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Lord Prestor war vom Schicksal übel mitgespielt worden, erinnerte sich Muradin, als er in das Ei biss. Der Zwerg hatte, bevor er ihn kennenlernte, nie von dem Mann gehört... aber er interessierte sich auch nicht sonderlich für die verworrenen Verhältnisse im Adel. Doch nach dem, was ihm berichtet worden war, war Prestor der Herrscher einer kleinen Grafschaft in den Bergen Lordaerons gewesen. Er konnte einen Stammbaum vorweisen, der bis zur Königsfamilie von Alterac zurückreichte, und war ein entfernter Vetter von Perenolde. Prestors Reich war während des Zweiten Krieges einem Überfall der Drachen zum Opfer gefallen. Und nur er und ein paar nahe Verwandte hatten fliehen können. Prestor hatte den ganzen Weg zur Hauptstadt ohne Diener oder Wachen zurückgelegt, mit wenig mehr als den Kleidern auf dem Leib und seinem guten Namen. Seine Abstammung hatte ihm Zugang zu den adeligen Kreisen ermöglicht, und sein einnehmendes Wesen hatte ihm Freunde beschert. Die drei am Tisch gehörten dazu.

Es war Prestors Vorschlag gewesen, das Kriegsrecht über Alterac zu verhängen. Und nicht nur Terenas, sondern auch der Rest der Allianz waren sich einig darüber, dass dies eine gute vorübergehende Lösung des Problems war.

Prestor trat einen Moment später auf den Balkon und machte eine anmutige, tiefe Verbeugung. Seine schwarzen Locken wirkten fast blau im warmen, frühen Licht. „Eure Majestäten“, sagte Prestor. Sein voller Bariton klang angenehm. „Und der verehrte Botschafter. Schön, euch alle zu sehen.“

„Das ist es fürwahr“, sagte Terenas freundschaftlich. „Setzt Euch zu uns. Hättet Ihr gern etwas Tee?“

„Die Aprikosenküchlein sind heute ganz ausgezeichnet“, meinte Muradin und bedeckte seinen Mund mit der Hand, als er unabsichtlich ein paar Krümel ausspuckte. Etwas an Prestors Sauberkeit ließ ihn sich immer ein wenig... tumb fühlen.

„Vielen Dank, werte Lords.“ Prestor setzte sich anmutig, jedoch nicht ohne vorher mit der Serviette schnell den Staub vom Sitz zu fegen, und goss sich eine Tasse Tee ein. Muradin bot ihm den Teller mit den Küchlein an, doch Prestor lächelte und hielt seine manikürten Hände in höflicher Ablehnung hoch. „Ich hoffe, ich störe nicht?“

„Aber nicht im Geringsten“, versicherte ihm Terenas. „Eigentlich ist Euer Timing exzellent. Wir besprechen uns gerade wegen Alterac.“

„Ah ja, natürlich.“ Prestor nippte an seinem Tee. „Zweifellos habt Ihr schon von dem kleinen Isiden gehört?“ Er schien überrascht über die fragenden Blicke zu sein. „Einer von Lord Perenoldes Neffen. Noch sehr jung.“

„Ah, ja. Ist nach Gilneas geflohen, richtig?“, fragte Trollbann.

„Allerdings, kurz bevor Ihr das Kriegsrecht in Alterac verkündet habt. Gerüchten zufolge wirbt er dort um Unterstützung für seine Ansprüche auf den Thron.“

„Graumarn erwähnte so etwas“, erinnerte sich Terenas. „Aber er hat sich nicht mit dem Jungen getroffen noch ihn sonstwie unterstützt.“

Prestor schüttelte den Kopf. „Es ist tatsächlich sehr ehrenhaft von König Graumarn“, sagte er leise, „etwas zu übersehen, was so leicht seinem Vorteil dienen könnte. Alles, was er tun müsste, wäre Isidens Thronanspruch zu unterstützen, und Gilneas erhielte einen direkten Anteil an Alteracs Wohlergehen. Und zweifellos würde ihm bevorzugter Durchgang durch die vielen Bergpässe des Königreichs gewährt.“

Muradin kratzte sich am Bart. „Ja, das ist wirklich kaum abzulehnen“, stimmte er zu.

Terenas und Trollbann warfen sich Blicke zu. Graumarn war gerissen genug, um sich solch eine Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Dennoch behauptete er, nicht mit dem Jungen gesprochen zu haben. Hatte er gelogen? Oder spielte er ein durchtriebeneres Spiel?

„Was meint Ihr, sollte wegen Alterac passieren?“, fragte Terenas Prestor.

„Warum fragt Ihr mich, Sire?“

„Der Blickwinkel eines Außenstehenden ist nützlich, und wir schätzen Eure Meinung.“

Prestor errötete leicht. „Wirklich? Das ehrt mich. Nun... ich finde, Ihr solltet Alterac selbst beanspruchen, Euer Majestät. Ihr seid immerhin der Führer der Allianz, tragt den Hauptteil der Kosten. Deshalb steht Euch auch eine Belohnung für Eure Aufwendungen zu.“

Terenas lachte. „Nein, danke“, sagte er und hielt eine Hand in gespieltem Entsetzen hoch. „Ich habe hier in Lordaeron mehr als genug zu tun, ich möchte meine Probleme nicht verdoppeln, indem ich ein zweites Königreich regiere!“

Muradin wusste, dass er natürlich über die Idee nachgedacht hatte, und aus einigen Blickwinkeln erschien sie durchaus lohnenswert. Aber der Ärger, der daraus entstehen würde, nicht zuletzt unter den anderen Herrschern, würde die Vorteile aufheben, zumindest sah Terenas es so.

„Wie wäre es dann mit Euch, Euer Majestät?“, schlug Prestor dem König von Stromgarde vor. „Euer schnelles Eingreifen stoppte Perenoldes Verrat. Ich weiß genau, dass Ihr Männer bei der Verteidigung der Pässe vor den Orcs verloren habt.“

Ein Anflug von Schmerz flackerte über das Gesicht des jungen Adligen. Und alle drei Freunde zuckten leicht zusammen, wussten sie doch, woran ihn das erinnern musste. Vielleicht war er deshalb so pingelig.

Wenn Muradin gezwungen gewesen wäre, aus einer Stadt zu fliehen, die von Drachenfeuer zerstört worden war, und eine Ewigkeit lang dieselben dreckigen Kleidungsstücke getragen hätte, wäre er wohl auch so geworden.

Trollbann furchte gedankenvoll die Stirn, aber bevor er etwas sagen konnte, unterbrach ihn Terenas leise. „Weder Thoras noch ich könnten Alterac beanspruchen. Es geht nicht einfach darum, dass ein Königreich ein anderes erobert. Wir sind alle Mitglieder der Allianz, und wir müssen zusammenarbeiten, um unsere Welt und unsere Länder zu schützen. Die Allianz als Ganzes hat die Horde besiegt und den Krieg gewonnen. Das bedeutet, dass alle Kriegsbeute, einschließlich Alterac, auch der Allianz zufällt.“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn einer von uns Alterac annektieren würde, würden sich die anderen Herrscher hintergangen fühlen – und das zu Recht.“

„Ja“, pflichtete Muradin bei. „Es muss einstimmig beschlossen werden – oder gar nicht.“ Er lächelte. „Obwohl eine gute Idee zu präsentieren, die Sache erleichtern könnte.“

Prestor nickte und stellte seine Tasse ab. „Entschuldigt, wenn ich vermessen war“, sagte er, „oder Euch beleidigt habe.“ Er lächelte ein wenig. „Ich weiß, dass ich noch viel zu lernen habe, bevor ich darauf hoffen darf, Euch an Weisheit und diplomatischem Geschick ebenbürtig zu sein.“

Terenas schob die Entschuldigung beiseite. „Ist ja nichts passiert, mein Junge. Ich habe nach Eurer Meinung gefragt, und Ihr habt sie uns wissen lassen. Unter anderem haben wir drei uns hier versammelt, weil wir diese Sache besprechen wollten. In der Hoffnung, einen Weg zu finden, alle zufriedenzustellen und trotzdem Alterac sicher zu halten.“ Er lächelte. „Unser Freund Muradin hat recht. Wenn wir den anderen einen guten Plan präsentieren können, würde uns das Zeit und langwierige Diskussionen ersparen.“

„Natürlich. Ich hoffe nur, dass meine kleinen Anmerkungen hilfreich waren.“ Prestor stand auf und verneigte sich tief. „Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt. Ich überlasse Euch Euren schweren Beratungen, welche, wie ich fürchte, weit über meine Fähigkeiten hinausgehen.“

Er wartete auf Terenas’ Entlassungsnicken, dann warf er allen ein Lächeln zu und verließ den Balkon.

Trollbann sah dem jungen Lord nach und furchte die Stirn. „Prestor ist vielleicht naiv“, sagte er, „aber er hat recht. Vielleicht sollte Alterac Reparationen zahlen.“

„Wovon denn?“, warf Muradin ein. „Sie sind genauso ausgeblutet wie wir alle. Außerdem klingt das zu sehr nach Blutgeld, was nach Rache riecht.“

„Das meiste Gold geht in den Wiederaufbau“, führte Terenas aus. „Wir haben Alteracs Schatzkammern denen der Allianz angeschlossen, als wir das Königreich übernahmen.“

„Ja, und die Internierungslager für die Orcs sind auch nicht billig“, fügte Muradin hinzu. „Wenn wir alles Gold in die Lager, die Reparaturen und die schöne, neue Festung am Portal stecken, was bleibt da noch für Reparationen übrig?“