»Das ist machbar«, stellte Badaya fest und hunderte Stimmen pflichteten ihm bei.
»Wenn Sie die Schlachtkreuzer einsetzen«, ergänzte Desjani und warf Geary dabei einen energischen Blick zu. »Alle Schlachtkreuzer. Wir müssen so schnell wie möglich agieren.«
Geary betrachtete sekundenlang das Display und dachte daran, wie viele Menschenleben auf dem Spiel standen. Er wollte eine solche Entscheidung nicht treffen. Aber Carabali hatte ihre Befähigung unter Beweis gestellt, und seine Flottenoffiziere waren davon überzeugt, dass sie ihren Teil dazu beitragen konnten. Außerdem mussten diese Menschen gerettet werden, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Ironischerweise wurde diese Mission unter anderem erst durch die Syndik-Schutzvorrichtung ermöglicht, die ihm Iceni im Rahmen ihrer Abmachung überlassen hatte. »Also gut, wir machen es so.«
Diesmal brachen alle in lauten Jubel aus.
Es fühlte sich so eigenartig an, als würde man an einer Gruppe Polizisten vorbeigehen, obwohl man gar nichts angestellt hatte. Man gab sich alle Mühe, ruhig und unschuldig auszusehen und ja nichts Bedrohliches auszustrahlen. Das war allerdings umso schwieriger zu bewerkstelligen, wenn man dabei von einer Flotte begleitet wurde, deren Feuerkraft ausreichte, um ganze Welten in Schutt und Asche zu legen. Und das alles, während man sich in einem Sternensystem aufhielt, in dem man eindeutig nicht erwünscht war, und während es sich bei den Polizisten um Aliens handelte, die einen am liebsten umbringen wollten und die bereit waren, ihre Privatsphäre notfalls auch durch Selbstmord zu beschützen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man etwas im Schilde führte, was den »Polizisten« überhaupt nicht gefallen würde.
Geary wartete bis zum richtigen Moment ab, dann ließ er die Flotte Kurs auf den Mond nehmen, der ihr angebliches nächstes Ziel war. Es war nichts ungewöhnlich daran, dass Shuttles zwischen den Kriegsschiffen hin- und herpendelten, waren doch schließlich Ersatzteile oder Fachpersonal zu transportieren. In den letzten Stunden waren jedoch viele dieser routinemäßigen Shuttleflüge dazu benutzt worden, Marine Scouts mitsamt ihrer Ausrüstung auf die Schlachtschiffe der Vierten Schlachtschiffdivision zu bringen. Die Warspite, die Vengeance, die Revenge und die Guardian waren die Kriegsschiffe, die sich in unmittelbarer Nähe des Asteroiden befinden würden, wenn die Flotte ihn passierte. Sie würden jeweils sieben oder acht Marines ausspucken, die vier Tage später an der Stelle eintreffen sollten, wo sich dann der Asteroid befinden würde. Durch eine neue Verteilung der Kreuzer und Zerstörer rings um die Schlachtschiffe sowie durch eine verstärkte Pendelaktivität der Shuttles wurde der Start der Marines zusätzlich getarnt.
»Hier spricht Admiral Geary. Bei Zeit eins fünf drehen sich alle Einheiten um null vier eins Grad nach Backbord und um null sechs Grad nach oben. Behalten Sie Ihre Geschwindigkeit von 0,1 Licht bei.« Es hatte etwas Eigenartiges an sich, menschliche Maßstäbe für Flugmanöver in einem Sternensystem anzulegen, in dem vermutlich noch nie ein von Menschen gesteuertes Raumschiff unterwegs gewesen war. Aber es waren alte Konventionen, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet hatten und die sicherstellten, dass jedes Schiff wusste, was alle anderen Schiffe im nächsten Moment vorhatten, ganz ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, wohin sie unterwegs waren oder in welcher Position sie sich relativ zueinander befanden. Backbord bedeutete ›weg vom Stern‹, während bei Steuerbord Kurs auf den Stern genommen wurde. ›Oben‹ und ›unten‹ orientierten sich nach der Ebene des Sternensystems. Das Ganze war völlig willkürlich, aber es funktionierte so gut, dass seit Jahrhunderten niemand auf die Idee gekommen war, daran etwas zu ändern.
Er fragte sich, wie die Aliens dieses Problem handhabten. Stellte es für sie überhaupt ein Problem dar? Warum zum Teufel wollen die nicht mit uns reden? Was könnten wir alles lernen, wenn wir allein schon etwas darüber wüssten, wie eine andere intelligente Spezies das Universum sieht. So eine Vergeudung.
»Wieder nachdenklich, Admiral?«, fragte Desjani, während sie irgendeinen administrativen Vorgang erledigte. »Haben Sie schon von Jane Geary gehört?«
»Ja. Woher wissen Sie das?«
»Sie hat ihr Schlachtschiff freiwillig vorgeschlagen, um die Marines zum Asteroiden zu schießen, richtig?«
»Auch das stimmt. Ich habe ihr gesagt, die Entscheidung beruht ausschließlich darauf, welche Schlachtschiffe mit dem geringsten Manövrieraufwand an den Rand der Formation gebracht werden konnten. Wir wollen den Aliens möglichst keinen Hinweis auf das geben, was wir vorhaben.« Geary sah Desjani fragend an. »Sind Sie dahintergekommen, was Jane zu diesem Tatendrang motiviert?«
»Nein. Ich glaube nicht, dass es das Gleiche ist, was Kattnig zu schaffen gemacht hat«, sie hielt inne und beschrieb eine religiöse Geste, die Gnade bedeutete, »aber es könnte etwas Ähnliches sein.«
»Sie meinen, dass sie sich beweisen will?«
»Sie ist nun mal eine Geary, Admiral. Sie wissen, wie Gearys sind.«
»Ich wünschte, ich wüsste es.« Er lehnte sich zurück und betrachtete das Display, während die Flotte das Flugmanöver vollzog und dann Kurs auf den Mond nahm. »Das Schlimmste wird sein, tagelang zu warten, dann kehrtzumachen und den Asteroiden erneut anzusteuern, ohne eine Ahnung zu haben, ob die Scouts überhaupt ihr Ziel erreicht haben und ob es ihnen gelungen ist, ihre Mission zu erfüllen. Sie können weder Statusberichte noch sonst etwas senden. Sie aktivieren die Störsender und setzen die Anlagen außer Betrieb, und während sie damit beschäftigt sind, müssen wir schon wieder Kurs auf den Asteroiden nehmen. Und dann werden diese fünfunddreißig Kriegsschiffe der Aliens ganz sicher auf uns losgehen.«
Desjani grinste ihn an. »Dann bekommen wir ja endlich mal ein bisschen Abwechslung.«
»Die Warspite meldet, dass ein Crewmitglied beim Kurswechsel verletzt worden ist«, gab der Komm-Wachhabende bekannt.
»Sehr gut.« Geary sah zu Desjani, die den Daumen nach oben gerichtet hielt. Nachdem die Systeme der Allianz-Schiffe von den Quantenwahrscheinlichkeitswürmern der Aliens befreit worden waren, sollten die Enigmas nicht mehr in der Lage sein, auf das Datennetz oder das Komm-System der Flotte zuzugreifen. Aber nur weil sie nicht dazu in der Lage sein sollten, hieß das noch lange nicht, dass es ihnen tatsächlich unmöglich war. Deshalb hatte man sich auf einen Codespruch geeinigt, der Geary wissen ließ, dass alle Scouts problemlos gestartet waren.
Langatmige zwei Tage später, und dabei immer noch eine Lichtstunde vom Mond entfernt, ließ Geary die Flotte wenden, als würde sie Kurs auf den Sprungpunkt nehmen. Ein Frachter hatte bereits die Einrichtung auf dem Mond verlassen, womit sich das wiederholte, was sie bei Limbo zu sehen bekommen hatten. »Wenn sie unseren Kurswechsel bemerken, sollten sie zu dem Schluss kommen, dass wir diesmal aufgeben, weil wir keine Lust mehr haben, Dingen nachzujagen, die dann dicht vor unserer Nase in die Luft gejagt werden.«
Desjani nickte gedankenverloren, ihr Blick war auf ihr eigenes Display gerichtet. »Wissen Sie, Admiral, selbst wenn diese Störsender funktionieren und wenn alle Sensor- und Komm-Anlagen auf dem Asteroiden ausgeschaltet worden sind, werden die Kriegsschiffe der Aliens immer noch Kurs auf ihn nehmen, sobald ihnen klar wird, wohin wir unterwegs sind. Wir haben keine Ahnung, wie viele Leute wir aus diesem Asteroiden herausholen müssen und wie schwierig es überhaupt sein wird, ins Innere zu gelangen, ohne dass wir irgendwelche Sprengfallen auslösen. Das wird alles verdammt knapp werden.«