Der Große zuckte die Schultern. »Kann nicht schaden, mal nachzusehen, denke ich.«
»Dann gehen wir«, verkündete La Floquet fest. Er warf Thornhill noch einen düsteren, wütenden Blick zu, ging dann mit festem Schritt zu dem Pfad hinüber, der den Berg hinaufführte.
Als er außer Hörweite war, sagte Marga: »Sam, warum haben Sie das getan?«
»Ich wollte sehen, wie er reagiert. Ich hab's gesehen.«
McKay zerrte Thornhill verstört am Arm. »Ich werde sterben, falls wir das Tal verlassen! Begreifen Sie das nicht, Mr. Thornhill?«
Seufzend sagte Thornhilclass="underline" »Ich verstehe. Aber sorgen Sie sich nicht zu sehr um La Floquet. Er wird in Kürze zurück sein.«
Langsam verstrichen die Stunden, und die rote Sonne verschwand hinter dem Horizont, machte der fernen blauen Sonne Platz. Thornhills Uhr zeigte zweiundzwanzig Uhr an — fast zwölf Stunden waren vergangen, seit er das Raumschiff auf Jurinalle bestiegen hatte, vier Stunden hätte er jetzt bereits in der Hauptstadt von Vengamon sein müssen. Inzwischen hatte man vermutlich stundenlang nach ihm gesucht und sich gefragt, wie jemand im Hyperraum von Bord eines Raumschiffs spurlos verschwinden konnte.
Die kleine Gruppe hatte sich am Ufer des Flusses versammelt. Der Spicaner befand sich inzwischen voll in seiner bräunlich-roten Phase und saß wie eine Eule da, die den Tod des Universums ankündigte. Die beiden anderen Fremdwesen hielten sich überwiegend abseits und blieben allein. Es gab auch nicht viel, was man sich zu sagen gehabt hätte.
Thornhill starrte wortlos zum Berg hinüber, fragte sich, wo die beiden Männer jetzt wohl sein mochten, wie weit sie kommen würden, bevor La Floquets Feigheit sie zwingen würde umzukehren. Er hegte keinen Zweifel, daß La Floquet sich vor dem Berg fürchtete — ansonsten hätte er eine solche Expedition nämlich schon längst unternommen, statt nur damit zu drohen. Jetzt hatte Thornhill ihn zum Handeln gezwungen — würden die beiden aber auch Erfolg haben? Wahrscheinlich nicht: ein mutiger Mann, der sich tief im Innern fürchtete, überwand diese Furcht oftmals nicht. In gewisser Hinsicht tat La Floquet Thornhill leid — der Kampfhahn war vermutlich gezwungen, geschlagen zurückzukehren, auch wenn er diesen Augenblick so lange wie möglich hinauszögern würde.
»Machen Sie sich Sorgen?« fragte Marga.
»Sorgen? Nein, ich denke nur nach.«
»Worüber?«
»Über Vengamon und meine Mine dort — und wie die Geier vermutlich bereits dabei sind, sich auf meinem Besitz zu stürzen.«
»Sie vermissen Vengamon aber nicht, oder?« Thornhill lächelte und schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Diese Mine bedeutete mein Leben für mich, verstehen Sie. Ich habe nur selten mal einen kurzen Urlaub gemacht, weil ich immer gleich an meine Untergebenen und daran denken mußte, wie faul sie waren und wie die Preise für Erz sich auf den interstellaren Märkten entwickelten. Bis heute. Es muß irgendwie durch dieses Tal hervorgerufen werden, aber zum ersten Mal erscheint mir meine Mine schrecklich weit und fremd, als gehörte sie jemand anderem. Mir kommt es so vor, als wäre ich endlich frei.«
»Ich kann nachfühlen, wie Sie empfinden«, sagte Marga. »Ich habe Tag und Nacht im Observatorium verbracht. Immer waren Aufnahmen zu machen oder Bücher zu lesen oder andere Dinge zu tun — ich konnte den Gedanken nicht ertragen, einen Tag zu versäumen oder meine Arbeit auch nur für ein Telefongespräch zu unterbrechen. Aber hier gibt es keine Sterne, und sie fehlen mir kaum.«
Thornhill nahm ihre Hand in seine. »Trotzdem frage ich mich… Wenn La Floquet Erfolg hat und wir dieses Tal verlassen und wieder in unser alltägliches Leben zurückkehren, ob wir dann noch die alten sind? Oder werde ich einfach wieder zur doppelten Buchführung und Sie zu Ihren himmlischen Leuchtkörpern zurückkehren?«
»Das werden wir erst wissen, wenn wir zurück sind«, sagte sie. »Falls wir jemals zurückkehren. Aber sehen Sie mal da.«
Thornhill schaute in die angegebene Richtung. McKay und Miß Hardin waren in ein Gespräch vertieft, und McKay hatte vorsichtig ihre Hand ergriffen. »So kommt die Liebe schließlich auch zu einem Professor für mittelalterliche Geschichte«, grinste Thornhill. »Und zu Miß Hardin — wer immer sie sein mag.«
Der Regulaner schlief; der Aldebaraner starrte gedankenversunken auf seine Füße und malte Figuren in den Sand. Die Kugelgestalt des Spicaners schien sich ebenfalls in sich selbst zurückgezogen zu haben. Im Tal war es still geworden.
»Mir haben die Tiere im Zoo immer leid getan«, sagte Thornhill. »Aber eigentlich ist es kein so schlechtes Leben.«
»Bisher — wir wissen nicht, was der Wächter noch alles für uns bereithält.«
Von den Bergspitzen senkte sich Nebel herab, und Thornhill glaubte im ersten Moment, daß der Wächter zu einem weiteren Besuch bei seinen Gefangenen zurückgekehrt war; dann erkannte er, daß es ein feiner Nebel war, der sich über sie legte. Es wurde empfindlich kühl, und er zog Marga näher an sich heran.
In diesen Minuten mußte er an die siebenunddreißig Jahre seines bisherigen Lebens denken, die er eigentlich recht gut hinter sich gebracht hatte — mit einem athletischen Körper, schnellen Reflexen und einem noch schnelleren Verstand. Heute war der erste Tag — wobei er sich kaum vorstellen konnte, daß es immer noch sein erster Tag hier im Tal war —, an dem ihm deutlich bewußt geworden war, daß es im Leben noch andere Dinge gab außer Bergbau und Geldverdienen.
Dazu hatte er erst in dieses Tal verschlagen werden müssen — würde er sich an diese Lektion erinnern, wenn er wieder in die Zivilisation zurückkehrte? Ob es nicht doch besser war, seine Tage hier mit Marga in ewiger Jugend zu verbringen?
Er runzelte die Stirn. Ewige Jugend, gewiß — aber auf Kosten seiner Unabhängigkeit. Hier war er nichts weiter als ein Gefangener, wenn auch ein verwöhnter.
Plötzlich wußte er nicht, was er denken sollte.
Margas Hand schloß sich fester um seine. »Hast du das gehört?« fragte sie und wechselte dabei beinahe unbemerkt die Anrede. »Schritte, glaube ich. Das müssen La Floquet und Vellers sein, die vom Berg zurückkehren.«
»Sie haben es nicht geschafft«, sagte Thornhill und wußte dabei nicht, ob er Erleichterung oder tiefe Enttäuschung verspüren sollte. Jetzt hörte er Stimmen — und zwei Gestalten kamen durch den sich verstärkenden Nebel auf sie zu. Eine kleine, drahtige und eine große, breite. Thornhill sah ihnen erwartungsvoll entgegen.
4.
Trotz der gedämpften Beleuchtung und dem dicken Nebel hatte Thornhill keine Schwierigkeiten, den Gesichtsausdruck La Floquets zu erkennen und zu deuten. Es war kein schöner Anblick. Der kleine Mann war zugleich auf sich und auf Thornhill wütend, nackter Haß stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Nun?« fragte Thornhill wie beiläufig. »Nichts zu machen?«
»Wir waren fast zweitausend Meter hoch, bevor sich der verdammte Nebel um uns schloß. Es war fast so, als habe der Wächter ihn absichtlich heruntergeschickt. Wir mußten umkehren.«
»Gab es denn irgendein Anzeichen für einen Paß, der aus dem Tal herausführt?«
La Floquet zuckte die Schultern. »Wer weiß? Wir haben uns kaum noch gegenseitig gesehen. Aber ich werde ihn finden. Morgen, wenn beide Sonnen am Himmel stehen, gehe ich erneut los — ich werde einen Weg hinaus finden!«
»Sie Teufel«, ertönte McKays Stimme. »Geben Sie denn niemals auf?«
»Nicht, solange ich noch auf zwei Beinen stehen kann!« schrie La Floquet erregt. Aber irgendwie hatte seine Zuversicht einen falschen Unterton. Thornhill fragte sich bereits, was sich wirklich auf dem Bergpfad abgespielt hatte.
Seine Unwissenheit dauerte nicht lange. La Floquet stiefelte beleidigt davon, tat so, als habe man seinen Stolz ungerechtfertigt verletzt. Vellers blieb allein zurück, schüttelte schließlich den Kopf.