„Wir haben nicht so viele Kämpfer, das stimmt“, sagte Khadgar. „Doch das bedeutet nicht, dass wir keine Verteidigung oder Waffen haben. Ihr werdet sehen.“
„Davon gehe ich aus.“ Danath biss die Zähne zu einem Lächeln zusammen. „Und wenn sie kommen, warte ich hier auf sie.“
Die Orcs kamen eine Stunde später.
Sie stürmten den Pfad hinauf und füllten den Weg wie Wasser, das eine enge Rampe hinunterlief. Sie drängelten einander beiseite im hektischen Verlangen, die robusten äußeren Mauern der Festung zu erreichen. Danath und Khadgar standen auf einer der Brüstungen und beobachteten das Geschehen unter ihnen.
„Verdammt... das müssen Hunderte sein“, flüsterte Danath und sah, wie die Horde die Ebene vor der Burg besetzte. Wie ein grüner Vorhang aus Orcs und Waffen drang sie vorwärts. In der Hitze des Gefechts war Danath die große Zahl der Orcs gar nicht richtig aufgefallen.
„In der Tat“, antwortete Khadgar. Der junge Magier im alten Körper schien nicht sonderlich besorgt zu sein. „Obwohl es nicht so viele wie während des Zweiten Krieges sind. Entweder haben sie viel von ihrer Stärke in diesen Kämpfen eingebüßt, oder sie halten einen Teil der Streitkräfte zurück.“ Er zuckte die Achseln. „Nicht, dass es von Bedeutung wäre. Wir werden mit allem fertig, was sie uns entgegenschicken. Ihr fragtet wegen der Verteidigung der Festung? Seht...“
Er deutete auf etwas, und Danath sah überall entlang der Mauern farbige Gestalten auftauchen. Männer und Frauen, in violette Gewänder wie Khadgar gekleidet, kamen auf die Mauern. Der Erzmagier nickte, und alle Magier hoben gleichzeitig die Hände. Danath spürte, wie sich seine Haare aufrichteten, und er hörte ein leises Summen. Dann fuhren Blitze hinab und vernichteten die erste Welle von Orcs.
„Beeindruckend“, meinte Danath, seine Ohren klingelten noch von dem eben ertönten Donnerschlag. „Aber wie oft können Eure Leute das machen?“
Khadgar lächelte. „Das werden wir jetzt herausfinden.“
Turalyon beugte sich flach über sein Pferd und trieb es so zu größerer Eile an. Obwohl er wusste, dass das Warten auf Verstärkung durch Allerias Waldläufer richtig gewesen war, drängte ihn etwas im Innersten. Er hatte das Gefühl, dass sie vielleicht zu spät kamen. Irgendetwas ging bereits in Nethergarde vor. Er war sich nicht sicher, ob es Soldateninstinkt war oder seine eigene Unsicherheit. Aber der Paladin, der normalerweise freundlich zu Tieren war, trat sein Pferd immer wieder.
Mit ihm ritten seine Männer, Alleria und ihre Waldläufer. Alleria schaute ihn fragend an, weil sie bemerkte, wie er sein Tier antrieb, doch sie schwieg. Er sah zu ihr und wollte es irgendwie erklären, aber alles, was er hervorbrachte, war: „Etwas geschieht bereits.“
Sie öffnete den Mund, bereit für eine Stichelei, schloss ihn aber, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Stattdessen nickte sie einfach und beugte sich vor, um ihrem Pferd etwas ins Ohr zu flüstern. Sie schien Turalyon zu glauben, und einem Moment lang wichen in ihm Sorge und Angst einer wohligen Wärme.
Der Ritt schien endlos zu dauern. Durch die Wiesen und sanften Hügel von Goldhain und die kleine Stadt Dunkelhain hindurch, über das graue Land, zu dem Ort, wo Medivh in Karazhan gelebt hatte. Treffenderweise hieß diese Stelle Gebirgspass der Totenwinde.
Schließlich ging es in die matschigen, stinkenden Sümpfe des Elends. Aber jetzt änderte sich das Land, und Turalyon spürte einen inneren Ruck, als er es bemerkte. Das faulige Blätterwerk war, trotz des unangenehmen Geruchs, immerhin ein Anzeichen von Leben gewesen. Der Boden unter ihm begann nun rot und trocken zu werden, fast wie in der Wüste.
Alleria furchte die Stirn. „Es... fühlt sich tot an“, brüllte sie über das Donnern der Hufe hinweg. Turalyon nickte nur atemlos. Sie ritten weiter durch die leere Landschaft und überquerten einen kleinen Hügel. Dahinter lag, wie eine weiße Spitze über der blutroten Umgebung, die Festung.
Er ließ sein Pferd halten und versuchte zu erkennen, was die ganze Zeit an ihm genagt hatte. „Etwas stimmt da nicht“, murmelte er.
Alleria beschirmte ihre Augen gegen die Sonne. Sie konnte besser sehen als er, und als sie nach Luft schnappte, wusste Turalyon, dass er recht gehabt hatte.
„Die Festung wird angegriffen!“, rief sie. „Die Horde... Turalyon... es ist, als würde ich wieder die Horde des Zweiten Krieges sehen! Es müssen Hunderte sein!“ Ihre Stimme klang erschrocken, aber irgendwie auch freudig erregt. Und das eiskalte Lächeln von Hass und Wut hatte ihr Gesicht wieder verzerrt.
Er erinnerte sich an die Unterhaltung in Sturmwind. Alleria würde die Möglichkeit erhalten, eine Menge „Ungeziefer“ zu vernichten. Er hasste ihre Gier nach dem Tod... und fürchtete, dass diese sie leichtsinnig werden ließ.
„Wir sind fast da“, sagte er zu ihr und seinen Kommandeuren, die sich neben ihm versammelt hatten. „Wir schlagen von hinten zu und keilen die Orcs zwischen uns und Nethergarde ein. Wenn wir sie geschlagen haben, reiten wir in die Festung und verstärken die Verteidigung, für den Fall, dass die Orcs erneut angreifen. Auf geht’s.“
Sie eilten zur letzten Hügelkuppe. Kurz bevor sie die Anhöhe überquerten, ließ Turalyon sie anhalten. Der Pfad stieg ein letztes Mal an, lief an den Felsen eine kleine Erhebung hinauf. Dahinter lag das Plateau. Von dort aus konnten sie alles gut überblicken.
Hunderte Orcs attackierten die Mauern von Nethergarde, obwohl die Festung bislang die Angriffe mit Leichtigkeit zu überstehen schien. Hier und da lagen Orc-Leichen. Turalyon sah mindestens einen Toten, dem ein Pfeil aus dem Hals ragte. Viele andere waren böse verbrannt, aber einige Orcs schienen unverletzt. Er sah auf und erblickte die Gestalten in den violetten Gewändern auf der Brüstung der Festung. Und trotz des Ernstes der Lage lächelte er, als er verstand, was passiert war.
„Wir müssen zuschlagen, bevor sie merken, dass wir hier sind. Sammelt die Männer und lasst sie auf meinen Befehl hin angreifen.“ Seine Kommandeure und Alleria nickten, gingen zu ihren Einheiten und gaben die Befehle ruhig weiter. Waffen wurden gezogen, Gurte kontrolliert, Schilde und Visiere gesenkt, und dann rückte die Armee vor.
Turalyon und die anderen arbeiteten sich vor und überbrückten die letzte Distanz zum Plateau. Die Hufe ihrer Pferde wurden von Staub umwölkt. Dem Licht sei Dank waren die Orcs so mit Rufen, Fluchen und Grunzen beschäftigt, dass sie nicht hörten, wie sie sich näherten.
Es war an der Zeit. Sie waren, so weit es ging, ungesehen vorangekommen. Turalyon atmete tief durch und hob den Hammer hoch über seinen Kopf.
„Söhne Lothars!“, rief er. Die Macht des Heiligen Lichts verstärkte seine Stimme und trug sie zu jedem Mann unter seinem Kommando. „Für die Allianz - für das Licht!“
Seine Soldaten brüllten, und mehrere Hundert Kehlen stimmten ihren eigenen Kriegsruf an. Turalyon ließ den Hammer niederfahren, und der Angriff begann.
Einige der Orcs in den hinteren Reihen hörten seinen Ruf und wandten sich um. Doch da wurden sie schon von den heranbrandenden Pferden niedergetrampelt. Andere wurden erschlagen, bevor sie die Gefahr überhaupt wahrnahmen.
In der Festung jubelten die Männer, als Turalyon und die Seinen vor-wärtsstürmten. Sie bahnten sich den Weg mit Hämmern, Äxten und Schwertern. Alleria und ihre Waldläufer feuerten einen Pfeil nach dem anderen ab, spannten die Bögen mit übermenschlicher Geschwindigkeit und waren noch dazu äußerst treffsicher. Ihre Pferde verlangsamten den Galopp dabei nicht. In überraschend kurzer Zeit war Turalyon bis zu Nethergardes riesigen Toren vorgedrungen, die sich bei seinem Näherkommen öffneten.
Turalyon zögerte und blickte zurück ins Gefecht. Seine Augen schauten in die von Alleria. Er wies auf das Tor. Sie furchte die Stirn... Genau wie er auch, zögerte sie, nicht bereit, den Kampfplatz zu verlassen. Aber sie waren die Anführer ihrer Einheiten, und sie mussten so schnell wie möglich mit dem Kommandanten der Burg sprechen.