Es folgte langes Schweigen, bis Shwartz Setin zunickte. »Vielleicht war ja gerade dieser eine Alien verrückt, jedenfalls nach den Maßstäben der Enigma-Rasse. Er … sie … es wollte nicht sterben, nur um uns weiter im Ungewissen über diese Spezies zu lassen.«
»Ein Feigling?«, meinte Badaya lachend. »Ich würde sagen, dieser eine Alien war mehr bei Verstand als alle anderen zusammengenommen, wenn er nicht für diese Sache sterben wollte. Aber sie würden ihn wohl als Feigling bezeichnen, wie?«
»Zweifellos«, bestätigte Setin.
Geary ließ seinen Blick über den Tisch wandern und sah, wie alle ihn anschauten und auf seine Entscheidung warteten. »Ich sehe keinen Sinn darin, dass wir weiter versuchen, in diesem Sternensystem etwas über die Enigmas herauszufinden. Vielleicht wird es ihnen nicht gelingen, all ihre Städte komplett auszulöschen, aber sie könnten durchaus über die Mittel verfügen, um einen Schaden anzurichten, der mit dem dieser Einrichtung auf dem Mond vergleichbar wäre. Wir sind hergekommen, um so viel wie möglich über die Enigma-Rasse herauszufinden, aber wie es scheint, können wir nicht mehr herausfinden. Wenn unsere Spekulationen über ihre Technologien zutreffen, dann wäre unsere vorrangigste Aufgabe, ihr überlichtschnelles Kommunikationssystem in die Finger zu bekommen. Allerdings sind die Chancen dafür so gering, dass sie nicht mal im Quantenbereich messbar sind. Daher werde ich der Flotte eine Reihe von Sprüngen befehlen, um festzustellen, in wie viele von den Enigmas kontrollierte Systeme wir vordringen können, ehe wir uns auf den Rückweg ins Allianz-Gebiet begeben. Unsere einzige Aufgabe besteht jetzt darin, so viel wie möglich über die Ausdehnung ihres Territoriums und über ihre Schlagkraft in Erfahrung zu bringen, auch wenn unsere Gesandten weiterhin ihre vermutlich vergeblichen Bemühungen fortsetzen werden, den Enigmas die Möglichkeit einer sinnvollen Kommunikation anzubieten.«
Er wartete auf Kommentare und Fragen, aber niemand sagte etwas. »Ich danke Ihnen allen. Ich werde die neuen Flugbefehle in Kürze übermitteln.«
Nachdem die meisten Offiziere verschwunden waren, blieb Dr. Setin noch anwesend, während Dr. Shwartz ihm wutentbrannt etwas zuflüsterte. »Admiral, es gibt da etwas, das ich mit Ihnen besprechen möchte«, erklärte Setin. »Vielleicht wäre es von Nutzen, einen einzelnen Menschen hier zurückzulassen, wenn die Flotte weiterfliegt. Er könnte womöglich mehr darüber …«
»Nein.«
»Ich würde mich freiwillig melden. Die Gelegenheit …«
»Das kann ich nicht zulassen, Doctor. Es tut mir leid. Nach allem, was die Syndiks uns erzählt haben, wurden bereits etliche Menschen von den Enigmas gefangen genommen. Es gäbe für die keinen Grund, Sie am Leben zu lassen.«
Setin stand unschlüssig da, bis Dr. Shwartz wieder etwas zu ihm sagte. »Ja, das ist wahr«, lenkte er schließlich ein. »Vielleicht stoßen wir nach einem der von Ihnen geplanten Sprünge ja auf eine andere intelligente Spezies.«
»Das wäre schön, Doctor.« Vor allem wenn es sich dabei um eine Spezies handelte, die nach menschlichen Maßstäben nicht verrückt war.
Die Flotte unternahm einen langen Sprung hin zu einem Stern, der ganz frisch auf den Namen Tartarus getauft worden war – gleich nachdem Captain Desjani hatte herausfinden müssen, dass es im Gebiet der Syndiks bereits einen Stern namens Purgatory gab.
Tartarus erinnerte, gemessen an der Enigma-Bevölkerung, an Limbo, allerdings störte sich Geary mehr an der Tatsache, dass die Zahl der sie verfolgenden Alien-Kriegsschiffe immer weiter anwuchs und sich mittlerweile auf fünfunddreißig belief. Aber hier gab es kein Hypernet-Portal, und nachdem Dr. Setin hartnäckig genug gebettelt hatte, war Geary bereit gewesen, lange genug im System zu bleiben, damit sie Erkundungssonden aussenden und einen letzten Versuch unternehmen konnten, mit den Aliens sinnvoll zu kommunizieren.
Nachdem auch ein paar Tage später auf keinem der beiden Gebiete irgendwelche Fortschritte erzielt worden waren, wollte Geary der Flotte den Befehl zum Verlassen des Systems geben, als eine dringende Mitteilung einging.
»Sir!« Lieutenant Iger klang ein wenig außer Atem. »Admiral, wir haben Menschen entdeckt!«
Dreizehn
Ein einzelnes Bild tauchte neben Igers Kopf auf und zeigte ein paar verschwommene Gestalten. »Diese Entdeckung ist purer Zufall«, erläuterte Iger. »Eine der Sonden ist auf einen Datenstrom von diesem Asteroiden gestoßen.« Ein weiteres Bild öffnete sich und präsentierte einen Asteroiden mit einem Durchmesser von rund vierzig Kilometern, der sich recht schnell um seine Achse drehte. »Die Überschneidung mit diesem Datenstrom dauerte nur einen Sekundenbruchteil, aber wir konnten dabei ein verschlüsseltes Video aufschnappen, aus dem wir genügend Details herausgeholt haben, um das hier zu sehen.«
Geary kniff die Augen zusammen, als er unscharfe Konturen sah. Das waren eindeutig keine Enigmas, und auch wenn keine Einzelheiten zu erkennen waren, handelte es sich dabei eindeutig um Menschen. »Die sind auf diesem Asteroiden?«
»In diesem Asteroiden, Admiral«, antwortete Iger. »Wir sind davon überzeugt, dass er ausgehöhlt wurde. Wir haben seine Rotation überprüft. Sie reicht aus, um drei Viertel der Standardschwerkraft zu erzeugen, wenn jemand auf der Innenseite der Asteroidenhülle steht.« Auf der Oberfläche des Objekts leuchteten verschiedene Symbole auf. »Wir konnten einige Anomalien feststellen, die vermutlich durch Kommunikations- und Sensorantennen der Enigmas verursacht werden. Es ist nicht ungewöhnlich, solche Artefakte auf Asteroiden in von Menschen besiedelten Sternensystemen zu entdecken, weil sie von den Minenarbeitern dort zurückgelassen werden, die dafür keine weitere Verwendung mehr haben. Aber diese Objekte wurden sorgfältig getarnt, und die Enigmas scheinen nicht zu der Art von Leuten zu gehören, die irgendetwas rumliegen lassen.«
In einem Asteroiden. Ohne eine Möglichkeit zu fliehen. Und völlig im Unklaren darüber, wo sich die Enigmas aufhielten. »Aus der Sicht der Aliens zweifellos das perfekte Gefängnis.«
»Ja, Sir.« Anstatt auf seine Entdeckung stolz zu sein, verzog Lieutenant Iger missmutig den Mund. »Ich … ich wüsste nicht, wie wir sie da rausholen sollen.«
Tartarus. Wie es schien, hatte dieses Sternensystem einen passenden Namen erhalten.
Die in die Hunderte gehenden Offiziere am Tisch im Flottenkonferenzraum hörten mit wachsender Begeisterung zu, als Lieutenant Iger ihnen von seiner Entdeckung berichtete. Nachdem er geendet hatte, schüttelte Tulev nachdenklich den Kopf. »Wenn wir uns diesem Asteroiden auch nur auf einen Kilometer nähern, werden sie ihn zerstören. Sie haben kein Problem damit, ihresgleichen zu ermorden, da werden sie bei diesen Menschen da erst recht nicht zögern.«
»Wie nahe können wir herankommen, bevor sie das machen?«, wollte Badaya wissen.
Auch Iger schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, Sir. Nach unseren Erfahrungen bei Limbo werden die Aliens wohl warten, bis sie Gewissheit haben, welches Ziel wir ansteuern. Dann vernichten sie es. Dieses spezielle Ziel ist sehr gut getarnt. Hätten wir nicht diese Übertragung abgefangen, wären wir vermutlich gar nicht auf den Gedanken gekommen, uns diesen Asteroiden genauer anzusehen. Dann wäre uns die getarnte Ausrüstung auf der Oberfläche nicht aufgefallen, und wir hätten uns nicht weiter mit diesem Objekt beschäftigt. Solange sie nicht auf den Gedanken kommen, dass wir von den Menschen dort wissen, werden sie den Asteroiden vermutlich nicht zerstören, da sie glauben, wir fliegen nur zufällig in diese Richtung.«
»Vermutlich nicht«, wiederholte ein mürrischer Armus.
»Etwas Besseres kann ich Ihnen nicht bieten, Sir.«
Bradamont hatte während dieser Unterhaltung die ganze Zeit über die Darstellung des Tartarus-Sternensystems betrachtet, die über dem Tisch schwebte. »Es muss eine Art Sperrgebiet sein. Hätten wir Aliens in einem Asteroiden untergebracht, würden wir keinem unbefugten Schiff erlauben, sich in die Nähe zu begeben. Wenn wir die gesperrte Zone um den Asteroiden erreichen, könnte das die Aliens ebenfalls zu dem Entschluss bringen, ihn zu zerstören.«