwas?«
»Nein, Sir, das ist alles, was ich Ihnen im Moment dazu sagen kann.«
»Aber Sie können guten Gewissens sagen, dass vierundzwanzig große Kriegsschiffe und genügend kleinere Schiffe für eine Eskorte gebaut werden?«
»Ja, Sir. Ich kann Ihnen alle Details aufzeigen, Admiral.«
»Lassen Sie die einfach bei mir, dann kann ich sie mir in Ruhe ansehen.« Erneut hielt er kurz inne. »Richten Sie bitte Captain Smythe meinen Dank aus, dass er vorausschauend genug war, mich über diese Erkenntnisse ins Bild zu setzen. Haben wir irgendeinen Anhaltspunkt, inwieweit die Bürokratie daheim durchschaut hat, dass wir diese Flotte aufrüsten?«
»Nein, Sir, tut mir leid. Allerdings gab es bis zum Zeitpunkt unserer Abreise keinen Hinweis darauf, dass jemand etwas durchschaut haben könnte. Ich gab mir ganz besondere Mühe, um alles so undurchschaubar wie möglich zu machen.«
»Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich einem Lieutenant jemals für so etwas dankbar sein würde.« Geary warf ihr seinen anerkennendsten Blick zu. »Verdammt gute Arbeit, Lieutenant. Nochmals vielen Dank.«
Wenn das hier alles vorüber war, sollte er ihr eigentlich einen Orden verleihen, weil sich die Flotte dank ihrer Leistung auf etwas gefasst machen konnte, das noch keine klare Form hatte, von dem sie aber anderenfalls erst erfahren hätte, wenn es womöglich schon zu spät gewesen wäre. Aber wie sollte er den Orden begründen? Unter schwierigen Arbeitsbedingungen und mit begrenzten Ressourcen ist es Lieutenant Jamenson gelungen, wiederholt vorgesetzte Dienststellen zu verwirren und dafür zu sorgen, dass die entsprechenden, in der Befehlskette über ihr stehenden Offiziere nicht in der Lage waren, die tatsächlichen Sachverhalte zu durchschauen. Viele Junioroffiziere (und gar nicht mal so wenige Senioroffiziere) hatten das in der Vergangenheit unabsichtlich bewerkstelligt, aber Jamenson konnte die Erste sein, die für ein vorsätzliches Handeln ausgezeichnet wurde.
Zwölf Schlachtschiffe und zwölf Schlachtkreuzer. Etwas, das man vermutlich vor den Steuerzahlern und ganz sicher vor den Syndiks verschweigen wollte. Aber wieso diese Anstrengungen, auch ihn selbst und viele andere darüber im Unklaren zu lassen?
CEO Iceni lächelte flüchtig, wie ein Geschäftspartner oder vielleicht ein Mitverschwörer. »Ich werde Ihnen erklären, was ich von Ihnen will, Admiral Geary, dann sage ich, was ich Ihnen im Gegenzug anbiete. Dann können Sie entscheiden, ob das ein fairer Tausch ist oder nicht. Ich versichere Ihnen, ich bitte Sie um nichts, was Sie mir nicht geben könnten. Was dieses Sternensystem vor allem benötigt, ist Ihr Schutz vor der Enigma-Rasse. Ich glaube, ich liege nicht verkehrt, wenn ich Folgendes sage: Die Formulierung im Friedensvertrag, die Sie als Rechtfertigung benutzen, um ungehindert durch das Gebiet der Syndikatwelten zu reisen und in dieses System zu gelangen, lässt sich auch als eine zeitlich unbefristete Verpflichtung der Allianz deuten, dieses Sternensystem gegen die Enigma-Rasse zu verteidigen.«
Mit allem Möglichen hatte Geary gerechnet, aber nicht mit so etwas. Sein Gefühl sagte ihm, dass dies auch eine der Interpretationen des Vertragstextes war, über die Anwälte bis in alle Ewigkeit diskutieren konnten. Aber wenn die Syndiks etwas vorweisen konnten, was jeder Durchschnittsbürger als eine dauerhafte Verpflichtung der Allianz zur Verteidigung von Midway deuten würde, dann würde es schwierig werden, diese Auslegung des Vertragstextes zu ignorieren. Vor allem, wenn die Allianz ihrerseits eine Interpretation wählte, die die gleiche Passage zu ihren Gunsten deutete.
»Darüber hinaus«, fuhr Iceni fort, als sei das Thema der Verteidigung bereits beschlossene Sache, »möchte ich Ihre passive Unterstützung und Ihre aktive Duldung. Mein Wissen über die verbliebene Stärke der Allianz ist alles andere als umfassend. Zudem weigert sich die Zentralregierung der Syndikatwelten, uns mit Informationen über ihre momentane Schlagkraft zu versorgen. Allerdings kann ich wohl mit einiger Sicherheit behaupten, dass Sie und Ihre Flotte derzeit die beherrschende Macht im von Menschen besiedelten All darstellen. Wenn der Eindruck entsteht, dass dieses System Ihrem Schutz untersteht, dann wird jeder potenzielle Angreifer – ob menschlich oder nicht – es sich zweimal überlegen, ob er uns nicht lieber in Ruhe lässt.«