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Die Krieger der Horde blieben stehen und sahen sich um. Die Bäume endeten direkt hinter ihnen. Vor ihnen erstreckte sich graue Erde und die Knochenwüste. Auchindoun erhob sich in der Mitte, gedrungen und hässlich. Die Überreste der eingestürzten Kuppel ragten wie Zahnstümpfe daraus hervor. Der zerstörte Tempel lag eingebettet darin, wie ein abgeschlagener Kopf, der zur Hälfte vergraben war.

Ner’zhul sah sich um. Er konnte nicht anders. Der heilige Friedhof der Draenei war schon immer unheilvoll gewesen. Jetzt klafften Risse in der Tempelwand, ganze Sektionen waren ohne Dach, der Wald ringsum war verschwunden, und Knochen bedeckten den Boden. Er konnte das Auchindoun von heute kaum mit der grausamen Erhabenheit des Monuments in Einklang bringen, das ihn in seiner Jugend in solche Angst versetzt hatte.

Der Boden um ihn herum schien zu beben, und zuerst glaubte Ner’zhul, es sei nur das Blut, das durch seine Adern pulste. Denn sein Herz schlug hart beim Anblick der Totenstadt. Dann erkannte er, dass die Erschütterungen von außerhalb kamen, und er sah sich um. Seine Orcs bewegten sich nicht. Einige warfen sich nervöse Blicke zu, als suchten sie wie er nach etwas. Er blickte sich um und erkannte durch die Bäume Gestalten.

„Die Allianz ist direkt hinter uns!“, rief er, Seine Stimme war weithin zu vernehmen. „Wir müssen in Deckung, nach Auchindoun hinein. Beeilung!“

„Los, ihr nutzlosen Dummköpfe!“, brüllte Kilrogg und schlug mit seiner Axt so fest gegen einen nahe stehenden Stamm, dass der ganze Baum zitterte.

Geräusch und Bewegung rissen die Krieger aus ihrer Erstarrung. Nun liefen alle in Richtung der zerstörten Tore des Draeneigebäudes.

Als sie durch das große, schief stehende Portal kamen, spürte Ner’zhul, wie ihn ein Schauder der Angst durchfuhr. Gab es hier immer noch Geister, die diese Massengruft bewachten, so wie er sie gespürt hatte, als er das erste Mal vor langer Zeit hier gewesen war? Oder waren sie nach der Zerstörung gegangen?

Er hastete tief in den zerstörten Tempel und durch ein klaffendes Loch in die Überreste des Labyrinths. Kilrogg und Blutschatten waren bei ihm, ebenso wie mehrere von Kilroggs besten Kriegern.

Etwas, so schien es, hatte überlebt, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Ein eleganter Bogen, jetzt zertrümmert, erhob sich am Fuß der Treppe, die sie hinuntergestiegen waren. Und darüber sah Ner’zhul merkwürdige, anmutige Formen, die sehr schön wirkten. Dicke Säulen hatten einst ein hohes Dach gestützt. Und Teile davon standen noch. Ihre raue, schmucklose Oberfläche war ein krasser Gegensatz zu den verzierten Wänden, in die Nischen eingelassen waren.

Ein weißer oder goldener Schimmer wies gelegentlich darauf hin, was sie dort finden würden: Knochen. Zweifelsfrei hatten alle Nischen Überreste der Draenei enthalten. Doch die lagen nun größtenteils über die Knochenwüste verstreut. Die Ahnen der Draenei waren heute den Elementen ausgesetzt, wo sie doch einst friedlich im Schatten der schweren Steine darunter geruht hatten.

Der Boden hier bestand ebenfalls aus Stein, kleine Kacheln, die sich zu einem größeren, komplizierteren Muster wandelten. Breite Gänge verbanden die einzelnen Ebenen.

Ner’zhul blickte nach unten und erkannte mindestens sechs Etagen. Das Innere war von der verhängnisvollen Explosion zerstört worden. Die Ruine war jetzt Wind und Regen ausgesetzt.

Dann brachten ihn die anderen in einen breiten Tunnel, der aus dem Innenraum hinausführte.

„Die Wände hier sind immer noch stabil“, sagte Kilrogg, sah sich um und nickte zustimmend.

Ner’zhul war zufrieden. Kilrogg hatte ihn mit seiner schrecklichen Angst beunruhigt. Doch jetzt war Kilrogg zuversichtlich und lamentierte nicht länger.

„Ein paar eingestürzte Stellen, aber der größte Teil der Decke hält noch, und der Boden ist begehbar. Wir können unsere Krieger ein Stück weiter da hinten zusammenziehen, wo es etwas weniger verwüstet aussieht.“ Er deutete auf das Ende des Tunnels, der sich in die Schatten erstreckte.

Ner’zhul sah, dass er recht hatte. Dort lag weniger Geröll, und die Decke schien intakt. „Hier können wir einen starken Verteidigungsposten errichten. Die Allianz wird es nicht leicht haben, uns herauszubekommen, wenn wir erst mal drin sind.“

„Einige der unteren Stollen könnten noch intakt sein“, meinte Blutschatten. „Wir sollten sie sorgfältig untersuchen, bevor wir weitergehen. Wenn nichts... anderes dort ist, bieten sie vielleicht einen noch besseren Schutz.“

Kilrogg nickte und stellte einige seiner Krieger ab, um den Rest des Tunnels und die benachbarten Gänge abzusuchen. Er ermahnte sie aber, sich nicht zu weit zu entfernen.

Den anderen befahl er, Geröll zum Tunneleingang zu schleppen und einen niedrigen Wall zu errichten. Anschließend feilte er mit Blutschatten und Ner’zhul an Kampfstrategien.

Ein paar Stunden später kehrten Kilroggs Kundschafter zurück. Die Augen der Krieger leuchteten, und ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Da ist etwas, das ihr euch ansehen müsst.“

„Was denn?“, fragte Ner’zhul, stand auf und rieb sich die Hände an den Schenkeln ab. Er und Blutschatten hatten an einem Notfallplan gearbeitet, der sie vielleicht retten konnte. Aber er war noch nicht ganz ausgereift.

„Ich... wir haben etwas gefunden“, antwortete der Krieger. Das Lächeln wurde breiter, und Ner’zhuls Laune besserte sich.

Was auch immer sie gefunden haben mochten, es war nach Meinung der Kundschafter ganz sicher keine Bedrohung. Ner’zhul bedeutete dem Orc voranzugehen. Sie verließen den Raum, den sie für die Besprechung genutzt hatten, und gingen einen Tunnel entlang. Andere Krieger hatten sich dort versammelt, und als Ner’zhul eintraf, zerstreuten sie sich.

„Bei den Ahnen!“, flüsterte Ner’zhul mit offenem Mund.

Vor ihm standen mehrere Gestalten. Eine war ein Oger, und der Rest... waren Orcs!

Ner’zhul kannte sie nicht. Auch Schmuck und Kleidung waren ihm völlig fremd.

„Wer seid ihr?“, wollte er wissen. Er blieb nur wenige Schritte vor den Fremden stehen. „Und was macht ihr hier in Auchindoun?“

Einer der Orcs trat vor. Er war klein und breit, so wie Gul’dan gebaut gewesen war. Und tatsächlich sah Ner’zhul viel von seinem früheren Schüler in den Gesichtszügen und der Haltung des Fremden.

Der Kopf des Orcs glitzerte im Schein der Fackeln, die die Krieger an den Wänden befestigt hatten. Sein langer, fransiger Bart war von schwarzen und silbernen Strähnen durchzogen. Eine Aura der Macht umgab ihn, als er in seinem runenverzierten Gewand mit einem beeindruckenden Stab in der Hand vortrat.

„Ner’zhul?“, sagte er leise, seine Stimme klang rau. „Bist du das? Wo ist Gul’dan?“

„Der Verräter Gul’dan ist tot“, antwortete Kilrogg, knurrte den Fremden an und schaute ihn mit einem Auge an. „Seine Pläne hätten uns beinahe alle in den Tod gerissen. Ner’zhul herrscht jetzt wieder über die Horde!“

Der Fremde nickte, offensichtlich erschütterten ihn die Neuigkeiten nicht. „Dann unterwerfe ich mich deiner Führerschaft, Ner’zhul“, sagte er. Die Worte klangen zögerlich, als hätte er schon eine ganze Weile nicht mehr gesprochen. „Ich bin Vorpil vom Schattenrat, obwohl du mich vielleicht nicht erkennst.“

„Vorpil!“ Ner’zhul starrte den Fremden an und blinzelte ungläubig im schwachen Licht, zugleich bemerkte er die Ähnlichkeit, die nur durch das Alter dieses Mannes getrübt wurde.

Der Vorpil, den er kannte, war ein vielversprechender junger Schamane des Donnerfürstenklans gewesen. Er hatte dichtes, dunkles Haar gehabt, das seinen Rücken hinabreichte. Sein Bart war kurz geschnitten gewesen und ebenfalls schwarz.

Was war mit ihm geschehen, dass er dermaßen gealtert war? Und wie hatte er solche magische Kraft erlangen können?

Blutschatten trat jetzt ebenfalls vor, weil auch er Mitglied von Gul’dans Schattenrat gewesen war. „Vorpil?“, flüsterte er. „Wie bist du hierhergekommen, alter Freund?“

Vorpil knurrte und zuckte zurück. Furcht zeichnete sich auf seinem stumpfen Gesicht ab, als er den Todesritter sah.