Turalyon hatte erkannt, dass Gnome ungeheuer intelligent waren, und er war gewillt, an den Nutzen zu glauben, wenn diese... neumodische Apparatur auch nur einen Teil von dem konnte, was Mekkadrill versprach.
Er erinnerte sich an ihr erstes Gespräch.
„Wie sicher ist das?“, hatte er gefragt.
„Nun... also, wir arbeiten im Grenzbereich der aktuellen Technologie, das müsst Ihr verstehen“, hatte Mekkadrill gesagt und sich durch den Backenbart gefahren. „Aber ich bin bereit, darauf zu wetten, dass es so sicher ist wie die sicherste gnomische Konstruktion!“
Etwas am Klang der Stimme erregte in Turalyon den Verdacht, dass das nicht viel zu besagen hatte. Doch er war kein Konstrukteur, und es war ja auch vorangegangen.
Bis zu diesem Rattenproblem.
„Ich verstehe, dass Ratten für Euch viel größer sind und deshalb für Eure Leute bedrohlicher als auf meine wirken“, sagte Turalyon so diplomatisch, wie er nur konnte. Obwohl er sich fragte, warum Bronzebart das Problem nicht von der Eisenschmiedeseite her gelöst hatte. „Und es geht natürlich nicht an, dass sie sich durch die Kabel fressen. Ich werde einige meiner Männer nach Eisenschmiede schicken. Sie... nun, werden die Ratten jagen und Euch bei den Reparaturen helfen.“
Turalyon hätte Altvater Winter sein können, so wie Mekkadrill reagierte. „Danke, danke! Das ist ausgezeichnet. Damit sind wir binnen Kürzestem wieder im Plan. Und dann können wir endlich dieses leidige Unterwasserproblem angehen.“ Der Gnom rutschte vom Stuhl und hielt Turalyon seine Hand entgegen, dann schüttelte er sie wild.
„Sprecht mit Aramil“, sagte Turalyon und verwies ihn an die ehemalige Wache der Burg, die jetzt als Turalyons Assistent in nichtmilitärischen Angelegenheiten agierte. „Er wird sich darum kümmern.“
Turalyon sah den Gnom gehen und wandte sich wieder dem Papierkram zu. Dutzende Briefe von so vielen Leuten, die alle etwas von ihm wollten. Er fuhr sich mit der Hand durch das kurzgeschorene, blonde Haar und seufzte. Ein Spaziergang würde ihm gut tun.
Die Luft war sauber und klar, als er nach draußen trat, obwohl die Wolken tief hingen. Er ging den Kanal entlang und schaute kurz auf sein Spiegelbild in dem jetzt sauberen Wasser. Turalyon war bis zu dem Tag vor zwei Jahren, als er und seine Männer in die Stadt gekommen waren, noch nie in Sturmwind gewesen. Und weil er die Stadt vorher nicht gekannt hatte, litt er auch nicht so ob ihres Zustands. Die berühmten Kanäle waren mit Steinen und Müll verstopft gewesen, mit Dreck... mit geschändeten Leichen.
Sie hatten die Toten respektvoll begraben, den Dreck entfernt. Jetzt konnten die Kanäle wieder ungehindert fließen und die verschiedenen Bereiche der Stadt verbinden. Turalyon richtete seinen Blick auf die roten Dächer und den weißen Stein, der im schwindenden Licht grau wirkte. Der Zwergenbereich beherbergte zahlreiche hart arbeitende Männer, die mit Mekkadrill gekommen waren. Sie lebten in der Nähe des Bereichs rund um die Kathedrale.
Es donnerte, als er dort eintraf. Er schaute auf das erhabene Gebäude, eines der ersten, das bereits völlig fertig gestellt war. Die Orcs hatten es schwer beschädigt, aber selbst da war die Kathedrale noch ein Hort der Sicherheit gewesen. Der Feind hatte nicht erkannt, dass darunter große Räume und Katakomben lagen. Dutzende Menschen hatten sich dort versteckt, geschützt von den Steinen, während über ihnen der Terror regierte.
Es war eines der wenigen Gebäude, das groß genug war, um die Flüchtlinge im Frühstadium des Wiederaufbaus unterzubringen. Und selbst jetzt kamen die Leute in Scharen, wenn sie krank waren, verletzt oder nur ein wenig Erleuchtung durch das Licht brauchten.
So wie Turalyon.
„Uff!“ Er stolperte. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er zwei Kinder nicht gesehen hatte, bis sie in ihn hineingerannt waren.
„Verzeihung!“, rief der Junge. Das Mädchen sah mit ernsten, braunen Augen zu ihm auf. Turalyon lächelte und strich ihr durchs Haar, während er mit dem Jungen redete. „Mit dieser Stärke wirst du eines Tages ein guter Soldat“, sagte er.
„O ja, das hoffe ich doch. Glaubt Ihr, dass alle Orcs tot sind, bevor ich alt genug bin, um sie töten zu können?“
Turalyons Lächeln verschwand. „Ich bin mir sicher, du wirst der Allianz gut dienen“, sagte er und umging die Frage. Dieses feurige Verlangen nach Kampf und die Wut, die es im Herzen hervorrief, hatten Turalyon jemanden gekostet, den er liebte. Er würde nichts tun, um Rassenhass in einem Kind zu fördern.
Mit der Hand auf dem Kopf des Mädchens murmelte er einen Segen. Licht erschien um ihren Kopf, und einen Moment lang leuchtete das Kind. Turalyon hob die andere Hand und segnete den Jungen ebenfalls. Ehrfurcht strahlte in beiden Augenpaaren, die ihn ansahen.
„Das Licht segne euch beide. Und jetzt geht ihr am besten nach Hause. Es sieht nach Regen aus.“
Der Junge nickte und nahm die Hand seiner Schwester. „Danke, Herr Paladin!“ Die beiden liefen heim. Es war nicht weit. Turalyon erkannte, dass sie im Haus neben der Kathedrale lebten. Dem Waisenhaus.
So viele Waisen. So viele Leben verloren.
Es donnerte erneut, und die ersten Regentropfen fielen. Dann goss es in Strömen. Turalyon seufzte, zog seinen Umhang um sich, lief die Stufen zur Kathedrale hinauf und wurde selbst auf diesem kurzen Stück nass bis auf die Knochen. Der Geruch von Weihrauch und der leise, fast unhörbare Gesang von irgendwo aus dem Gebäude beruhigten ihn sofort.
Er war daran gewöhnt, Befehle zu erteilen und Schlachten zu schlagen. Oftmals endeten sie damit, dass er von seinem eigenen Blut oder dem der Orcs bedeckt war. Es tat gut, zurück zur Kirche zu kommen und sich seiner Wurzeln als einfacher Priester zu erinnern.
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er seine Brüder sah, die Ritter der Silbernen Hand, die hier ihren Dienst genauso wie auf dem Schlachtfeld versahen. Erzbischof Alonsus Faol hatte den Orden vor drei Jahren gegründet. Und auf seinen Befehl hin dienten die Paladine nun der Allgemeinheit, die vom Krieg gebeutelt worden war.
Als er sich umsah, erblickte Turalyon seinen alten Freund Uther, dem er den Titel „Lichtbringer“ verliehen hatte. Turalyon war daran gewöhnt, den kräftig gebauten Mann in voller Rüstung zu sehen. Dessen ozeanblaue Augen leuchteten vor Begeisterung, wenn das Licht zu ihm in Form mächtiger Attacken kam. Jetzt trug Uther normale Kleidung. Er hörte einer Frau zu, die erschöpft und ausgezehrt wirkte. Er tupfte ihr sanft mit einem feuchtem Tuch die Stirn und hielt etwas in der Hand.
Als Turalyon näher kam, erkannte er, dass das Bündel, das Uther so vorsichtig trug, ein Neugeborenes war, die Haut immer noch rot von der Geburt. Die Mutter lächelte müde, aber glücklich und griff nach ihrem Kind. Sein gesundes Weinen war der süße Gesang der Hoffnung.
Uther legte eine Hand auf die Frau und segnete sie und ihr Kind, so wie Turalyon es vorhin bei den Waisen gemacht hatte. Turalyon bemerkte, dass, obwohl Uther eigentlich auf dem Schlachtfeld zu Hause war und das Licht zum Kämpfen nutzte, er hier in der Kathedrale gleichermaßen seinen Platz gefunden hatte.
Das entsprach der Gegensätzlichkeit der Paladine. Sie waren Krieger und Heiler. Uther schaute auf und lächelte. Dann erhob er sich, um seinen Freund zu begrüßen.
„Turalyon“, sagte er mit seiner tiefen, rauen Stimme. Die beiden Paladine schüttelten sich die Hände. „Schön, dich zu sehen. Wurde aber auch Zeit, dass du mal herkommst.“ Uther knuffte den jüngeren Mann spielerisch.
„Du hast recht“, stimmte Turalyon zu und lachte. „Es tut gut, hier zu sein. Man verliert sich viel zu leicht im Tagesgeschäft, und einiges bleibt unerledigt liegen. Wie zum Beispiel dieses Rattenproblem.“