»Jedes Fleisch in einem Verpflegungsriegel schmeckt wie Hühnchen«, warf Lieutenant Castries ein. »Außer Hühnchen.«
»Stimmt, Lieutenant«, gab Desjani zurück. »Echtes Hühnchen schmeckt wie … was? Hammel?«
»Schinken«, sagte Yuon. »Schlechter Schinken.«
»Dann kann das hier kein Hühnchen sein, weil es dann nicht nach Hühnchen schmecken dürfte«, folgerte sie.
»Fünfzehn Minuten bis zum Sprung«, meldete der Steuerwachhabende.
Geary überprüfte das Bremsmanöver seiner Schiffe und stellte fest, dass die gesamte Flotte im richtigen Maß abbremste, um beim Erreichen des Sprungpunkts mit 0,1 Licht zu fliegen.
»Was glauben Sie, wie die Aliens schmecken?«, fragte Desjani.
»Wir können sie nicht essen, sie sind intelligent«, wandte Geary ein.
»In Notsituationen essen Menschen manchmal sogar andere Menschen«, machte sie klar. »Zum Beispiel wenn man sich auf einem Schiffswrack befindet und keine Lebensmittelvorräte mehr vorhanden sind. Das ist bei der Marine fast schon so etwas wie eine Tradition.«
»Davon habe ich gehört«, sagte Geary. »Werden nicht zuerst die Junioroffiziere mit dem niedrigsten Dienstalter verspeist?«
»Soweit ich weiß ja.« Desjani musterte ihre Wachhabenden. »Nur damit wir das frühzeitig festlegen können: Wer von Ihnen wurde als Letzter befördert?«
Die Lieutenants sahen sich und grinsten dann. »Genau genommen, Captain«, antwortete Castries, »wurden Yuon und ich am gleichen Tag befördert.«
»Hm, wir können Sie aber nicht beide gleichzeitig essen. Ich nehme an, Sie hätten etwas gegen die alphabetische Reihenfolge einzuwenden, oder, Lieutenant Castries?«
»Nicht, wenn wir nach den Vornamen vorgehen, Captain«, gab Castries zurück. »Meiner lautet Xenia.«
»Das wird schwer zu überbieten sein, nicht wahr, Lieutenant Bhasan Yuon?«
Yuon schüttelte den Kopf. »Ich glaube aber, dass Lieutenant Castries die bessere Mahlzeit ergibt, Captain. Ich werde zu zäh und zu sehnig sein.«
»Fünf Minuten bis zum Sprung«, rief der Steuerwachhabende dazwischen.
»Vielleicht sollten Sie beide eine Münze werfen«, schlug Desjani vor, hob dann aber den Finger und machte eine Miene, als sei ihr ein genialer Einfall gekommen. »Ich weiß was. Ich teile diesem Team einfach einen Ensign zu.«
»Einen Notfallrations-Ensign?«, hakte Geary nach.
»Wir müssen das ja nicht in der Stellenausschreibung erwähnen. Das könnte potenzielle Freiwillige abschrecken.«
»Wie wär’s mit Master Chief Gioninni?«, schlug Yuon vor.
»Lieutenant Yuon«, sagte Desjani mit gespielter Entrüstung. »Wenn Master Chief Gioninni mit uns in einer Rettungskapsel sitzt, wird er uns so austricksen, dass wir zuerst gegessen werden, und dann wird er bei seinem Glück mit möglichen anderen Überlebenden auf einem Planeten landen, dessen Bewohner er davon überzeugen kann, ihn auf Lebenszeit zu ihrem Herrscher zu machen.«
Gearys Aufmerksamkeit war jetzt ganz auf seine Flotte gerichtet, während er das Hypernet-Portal, das noch immer keine Anzeichen eines Zusammenbruchs erkennen ließ, nur von Zeit zu Zeit mit einem flüchtigen Blick bedachte. Kein Schiff hinkte mehr hinter der Flotte her, alle flogen gleich schnell. Noch zwei Minuten. Die Flotte würde automatisch zum Sprung ansetzen, sobald die Steuersysteme feststellten, dass die richtige Position erreicht war. Das bedeutete, er musste den Sprung nicht erst noch befehlen, was nur weitere entscheidende Sekunden gekostet hätte.
»Eine Minute bis zum Sprung«, sagte der Steuerwachhabende.
»Das Portal benötigt zum Kollabieren mehr als eine Minute«, erklärte Desjani. »Bislang ist nichts passiert, also haben wir es geschafft.«
»Ja«, bestätigte Geary. »Wir haben es geschafft.« Er tippte auf seine Kontrollen. »An alle Einheiten: Die Aliens könnten ihre überlichtschnellen Komm-Fähigkeiten einsetzen, um ihre Streitkräfte bei Alihi zusammenzuziehen. Halten Sie sich gefechtsbereit, wenn wir den Sprungraum verlassen.«
Vierzig Sekunden später vollzog die Flotte den Sprung nach Alihi.
Desjani seufzte und stand von ihrem Platz auf, als das Grau des Sprungraums die Bedrohung durch die Aliens bei Hina ersetzte. »Ich bin müde und aus irgendeinem Grund wie ausgehungert. Ich werde mir was zu essen holen.« Sie beugte sich zu Geary vor. »Nächstes Mal denken Sie sich was aus, wie wir alle abgelenkt bekommen.«
»Mit Ihnen kann ich es aber nicht aufnehmen.«
»Ich weiß, trotzdem können Sie ja Ihr Bestes geben, Admiral.« Nach einem letzten Blick verließ Desjani die Brücke.
Der Sprungraum neigte dazu, bei Menschen Unbehagen auszulösen. Menschen gehörten nicht in den Sprungraum, und möglicherweise gehörte überhaupt nichts in den Sprungraum. Vielleicht waren die vorbeiziehenden Lichter Spiegelungen von etwas, das irgendwo anders geschah. Auf einer unterbewussten Ebene konnten sich Menschen hier einfach nicht wohlfühlen, und je mehr Zeit sie im Sprungraum zubringen mussten, umso gereizter wurden sie.
Doch was Geary während des Sprungs nach Alihi verspürte, das war anders als das übliche Unbehagen. Es hatte etwas mit Desjanis Bemerkung zu tun, die wie der Schatten einer Erinnerung durch seinen Kopf geisterte. Wenn man ein Messer hat … Was störte ihn so sehr an dem Bild, das die Aliens mit einem Messer in der Hand zeigte?
Während des Sprungs war eine normale Kommunikation zwischen zwei Schiffen nicht möglich, aber seit jener Zeit vor hundert Jahren, als er die Schlacht bei Grendel ausgetragen hatte, und der Gegenwart, in der er aus seinem Kälteschlaf erwacht war, hatte die Menschheit immerhin eine Methode entwickelt, wie man kurze und knappe Nachrichten von einem Schiff zum anderen schicken konnte. Am vierten Tag im Sprungraum, keine acht Stunden vor der Ankunft im Alihi-System, ging von der Mistral eine Nachricht für Geary ein.
So kurz diese Mitteilung auch war, las er sie dennoch wieder und wieder. Wegen der Aliens: Denken Sie an Rückendeckung. Lagemann.
Er bat Desjani, zu ihm in sein Quartier zu kommen und einen Blick auf die Übermittlung zu werfen.
»Wir wissen, wir können den Aliens nicht vertrauen«, sagte sie irritiert, nachdem sie die wenigen Worte gelesen hatte. »Ist das alles, was er uns sagen will?«
»Das glaube ich nicht. Er und seine Kollegen sollten sich mit der Frage beschäftigen, wie die Aliens vermutlich kämpfen werden.«
»Das klingt eher nach einer Warnung, dass jemand einem ein Messer in den Rücken jagen will.«
»Was?« Geary riss den Kopf herum und starrte sie an.
Ihre Verwunderung galt nun seiner Reaktion. »Ich sagte, das klingt nach einer Warnung, dass die Aliens versuchen könnten, uns ein Messer in den Rücken zu jagen.«
»Ein Messer. In den Rücken.«
»Das habe ich nicht wörtlich gemeint.«
Geary ballte die Faust vor der Stirn und ließ sie von seinem Kopf abprallen. »Verdammt! Genau das bedeutet es! Das ist es, was mich so gestört hat!« Er rief ein Display auf, das das Alihi-System zeigte – oder besser gesagt das Alihi-System, wie es zu der Zeit ausgesehen hatte, als sich dort noch die Außenposten der Syndiks befanden. »Sie schlagen aus dem Verborgenen zu. Ein Hinterhalt. Wenn die Würmer nicht mehr helfen, die eigene Position zu verschleiern, wo versteckt man sich dann in einem Sternensystem?«
Desjani zuckte mit den Schultern. »Hinter dem Stern oder hinter einem Planeten oder einem Mond.«
»Hinter einem Sprungpunkt?«
»Nein.« Sie tippte mit dem Finger auf das Display. »Sie reden von einer Streitmacht, die hinter einem Sprungpunkt in Position gegangen ist, um eine Flotte von hinten anzugreifen, die den Sprungpunkt verlässt. Das geht nicht. Das kann gar nicht gehen. Die Physik spricht dagegen.«
»Wieso?«
»Erstens wissen Sie nicht, ob und wann jemand einen Sprungpunkt verlässt. Es ist schon schwierig, eine relative Position zu einem Sprungpunkt beizubehalten, und es ist noch schwieriger, genau dahinter zu bleiben. Und wie lange wollen Sie da verharren? Tage, Wochen oder Monate? Zweitens bewegt sich ein Schiff, das den Sprungpunkt verlässt, mit 0,1 Licht von Ihnen weg. Sie selbst stehen im Raum und müssen erst einmal beschleunigen, um das Schiff zu verfolgen. Vielleicht schaffen Sie es, das Schiff einzuholen, aber das wird eine Weile dauern. Und dabei werden Sie von diesem Schiff aus auch noch beobachtet. Als Überraschungsangriff kann man das nicht bezeichnen.«