»Ich weiß es nicht«, erwiderte Desjani, »und es interessiert mich auch nicht mehr. Wenn noch mal einer von diesen Aliens in die Reichweite meiner Waffen kommt, dann werde ich dafür sorgen, dass ihm gar keine Zeit bleibt, sich zu überlegen, ob er sich besser umbringen oder vielleicht doch die Flucht ergreifen sollte.«
Die Zerstörer wurden noch langsamer, bis die Carbine den Marine an Bord holen konnte. »Treffer!« Die triumphierende Nachricht traf wenige Minuten später von den Rettern ein. Die Gruppe aus Leichten Kreuzern und Zerstörern beschleunigte, um zur Flotte zurückzukehren.
»Die Zerstörer verlangen ein Lösegeld«, meldete Carabali, die nun wesentlich entspannter wirkte als während des Einsatzes auf dem Asteroiden.
»Irgendwas, das die Marines nicht zahlen wollen?«
»Wir werden ihren Besatzungen einen ausgeben, sobald diese Flotte an irgendeiner Bar eine Rast einlegt, Admiral. Vielen Dank.«
»Ich hatte nicht vor, Ihren Scout da draußen zurückzulassen, General.«
»Die Entscheidung mussten Sie wenigstens nicht treffen, Admiral.«
Desjani sah ihn an, als er das Gespräch mit Carabali beendet hatte. »Sie sollten sich ein wenig ausruhen.«
»Sie auch.«
»Ich hab’s Ihnen aber zuerst gesagt.«
»Das war verdammt gute Arbeit.«
»Danke, Admiral. Darf ich Vente jetzt erschießen lassen?«
»Nein.« Er schloss einen Moment lang die Augen und spürte, wie eine Welle der Müdigkeit über ihm zusammenschlug, nachdem die Anspannung der letzten Tage von Erfolg gekrönt worden waren. »Diese Drohung hat ihm aber offenbar Beine gemacht. Nur ein paar Minuten länger, und wir wären zu dicht an diesem Asteroiden gewesen, als er von den Aliens in einen Trümmerhaufen verwandelt wurde. Das hätte üble Folgen haben können.«
Desjani klang ein wenig distanziert, als sie erklärte: »Wir mussten diesmal Erfolg haben, weil wir das kein zweites Mal hinkriegen. Wenn wir das nächste Mal in einer Lichtstunde Entfernung an einem Objekt vorbeifliegen, in dem sie Menschen festhalten, werden sie das Objekt sofort sprengen.«
Er wusste, dass sie recht hatte. Hier hatten sie einen Sieg errungen, aber zugleich vereitelt, dass ihnen ein Erfolg in dieser Art noch einmal gelingen konnte.
Geary nahm sich die Zeit, die Flotte zusammenkommen zu lassen und sie in eine einzelne geschlossene Formation zu bringen, obwohl durch andere Sprungpunkte fast zwanzig weitere Enigma-Schiffe ins System gekommen waren. Da das Ganze ebenso Tage in Anspruch nahm, wie die Reise zum Sprungpunkt, den sie als Nächstes benutzen wollten, ergab sich die Gelegenheit, etwas über die geretteten Menschen herauszufinden.
»Sie haben nie einen Alien gesehen«, berichtete Lieutenant Iger. »Weder die, die in Gefangenschaft geraten waren, noch die, die dort geboren wurden.« Er aktivierte ein weiteres Fenster, das zeigte einen Mann an, der sein mittleres Alter schon vor einer Weile hinter sich gelassen hatte. »Dieser Mann war einmal Crewmitglied eines Syndik-Jägers. Wie lange das her ist, kann er nicht sagen, weil die Gefangenen in diesem Asteroiden sich an nichts orientieren konnten, um zu bestimmen, wie viel Zeit verging. Wenn man seine Angaben aber mit den von den Syndiks überlassenen Unterlagen vergleicht, dann ist es wahrscheinlich vierzig Jahre her, als ein Jäger beim Durchqueren des Grenzsystems Ina spurlos verschwand.«
Der alte Mann begann zu reden: »Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich befand mich auf meinem Posten, als wir auf einmal aus dem Nichts beschossen wurden. Ich weiß noch, wie alle riefen: ›Wo kommt denn das her?‹ Dann bekamen wir den Befehl, das Schiff zu evakuieren. Ich schaffte es mit zwei Kameraden in eine Rettungskapsel, und wir ließen uns aus dem Schiff ausstoßen. Das ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann. Danach bin ich in diesem Asteroiden aufgewacht. Vom ersten Moment an war ich mir sicher, dass das ein Asteroid sein musste. Was mit den beiden anderen passiert ist, mit denen ich in der Rettungskapsel saß, weiß ich nicht. Ich war der Einzige von unserer Einheit, der hier gelandet war. Aber keiner hat mich ankommen sehen. Ich war auf einmal da. Manchmal ging das Licht aus, und wir schliefen alle ein. Wenn wir wieder aufwachten, lag manchmal ein Neuzugang auf dem Boden. Oder man hatte uns eine Kiste mit Lebensmitteln hingestellt. Oder ein Verstorbener war verschwunden. Wenn jemand starb, dann wussten wir, dass entweder bald ein neuer Gefangener auftauchen oder dass eine der Frauen schwanger werden und ein Kind bekommen würde. Wir waren immer gleich viele. Ja, immer dreihundertdreiunddreißig. Keine Ahnung wieso.«
Der befreite Gefangene hatte aufgehört zu reden, er kniff die Augen zusammen, um gegen seine Tränen anzukämpfen. »Ich weiß, Sie sind von der Allianz, aber … kann ich bitte zurück nach Hause, Sir? Es ist lange her, und ich dachte, ich müsste an diesem Ort sterben. Ich möchte einfach nur nach Hause, Sir.«
Geary schaute zur Seite, da er versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Er konnte es sich nicht leisten, seine Entscheidungen vom Mitleid mit diesem Mann und vom Hass auf die Aliens beeinflussen zu lassen. Wie hätten wir Aliens behandelt, wenn es uns gelungen wäre, sie gefangenzunehmen? Die Allianz hätte es vielleicht nicht getan, aber den Syndiks wäre zuzutrauen gewesen, ein Gefangenenlager in einem Asteroiden unterzubringen. »Sonst kann er uns nichts sagen, Lieutenant Iger?«
»Nein, Sir. Und von den anderen kann auch keiner etwas berichten.«
Vom Chefarzt der Flotte kam eine Meldung, die nur wenig aufmunternder war als Igers Bericht. »Wir haben in den Körpern keine biologischen Kampfstoffe finden können, und es deutet auch nichts darauf hin, dass man sie irgendwelchen Versuchen ausgesetzt hat. Allerdings hat man ihnen Nano-Objekte eingepflanzt, die wir rechtzeitig entdecken und unschädlich machen konnten. Diese Objekte lösen tödliche Reaktionen im Körper aus, sobald der Gefangene den Asteroiden für eine bestimmte Zeit verlässt.«
Auch eine Art von Totmannschalter. »Wie steht es um ihre Gesundheit?«
»Für die Umstände nicht schlecht«, meinte der Arzt achselzuckend. »Sie haben in einer isolierten Gemeinschaft gelebt. Die Ausrüstung und die Geräte, die sie für ihr Überleben benötigten, waren menschlichen Ursprungs, sie erhielten medizinische Versorgung und so weiter. Zwei Gefangene waren medizinisch ausreichend gebildet, um die Geräte zu handhaben und bis auf wirklich schwere Erkrankungen oder Verletzungen alles behandeln zu können. Sie haben Getreide angebaut, und von Zeit zu Zeit tauchten in der Nähe der Luftschleuse Lieferungen mit Lebensmitteln auf, die ganz eindeutig von Menschen verarbeitet und zubereitet worden waren. Nach ihrer körperlichen Verfassung zu urteilen haben sie eine ausgewogene Ernährung erhalten, nur war die die meiste Zeit über sehr eintönig.«
»Und ihre geistige Verfassung? Wie sieht es damit aus?«
Der Arzt sah kurz vor sich, ehe er antwortete. »Zerbrechlich. Sie hatten in diesem Asteroiden eine Gesellschaftsstruktur errichtet, die stabil genug war, um Wissen weitergeben und Ordnung wahren zu können. Es gab eine Art Rat, der Entscheidungen traf. Aber sie waren völlig isoliert und den Launen eines unbekannten und unsichtbaren Gegners ausgeliefert, der sie in dieser Umgebung festhielt. Jetzt können ein paar von ihnen es nicht erwarten, endlich wieder den Himmel über sich zu sehen, während andere genau davor panische Angst empfinden. Ihre Welt ist nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch buchstäblich zerstört worden, und das hat ihrem Leben die vertraute Stabilität genommen.«
»Aber es war doch richtig, sie zu retten, oder nicht?«, vergewisserte sich Geary seufzend.
»Natürlich. Ein Käfig ist und bleibt nun mal ein Käfig. Aber sie werden Mühe haben, sich an ihre Freiheit zu gewöhnen. Was werden Sie mit ihnen machen?«
»Sie nach Hause bringen.« Geary hielt inne, da ihm klar wurde, dass das gar nicht so einfach sein würde, wie es sich im ersten Moment anhörte. »Sie müssten eigentlich alle noch irgendwelche Verwandten im Syndik-Territorium haben.«