„Bald“, sagte sie und schenkte ihm ein für ihre Verhältnisse ungewöhnlich freundliches Lächeln.
„Das Ding ist riesig“, erklärte Alleria. Turalyon hatte sie und ihre Waldläufer gebeten, die Zitadelle auszukundschaften. Und nun standen die beiden mit Khadgar, Danath und Kurdran im Versammlungsraum und besprachen, was sie herausgefunden hatten. „Allein auf den Wehrgängen befinden sich Dutzende Orcs. Und hier stehen Wachttürme.“ Sie zeigte die Stellen auf der Karte. „Wir sollten von hier aus angreifen. Während ihr sie da ablenkt, kann ich die Waldläufer hineinschicken und die Wachen kaltstellen. Wenn dann niemand mehr Alarm schlagen kann, kommt die Hauptangriffswelle von den Toren her, die wir für euch öffnen werden.“
„Gut“, sagte Turalyon. „Wir greifen von zwei Seiten an. Das dürfte sie überraschen. Wir müssen sie mit voller Wucht attackieren. Kesselt sie ein, lasst keinen entkommen, schließt die Reihen und metzelt jeden Orc nieder, der noch kämpfen kann.“
„Wir greifen von oben an“, erklärte Kurdran, „und halten sie beschäftigt, während ihr da unten attackiert.“
Turalyon nickte, aber Alleria schüttelte den Kopf. „Ihr werdet mit euren eigenen Problemen beschäftigt sein“, sagte sie. „Die Orcs haben Drachen, schon vergessen?“
Sie hatten alle die langen, dunklen Schemen über der Zitadelle kreisen gesehen, die wie große Vögel immer wieder spielerisch herabstießen.
Doch Kurdran lachte. „Ja, aber es sind nur eine Handvoll, Mädchen! Die töten wir, während du noch blinzelst.“
Turalyon musste angesichts der Selbstsicherheit des Wildhammerzwerges schmunzeln. „Nichtsdestotrotz“, sagte er, „bauen wir nicht nur auf die Hilfe unserer Greifenreiterfreunde. Wir müssen uns mehrfach absichern.“
Kurdran nickte. Er sah hinüber zu Khadgar. „Kannst du irgendetwas gegen die Hexenmeister oder die Drachen unternehmen?“
„Mir fällt sicherlich etwas ein“, antwortete Khadgar. Er schaute zu Kurdran. „Ich habe da ein paar Ideen, die deinen Greifen einen echten Vorteil verschaffen und den Soldaten helfen...“
Turalyon nickte. Der Plan nahm Konturen an. Dann kam er zu dem Teil, vor dem er sich fürchtete. Er atmete tief ein. „Jemand muss bleiben und die Stellung in der Ehrenfeste halten, falls wir uns zurückziehen müssen. Alleria, ich möchte, dass du das bist.“
„Was?“ Sie starrte ihn mit offenem Mund an.
„Es ist entscheidend, dass jemand zurückbleibt, dem ich vertraue. Hier ist unsere Basis. Wir können es uns nicht erlauben, sie zu verlieren, wenn die Orcs sich aufteilen und...“
„Du brauchst mich im Angriff.“
„Wie ich bereits sagte, brauche ich dich hier. Sende deine Waldläufer aus, um die Wachen auszuschalten.“
Sie schüttelte den blonden Kopf. „Nein, das tue ich nicht. Jeder Soldat hier weiß, wie man diese Festung hält. Meine Waldläufer unterstehen mir. Und ich schicke sie nicht mit dir. Nicht, wenn du mir befiehlst zurückzubleiben.“
„Sei doch vernünftig“, begann er.
Aber sie unterbrach ihn. „Vernünftig? Ich bin Veteranin und habe mehr Schlachten geschlagen, als du je erlebt hast, Turalyon!“
„Alleria, du bist... zu waghalsig“, sagte Turalyon und hasste es, dass er so mit ihr reden musste. Aber er sah keinen anderen Weg. „Ich habe dein Leben gerettet, als...“
„Und ich habe euch alle gerettet. Und das mehr als einmal!“
„Meine Herren“, sagte Khadgar. Dabei legte er eine Hand auf Kurdrans und Danaths Schulter und führte sie zur Treppe. „Ich glaube, ihr beide wollt doch sicher noch einmal die Konstellationen sehen, von denen ich euch erzählt habe.“
„Ach ja“, sagte Kurdran, und die drei verließen schnell den Raum.
Turalyon war zu sehr auf Alleria fixiert, um zu bemerken, dass man ihnen gerade einen Augenblick Privatsphäre ermöglichte. „Alleria, du kämpfst nicht klug. Jedenfalls nicht mehr. Ich kann nicht immer auf dich aufpassen, um dich vor dir selbst zu schützen!“
„Ich habe ein Recht auf Rache! Sie haben meine Familie abgeschlachtet... mein Volk...“
„Glaubst du, Lirath hätte gewollt, dass du dein Leben wegwirfst? Was für ein Vermächtnis wäre das denn gewesen?“
Es war das erste Mal, dass er von Allerias Bruder sprach. Die Erwähnung des Namens unterdrückte eine scharfe Antwort. Unbarmherzig setzte Turalyon nach, bevor sie etwas erwidern konnte. „Ich weiß, dass du eigentlich eine großartige Kämpferin bist. Aber... gerade jetzt bist du es nicht.“
„Lirath... die anderen... Ich war nicht bei ihnen. Ich hätte vielleicht etwas tun können. Ich war in Sicherheit, als sie gestorben sind.“ Tränen standen in ihren strahlenden grünen Augen, und Turalyon atmete tief ein. Er hatte sie nie zuvor um ihre Angehörigen weinen gesehen. „Also tat ich das Nächstbeste. Ich folgte ihren Mördern. Und es half. Dadurch konnte ich den Schmerz verdrängen.“
Und plötzlich verstand Turalyon. „Was du mir in der Nacht erzählt hast“, sagte er und betete darum, das Richtige zu sagen. „Das habe ich übersetzen lassen.“ Er zögerte, dann flüsterte er: „Hilf mir zu vergessen.“
Tränen flossen und liefen ihre Wangen hinunter. „Aber ich wollte nicht vergessen. Ich will sie nicht loslassen. Wenn ich nicht um sie trauere... ist es, als wären sie gar nicht weg.“
Auch Turalyon hatte Tränen in den Augen. Es brach ihm das Herz. Aber sie brauchte das. Sie musste trauern, die Toten beweinen. Orcs zu töten, war für sie kein Allheilmittel mehr. Es hielt den Schmerz nicht mehr zurück, und sie begann sich damit zu behelfen, dass sie stattdessen alle Gefühle unterdrückte. Es zumindest versuchte.
„Ich kann nicht zurückbleiben. Bitte mich nicht darum. Das habe ich schon einmal gemacht. Ich will nicht mit ansehen müssen, wie jemand, den ich liebe, in den Tod geht, während ich...“
Plötzlich legte sie die Arme um ihn, ihr Kopf war an seine Brust gepresst, und er hielt sie fest umschlungen. Ihr schlanker Körper erbebte unter den zu lange zurückgehaltenen Tränen. Es war, als würde sie ertrinken. Turalyon küsste ihr goldenes Haar und atmete den Duft nach Pinien, Erde und Blumen ein.
„Ich lasse dich niemals zurück“, schwor er.
Sie wandte ihm ihr nasses Gesicht zu. „Und ich“, flüsterte sie ihm zu, als er sie küsste, „werde dich niemals verlassen.“
17
„Fertig!“ Ner’zhul sank auf seinen Thron zurück und schloss einen Moment lang die Augen, bevor er sich der Schriftrolle widmete, die ausgerollt auf seinem Schoß lag. Es hatte ihn Monate der Forschung gekostet, der Planung, des Lernens und der Konzentration, aber schließlich war der Zauberspruch fertig!
Mit Einsetzen der Konjunktion konnte er Portale in andere Welten öffnen, und sein Volk hatte wieder eine Welt für sich, nein, sogar viele, und sie alle waren so vital wie die Orcs.
Und das alles verdankten sie ihm.
„Gut“, polterte Kilrogg, der in der Nähe stand. „Ein paar Tage noch bis zur Konjunktion. Dann können wir diesen öden Ort den Menschen überlassen und beginnen, unser Volk neu aufzubauen,“
Ner’zhul betrachtete den einäugigen alten Krieger gedankenverloren. Kilrogg hatte ihn immer beeindruckt. Sowohl mit seinem wachen Geist und seinem exzellenten taktischen Verständnis als auch durch seine Fähigkeiten im Kampf.
Als der narbenübersäte Häuptling vom Klan des blutenden Auges durch das Portal zurückgekommen war, hatte Ner’zhul erkannt, dass es eine Verschwendung gewesen wäre, ihn wieder in den Kampf zu schicken. Außerdem gab es nur noch wenige Krieger vom Klan des blutenden Auges. Zwei Jahre hatten sie sich vor den Menschen und deren Verbündeten verstecken müssen. Das hatte einen hohen Blutzoll von dem einst großen Klan gefordert. Deshalb hatte Ner’zhul entschieden, Kilrogg an seiner Seite zu behalten und dessen Krieger zu seinen Leibwächtern zu machen. Seinem eigenen Schattenmondklan hatte das nicht gefallen, aber der war immer noch groß genug, um gegen die Allianz antreten zu können. Außerdem fand Ner’zhul, dass er nun, da er Kriegshäuptling war, niemanden bevorzugen durfte.