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Robert Silverberg

Jenseits der Zeit

1.

Das Tal, dachte Sam Thornhill bei sich, hatte nie zuvor lieblicher ausgesehen. Über den beiden kahlen purpurfarbenen, krallenförmigen Felsformationen, die das Tal eingrenzten, trieben langsam milchige Wolken dahin. Beide Sonnen standen am Himmel — die große blaßrote und die etwas weiter entfernte dunkelblaue; ihre Strahlen vermischten sich und warfen auf Bäume und Sträucher und auf den schnell dahineilenden Fluß, der hinter der Barriere verschwand, ein schimmernd violettes Licht.

Es war jetzt später Vormittag, und alles schien in Ordnung zu sein. Thornhill, eine schlanke, untersetzt gebaute Gestalt in einem seidenen Wams und einer dunkelblauen Tunika mit rotem Saum, fühlte eine tiefe Zufriedenheit in sich. Er beobachtete das Mädchen und den Mann, die auf einem gewundenen Pfad vom Fluß zu ihm heraufkamen, und fragte sich, wer sie wohl sein mochten und was sie von ihm wollten.

Zumindest das Mädchen war attraktiv. Ihre Haut war dunkel, ihre Gestalt nur eine Winzigkeit kleiner als Thornhill; sie trug eine engsitzende kunstseidene Bluse und ein knielanges Sackkleid. Ihre nackten Schultern waren breit und sonnengebräunt.

Der Mann neben ihr war kaum größer als einen Meter fünfzig. Auf seinem Kopf fanden sich kaum noch Haare, die Stirn war von einem Gewirr von Falten überzogen. Seine Augen erregten Thornhills Aufmerksamkeit. Sie bewegten sich hin und her, wobei sie ständig aufzublitzen schienen — das waren Augen eines Raubtiers, vielleicht die einer Echse, die bereit war, zuzustoßen.

In der Ferne erkannte Thornhill weitere Lebewesen — nicht alle waren menschlicher Herkunft. In der Nähe des Flußufers stand ein kugelförmiger Spicaner. In diesem Augenblick überzogen nachdenkliche Falten Thornhills Gesicht — wer waren sie, und was hatten sie in diesem Tal zu suchen?

»Hallo«, sagte das Mädchen. »Ich bin Marga Fallis. Das ist La Floquet. Sie sind gerade angekommen?«

Dann ging ihr Blick zu dem Mann namens La Floquet, und sie fügte ruhig hinzu: »Er ist noch nicht zu sich gekommen, wie es scheint. Wahrscheinlich ist er noch ganz neu.«

»Er wird bald erwachen«, antwortete La Floquet. Seine Stimme klang tief und ätzend.

»Was reden Sie da?« fragte Thornhill verärgert. »Wie sind Sie überhaupt hierhergekommen?«

»Genauso wie Sie«, sagte das Mädchen. »Und je eher Sie sich das eingestehen…«

Wütend unterbrach Thornhill sie. »Ich war schon immer hier, verdammt! Das ist das Tal! Ich habe hier mein ganzes Leben verbracht! Und Sie beide habe ich noch niemals hier gesehen, keinen von Ihnen. Sie sind hier einfach aus dem Nichts aufgetaucht, Sie und dieser Gockel neben Ihnen und die anderen unten am Fluß, während ich…« Er hielt inne, plötzlich von einem dunklen Zweifel erfaßt.

Ach was, ich habe hier schon immer gelebt, sagte er sich.

Er begann zu zittern, machte zwei hastige Schritte auf den lächelnden kleinen Mann mit dem rotbraunen Haarrand über den Ohren zu, sah in ihm den Feind, der ihn aus seinem Paradies vertrieben hatte. »Zum Teufel mit Ihnen; hier war alles in Ordnung, bis Sie kamen! Sie mußten alles zerstören — dafür werden Sie jetzt büßen!«

Wild entschlossen stürzte er sich auf den kleinen Mann, wollte ihn zu Boden stoßen. Aber zu seiner großen Überraschung fand er sich am Boden wieder; La Floquet stand unbeweglich da, lächelte immer noch, funkelte ihn wie ein Raubvogel an. Thornhill holte tief Luft, griff zum zweiten Mal an. Diesmal ergriff der andere ihn und hielt ihn eisern fest; Thornhill wand sich hin und her, aber obwohl La Floquet etwa fünfzehn Zentimeter kleiner und zwanzig Jahre älter war, steckte überraschend viel Kraft in seinem drahtigen Körper. Thornhill brach der Schweiß aus. Schließlich gab er auf und trat zurück.

»Ein Kampf ist sinnlos«, sagte La Floquet langsam. »Damit erreicht man nichts. Wie heißen Sie?«

»Sam Thornhill.«

»Jetzt hören Sie mir gut zu — was taten Sie gerade in dem Augenblick, bevor Sie sich hier im Tal wiederfanden?«

»Ich war schon immer hier im Tal«, beharrte Thornhill störrisch.

»Denken Sie nach«, sagte das Mädchen. »Erinnern Sie sich. Es gab doch eine Zeit vor der hier im Tal.«

Thornhill wandte sich ab, sah hinüber zu den Bergspitzen, die sie alle hier einschlossen, schaute auf den schnell dahineilenden Fluß, der sich durch das Tal wand und hinter der Barriere verschwand. An einem flachen Berghang weidete ein Tier, knabberte an dem scharfen Gras. Hatte es einmal einen anderen Ort gegeben? fragte sich Thornhill.

Nein. Das Tal war schon immer da gewesen, und er hatte allein und in Frieden in ihm gelebt, bis der letzte trügerische Moment der Ruhe von dieser unerwünschten Invasion der Fremden zerstört worden war.

»Es dauert immer einige Stunden, bis der Effekt nachläßt«, sagte das Mädchen. »Dann werden Sie sich erinnern… genauso, wie wir uns erinnern. Überlegen Sie. Sie kommen von der Erde, nicht wahr?«

»Erde?« wiederholte Thornhill benommen.

»Grüne Hügel, große Städte, Ozeane, Raumschiffe. Erde. Nichts?«

»Achten Sie auf die tiefe Bräunung der Haut«, warf La Floquet ein. »Er stammt von der Erde, hat aber schon längere Zeit dort nicht mehr gelebt. Waren Sie auf Vengamon?«

»Vengamon«, wiederholte Thornhill, diesmal aber ohne fragenden Unterton. Die seltsamen Silben schienen eine Bedeutung für ihn zu haben: eine große gelbe Sonne, weite Ebenen, eine langsam wachsende Kolonistenstadt, ein blühender Erzhandel. »Ich kenne das Wort«, sagte er.

»War das die Welt, auf der Sie gelebt haben?« stieß das Mädchen nach. »Vengamon?«

»Ich glaube…«, begann Thornhill zögernd. Plötzlich wurden seine Knie weich. Ein Leben, das ihm Gewißheit gewesen war, brach plötzlich um ihn herum zusammen, schälte sich wie eine Haut von ihm ab und zerstob.

Dieses Leben hatte es nie gegeben.

»Ich habe auf Vengamon gelebt«, sagte er.

»Gut!« rief La Floquet. »Eine erste Tatsache ist bewiesen. Jetzt denken Sie darüber nach, wo Sie sich in dem Augenblick befanden, bevor Sie nach hier kamen. Vielleicht in einem Raumschiff? Unterwegs zwischen den Welten? Denken Sie nach, Thornhill.«

Er dachte nach, zermarterte sein Gehirn, und nach und nach löschte er alle Erinnerungen an das Leben im Tal aus, ging immer weiter zurück, bis…

»Ich war Passagier auf dem Linienschiff Royal Mother Helene und unterwegs nach Vengamon. Wir kamen von der Nachbarwelt Jurinalle. Ich… ich hatte Urlaub gehabt, war auf dem Weg zurück zu meiner… meiner Plantage? Nein, nicht zu einer Plantage. Einer Mine. Mir gehören Minen auf Vengamon. Ja, das ist es — ich besitze dort Bergwerke.« Das Licht der beiden Sonnen schien plötzlich erdrückend warm hernieder, Thornhill wurde schwindlig. »Jetzt erinnere ich mich: Es war eine langweilige Reise, ich hatte nichts zu tun und döste seit einigen Minuten vor mich hin. Dann erinnere ich mich, daß ich plötzlich das Gefühl hatte, außerhalb des Schiffes zu sein, und dann war da plötzlich nichts mehr. Als ich wieder denken konnte, war ich hier im Tal.«

»Der Standardvorgang«, sagte La Floquet. Er deutete auf die anderen Gestalten unten am Fluß. »Wir sind mit Ihnen jetzt insgesamt acht. Ich kam gestern hier an — obwohl es hier keine Nacht gibt und ich das nur aufgrund der verflossenen Stunden so bezeichne. Nach mir kam das Mädchen, dann drei andere. Sie sind heute schon der dritte.«

Thornhill blinzelte. »Wir werden einfach irgendwo aus dem Nichts herausgerissen und hierhergebracht? Wie ist das möglich?«

La Floquet zuckte die Schultern. »Die Frage werden Sie noch mehr als einmal stellen, bevor Sie das Tal wieder verlassen. Kommen Sie. Kehren wir zurück zu den anderen.«

Der kleine Mann wandte sich mit einer gebieterischen Geste um und lenkte seine Schritte den Pfad hinunter; das Mädchen folgte ihm, Thornhill schloß sich ihr an. Er erkannte, daß er auf einem Hügelkamm über dem Fluß gestanden hatte, einem Ausläufer eines der beiden großen Bergmassive, die die Grenzen des Tales bildeten.