»Ich nehme an, Sie wollen sich das persönlich ansehen«, begann Geary. »Wohin soll das Shuttle der Dragon die Überreste bringen?«
»Auf die Tsunami bitte, Admiral. Dort befindet sich ein exzellenter Chirurg, der auch einige Erfahrungen mit Autopsien hat. Das ist auch das Schiff, auf dem sich die … ähm … die Experten für intelligente nichtmenschliche Spezies befinden. Wie lange, bis wir den Leichnam zu sehen bekommen?«
»Sie schicken uns vorab schon ein paar Scans, aber es wird fast einen Tag dauern, bis die Eingreiftruppe zurück bei der Flotte ist und bis Sie den Alien persönlich begutachten können, Doctor.« Danach wurde es nötig, sich an die viel weiter entfernte Illustrious zu wenden. »Captain Badaya, mein Kompliment gilt Ihnen und Commander Bradamont für eine hervorragend gelöste Aufgabe. Sobald die Eingreiftruppe die Flotte erreicht hat, möchte ich, dass die Dragon diese sterblichen Überreste per Shuttle zur Tsunami bringen lässt.«
Endlich hatten sie etwas gefunden. Vielleicht waren seine Gebete ja erhört und zum Teil beantwortet worden.
Geary hielt sich in seinem Quartier auf, als Badaya sich wieder bei ihm meldete, da seine Eingreiftruppe zur Flotte zurückgekehrt war und die Schiffe nun wieder ihren Platz in der größeren Formation einnahmen. »Tut mir leid, dass ich Ihnen diesen Frachter nicht mitbringen konnte, Admiral. Aber wenigstens haben wir jetzt einen Teil einer Leiche. Hässliche Geschöpfe, nicht wahr?«
»Schwer zu sagen«, erwiderte Geary. »So zugerichtet, wie die Leiche ist.«
»Gutes Argument. Ernsthafte Probleme gibt es nicht zu berichten, aber ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie mit dem befehlshabenden Offizier der Invincible ein ernstes Wort reden könnten.«
»Was ist denn passiert?«
»Captain Vente kommt nicht so gut damit klar, dass er meiner Division zugeteilt worden ist. Er macht immer wieder Anspielungen, dass er das höhere Dienstalter hat und er eigentlich das Kommando haben sollte. Während der Operation hat er sich über jeden meiner Befehle beklagt, um zu betonen, wie unzufrieden er damit ist, dass ich die Eingreiftruppe befehlige und nicht er.«
Es war keine große Überraschung, das zu hören. »Hat er irgendetwas gemacht, das einen formellen Tadel rechtfertigen würde?«
»Leider nicht«, antwortete Badaya und verzog missmutig den Mund. »Vente stehen die Admiralsabzeichen ins Gesicht geschrieben, aber er ist schlau genug, es nicht zu übertreiben. Schließlich will er ja ein großes Kommando abkriegen, damit er bei der Rückkehr zum Hauptquartier etwas vorweisen kann, das ihm seine erhoffte Beförderung einbringt.«
»Vielleicht hätte ihm jemand sagen sollen, dass der Beförderungsautomatismus der Vergangenheit angehört.«
»Ha! Ich habe in meiner Zeit oft genug mit Leuten von Ventes Schlag zu tun gehabt. Diese Typen glauben, dass ihre Beziehungen ihnen trotzdem dazu verhelfen, das zu kriegen, was allen anderen verwehrt bleibt.«
Geary nahm sich einen Moment Zeit, um sich für eine lästige, aber unverzichtbare Aufgabe zu wappnen, dann rief er Vente. Fast zwanzig Minuten später – lange genug, um Gearys Geduld zu strapazieren, aber nicht lange genug, um sich dafür eine Zurechtweisung einzuhandeln – tauchte Ventes Bild in Gearys Quartier auf. »Captain Vente, aus gegebenem Anlass muss ich Ihnen offenbar erklären, dass ich die Befehlsstrukturen innerhalb dieser Flotte nicht verändern werde, nur weil ein Captain ein höheres Dienstalter vorweisen kann als ein anderer. Captain Badaya befehligt seine Division bereits seit einer ganzen Weile mit Erfolg, und er wird sie auch weiterhin befehligen.«
Daraufhin wurde Ventes Gesichtsausdruck noch finsterer. »Das verstößt gegen die Vorschriften.«
»Nein, das tut es nicht. Ansonsten würden Sie jetzt schon die entsprechenden Vorschriften zitieren. Lassen Sie sich von mir sagen, dass ich den Dienst und die Ehre all meiner Offiziere respektiere. Ich werde nicht zulassen, dass irgendein Offizier in dieser Flotte auf eine Weise behandelt wird, die diesen Respekt infrage stellt.«
»Admiral Chelak …«
»… hat nicht das Kommando über diese Flotte. Habe ich mich klar ausgedrückt, welches Verhalten ich von meinen Offizieren erwarte, Captain Vente?«
»Ja … Admiral.«
Nachdem Vente wieder verschwunden war, gab Geary den Unterstützungssystemen der Flotte den Befehl, ihn häufiger und detaillierter als bislang über den aktuellen Status der Invincible zu informieren. Gebt mir einen Grund, damit ich diesem Mann das Kommando entziehen kann. Irgendetwas, das ich problemlos rechtfertigen kann. Ich will nur hoffen, dass das bald geschieht.
Die medizinischen Vertreter sahen sich mit kaum verhohlener Neugier im Konferenzraum um. Der Kreis der Teilnehmer an Besprechungen war in den letzten Jahrzehnten immer enger gezogen worden, da die Konferenzen nach und nach zu politischen Debatten darüber ausgeartet waren, wer die Flotten kommandieren und wohin sie fliegen sollten. Zu der Zeit, da man Geary aus dem Kälteschlaf geholt hatte, war es üblich, dass außer den Befehlshabern der zur Flotte gehörenden Schiffe niemand zu diesen Besprechungen zugelassen war. Aber Geary hatte viel von der verloren gegangenen Disziplin wiedereingeführt, sodass die Besprechungen nicht länger in hitzige Diskussionen ausarteten – was vermutlich die enttäuschten Mienen der Ärzte erklärte.
Der Chirurg, der die Autopsie des Aliens geleitet hatte, hielt einen Vortrag über die Untersuchung, begleitet von virtuellen Bildern, die manchem Anwesenden auch dann auf den Magen geschlagen wären, wenn sie nicht dreidimensional und wie echte Körperteile über dem Konferenztisch schwebend projiziert worden wären. »Wir können nicht mit Gewissheit etwas dazu sagen, wieso dieser Alien-Körper so vergleichsweise gut erhalten geblieben ist, aber eine Analyse mit einer speziellen Software, mit der sich ein wahrscheinlicher Verletzungsablauf zurückverfolgen lässt, ergibt mit großer Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Individuum nicht mehr an Bord des Frachters befand, als der explodierte. Eine Neuanalyse der Aufzeichnungen von den letzten Augenblicken in der Existenz des Frachters hat ergeben, dass Sekunden vor der Explosion ein getarntes Objekt aus dem Schiff ausgestoßen wurde.«
»Eine Rettungskapsel?«, fragte Duellos überrascht.
»Wahrscheinlich ja. Der Abstand zum Frachter und die Hülle der Kapsel dürften den Insassen teilweise vor der Vernichtung geschützt haben.« Der Chirurg zeigte auf verschiedene Organe. »Vom Hals ist noch genug erhalten, um ein duales Atmungssystem auszumachen. Wir glauben, dass sich dieser Hautlappen schließt und dass die Atemluft von der Mehrkammerlunge zu diesen Organen umgeleitet wird. Die sind sehr empfindlich, und viel ist von ihnen nicht erhalten geblieben, dennoch vermuten wir, dass sie eine ähnliche Funktion erfüllen wie Kiemen.«
»Also Amphibienwesen!«, rief Dr. Setin dazwischen und lächelte erfreut, weil das bereits von seinen Experten vermutet worden war.
»Sehr wahrscheinlich«, antwortete der Chirurg. »Von den Augen ist nicht genug erhalten, um die Wellenlänge zu bestimmen, bei der sie optimal arbeiten. Die Kreatur könnte sechs Gliedmaßen gehabt haben, aber es lässt sich nicht sagen, wie die sich auf Arme und Beine verteilen. Wir können die wahrscheinlichen Funktionen der meisten noch vorhandenen Organe bestimmen, allerdings sind nicht viele Organe erhalten geblieben. Es handelt sich um eine Lebensform auf Kohlenstoffbasis, die unserem grundsätzlichen Aufbau ähnelt, und sie atmet Sauerstoff. Das Gehirn wurde sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Größe lässt sich annähernd schätzen, aber eine Bestimmung der verschiedenen Hirnregionen wäre extrem schwierig. Was jedoch offensichtlich erscheint, ist das Fehlen einer bilateralen Symmetrie des Hirns. Bei primitiveren fremden Lebensformen, wie wir sie auf von Menschen kolonisierten Welten vorgefunden haben, bedeutet das ein Fehlen von Rechts- oder Linkshändigkeit.«