»Es scheint so, als könnten wir hier über diese Aliens gar nichts in Erfahrung bringen, wenn wir nicht gerade kopflos auf sie losstürmen«, meinte Duellos. »Dieses Hypernet-Portal zwingt uns, in der Nähe des Sprungpunkts zu bleiben.«
»Können wir nicht einfach umkehren?«, fragte Armus. »Warum sollen wir hier mit Nichtstun unsere Zeit vertrödeln? Wir kehren nach Pele zurück und suchen von dort nach einem anderen Weg in ihr Territorium.«
»Das würde einen großen Umweg bedeuten«, antwortete Geary. »Und es könnte sein, dass wir dann in Hua die gleiche Situation wie hier erleben. Es gibt noch eine andere Option.« Er deutete auf das Display über dem Konferenztisch, das das Hina-Sternensystem zeigte. »Wir hatten genug Zeit um die Syndik-Daten zu überprüfen und zu bestätigen, wonach es in diesem System vier Sprungpunkte gibt. Der eine, an dem wir uns derzeit befinden, zwei auf der gegenüberliegenden Seite des Systems, und dann noch dieser hier.« Er kennzeichnete die Position farblich.
»Der ist nah«, urteilte Tulev. »Aber ist er auch nah genug, um ihn zu erreichen?«
»Das Hypernet-Portal ist elf Lichtstunden weit weg, die nächsten Kriegsschiffe sind eine Lichtstunde von uns entfernt. Selbst wenn die Aliens Nachrichten mit Überlichtgeschwindigkeit versenden können, gibt uns das zwölf Stunden.«
»Der Sprungpunkt ist 2,4 Lichtstunden entfernt«, stellte Badaya fest. »Wir werden beschleunigen müssen, aber selbst wenn wir nicht auf über 0,2 Licht gehen, damit unsere Hilfsschiffe mithalten können, wäre es möglich, es in gut zwölf Stunden zu erreichen. Da bleiben immer noch … hmmm.« Er rechnete etwas aus. »Selbst wenn alle Schiffe optimal beschleunigen, bleibt noch ein Zeitfenster von zwanzig Minuten, in dem eine Explosion des Hypernet-Portals uns erwischen könnte.«
»Zwanzig Minuten?«, fragte Captain Parr. »Wenn wir in die Druckwelle geraten, wird sie uns zerstören. Das ist ein verdammt gewagtes Spiel. Worauf warten wir noch?«
Geary lächelte, als die anderen Offiziere ihre Zustimmung zu Parrs Einstellung erkennen ließen. Der Gedanke daran, was geschehen würde, wenn die Flotte von der Explosion des Hypernets erfasst wurde, ließ ihm einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Dennoch war er nicht davon ausgegangen, auf großen Widerstand zu stoßen, wenn es darum ging, selbst einem solchen Wagnis zuzustimmen. Rione saß schweigend da und warf ihm einen verstehenden Blick zu. Sie wusste, wie diese Flotte dachte. »Bevor wir aufbrechen«, warf Geary ein, »noch etwas anderes. Unsere Experten für intelligente nichtmenschliche Spezies« – er hoffte, er hörte sich nicht sarkastisch an – »haben alles analysiert, was wir hier bislang gesehen haben, und sie haben es zu dem hinzugefügt, was über die Enigma-Rasse bekannt ist. Sie würden uns gern eine Theorie vorstellen.«
Ein leises Seufzen ging durch den Raum wie von einer Gruppe Studenten, die soeben erfahren hatten, dass sie sich eine besonders langweilige Vorlesung anhören mussten. »Bringen wir’s hinter uns«, murmelte irgendwer.
Geary tippte die Befehle ein, die gleich darauf die zivilen Experten als kleine Gruppe am Tisch auftauchen ließen. Dr. Setin stand auf und begann mit sichtlichem Eifer zu reden: »Wir können Ihnen allen gar nicht genug für diese Gelegenheit danken. Es ist sehr riskant, mit zu wenigen Informationen zu viel zu spekulieren, aber meine Kollegin Dr. Shwartz ist auf eine interessante Perspektive gestoßen, von der wir glauben, dass Sie sie faszinieren wird.«
Shwartz erhob sich, als Setin sich wieder hingesetzt hatte. Sie sah sich am Tisch um, strich eine Strähne ihres recht kurz geschnittenen Haares aus der Stirn und begann plötzlich zu lächeln. »Verzeihen Sie, aber so wie meine Kollegen bin ich es nicht gewöhnt, dass man unseren Theorien allzu viel Interesse schenkt. Das ist für uns eine sehr ungewöhnliche Erfahrung.«
Sie zeigte auf die Darstellung des Sterns Hina, der über dem Tisch schwebte. »Ich glaube, die Enigma-Rasse unterscheidet sich von der Menschheit auf eine sehr markante Weise. Ich muss Ihnen als Offizieren des Militärs nicht erklären, dass wir Menschen uns bei unserem Umgang mit anderen Menschen auf offen zur Schau gestellte Macht und Aggression stützen. Das liegt in unserer Natur, so hat sich unsere Spezies aufgrund der Erfahrungen unserer frühesten Vorfahren entwickelt. Wenn wir einem Widersacher gegenübertreten, dann versuchen wir, unser eigenes Erscheinungsbild aufzublähen, um bedrohlicher zu wirken. Wir stehen aufrechter da, die Schultern gestrafft, die Arme leicht geöffnet, die Finger gespreizt – in etwa so wie eine Katze, die einen Buckel macht und ihr Fell sträubt, sodass sie eine größere Silhouette erzeugt. Was wir bauen, spiegelt genau diese Denkweise wieder. Unsere Schlachtschiffe wirken todbringend. Sie sollen nicht nur leistungsfähige Kriegsmaschinen sein, sondern sie sollen auch Bedrohung und Macht projizieren.«
Shwartz hielt kurz inne. »Die Enigma-Rasse dagegen scheint eine genau entgegengesetzte Strategie zu verfolgen. Ihre Methode ist uns Menschen nicht fremd, aber sie entspricht nicht unseren Instinkten. Ich gehe daher davon aus, dass die Enigmas nicht durch offen zur Schau gestellte Aggression agieren, sondern dadurch, dass sie ihre Gegenwart und ihre Macht verstecken.«
»Wie soll man jemanden beeindrucken oder abschrecken oder sonstwie reagieren lassen, wenn man sich vor demjenigen versteckt?«, wunderte sich Badaya.
»Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem abgedunkelten Raum«, erwiderte Dr. Shwartz. »In einem pechschwarzen Raum. Ist da jemand bei Ihnen? Wer ist da? Ist er gefährlich? Ist er so gefährlich, dass er Sie töten könnte? Wollen Sie ihn bekämpfen? Oder lieber weglaufen? Aber wenn Sie kämpfen wollen – wie bekämpfen Sie das Unbekannte?«
Inzwischen hörten die Flottenoffiziere ihr aufmerksam zu, und Desjani nickte zustimmend. »Ihre Theorie passt zu allem, was wir über die Aliens wissen. Sie legen vor allem Wert darauf, sich vor uns versteckt zu halten. Sogar die Würmer, die sich in die Betriebssysteme unserer Schiffe eingeschlichen hatten, sorgten dafür, dass die Aliens von unseren Sensoren nicht erfasst wurden, während sie immer genau wussten, wo wir uns aufhielten. Und die Würmer in den Hypernet-Portalen machten diese Installationen zu heimlichen Waffen, die uns überrumpeln sollten.«
»Genau«, bestätigte Shwartz. »Eine solche Vorgehensweise ist uns nicht fremd, schließlich arbeiten auch die Menschen mit Hinterhalten und greifen an, wenn der Feind uns den Rücken zudreht. Wir betrachten so etwas als unfair und unehrenhaft. Unsere Instinkte sagen uns, dass sich bei einer Auseinandersetzung die beiden Kontrahenten gegenüberstehen sollten, um sich einen ›fairen Kampf‹ zu liefern, wie wir es nennen.«
»Schlangen«, warf Captain Vitali ein. »Wollen Sie sagen, die Enigmas verhalten sich wie Schlangen?«
»In gewisser Weise könnte man das wohl so formulieren.«
»Aber bekämpfen sich Schlangen gegenseitig auch mit Hinterlist und Heimtücke?«, wollte Badaya wissen. »Bekämpfen sich Schlangen überhaupt gegenseitig? Ich sage Ihnen, was mich bei Ihrer Theorie beunruhigt, Doctor. Wenn man das Unbekannte benutzen will, um einen Gegner zu beeindrucken und zu verwirren, erfordert das aber doch einen Gegner, der in der Lage ist zu verstehen, dass da eine unbekannte Bedrohung existieren könnte. Das funktioniert doch nicht bei jemandem, der davon keine Ahnung hat. Es ist unbedingt ein Gegner notwendig, der das auch weiß.«
»Wieso stellt das ein Problem dar?«, wunderte sich Duellos.
»Weil der Gedanke nahegelegt wurde, dass die Aliens diese Kampfstrategie entwickelt haben. Wer war ihr Gegner, der sie auf diese Strategie hat verfallen lassen? Welchem Widersacher standen sie gegenüber, dass sie als seine Phantomgegner ihn dazu bringen konnten, die Nerven zu verlieren und die Flucht anzutreten?«
Dr. Shwartz legte die Stirn in Falten, nickte aber bedächtig. »Das sind berechtigte Fragen. Vielen Jägern kann man mit der richtigen Art von Bedrohung Angst machen. Vielleicht kam der Feind aus den eigenen Reihen, vielleicht in Form von sich heftig bekämpfenden Gruppen.«