Er sah auf und bemerkte einen weiteren Schatten, der sich in die Luft erhob. Seine Flügel verdunkelten das ganze Tal. Gegen ihn wirkte selbst Gruul wie ein Zwerg. Der Gronn presste sich gegen die Talwand, knurrte und richtete sich auf. Seine Oger und der kleinere Gronn waren nicht aus seinem Holz geschnitzt. Sie schrien und flohen in Panik. Die Gestalt stürzte herab, das Sonnenlicht glitzerte auf ihrer Haut, ihr langer Hals richtete sich auf. Das Maul war weit aufgerissen. Heiß strömte es aus ihrer Kehle, ein Strom glühender Magma, die Oger, Menschen, tote Drachen und zerschmetterte Eier augenblicklich in Asche verwandelte.
„Rückzug“, rief Turalyon seinen Männern zu, die bereits davonliefen. „Zurück zur Talwand!“
Dort sammelten sie sich. Khadgar, Turalyon und Alleria standen an vorderster Front. Khadgar schluckte. Der Magier hatte gewusst, dass die Kreatur riesig war, aber das hier... Todesschwinge war unglaublich groß. Die anderen Drachen erschienen dagegen wie Kinder.
Khadgar konnte es kaum glauben. Aber eine Sache machte ihn neugierig. Der Vater der schwarzen Drachen hatte silberne Platten auf dem Rücken, glitzerndes Metall lief sein Rückgrat hinunter. Unterhalb dieser Platten glühte es rot wie die Magma, mit der Todesschwinge sie gerade angegriffen hatte. Die riesigen Klauen des Drachen gruben sich tief in den Stein des Talbodens ein. Lediglich seine linke Vorderklaue hielt er hoch, als wäre er verletzt oder würde etwas damit tragen.
„Der Schädel“, flüsterte er zu Turalyon und Alleria. „Er hat den Schädel bei sich!“
„Nett von ihm, das Ding mitzubringen“, murmelte Turalyon. „Aber wie kriegen wir es?“
Todesschwinge faltete seine Flügel zusammen und setzte sich. Sein langer Hals reckte sich und schaute drohend auf sie herab. Seine roten Augen blitzten vor Wut.
„Meine Kinder!“, heulte der Drache, seine Stimme klang wie ein Feuer, das Holz verzehrte. Wie Metall, das über Knochen schabte. Eine tiefe Trauer schwang darin mit. „Meine Kinder wurden ermordet!“ Sein Schwanz erhob sich, knallte zu Boden, und ein Riss lief durch die Erde. „Tretet vor, ihr widerlichen, feigen Schurken, Mörder wehrloser Kinder, und lernt Folter und Wahnsinn kennen, bevor ich euch fresse! Wer will als Erster zu Asche verbrannt werden?“
Seine glimmenden Augen verengten sich, als sie sich Gruul zuwandten. Mordlust loderte in seinem Blick. „Du“, sagte er und zog dabei die Silbe derart in die Länge, dass sie unfassbare Qualen versprach. Seine Stimme wurde fast zum Flüstern, klang beinahe schon zärtlich. Und Khadgar war dankbar, dass dieser schreckliche Blick an ihm vorbeigegangen war.
Aber Gruul verzagte nicht. „Ich!“, verkündete er. „Ich bin Gruul, der größte der Gronn! Dies mein Land. Meine Berge. Du sie mir nicht wegnehmen! Du gehen oder enden wie Kinder!“
Todesschwinge brüllte so laut, dass Khadgar fast taub wurde. „Meine Kinder!“, weinte er, und der Schmerz in seiner Stimme ließ Khadgar fast... fast... Sympathie für ihn empfinden. „Leib gewordene Perfektion... schön und hilflos...“ Die Worte wurden unverständlich, als Todesschwinge aufheulte. Magma tropfte aus seinem Maul und zerstörte den Stein, auf dem er stand. Sein Flügelschlag erzeugte fast tornadoartige Stürme.
Khadgar wünschte sich beinahe, er hätte auf Turalyons Einwände beim Zerstören der Eier gehört. Was hatten sie sich dabei gedacht?
Licht, was hatte er sich dabei gedacht? Sich gegen dieses Monster zu stellen, die alte, böse, schreckliche Manifestation des Zorns. Wie konnten sie dieses Geschöpf nur besiegen?
„Oh, wie tapfer von euch!“ Todesschwinges Trauer hatte sich in Hohn verwandelt. „Wie viel Mut es gekostet haben muss, die Schalen zu zerstören und die wehrlosen Kinder zu töten! Wie schade, dass ihr nicht lange genug lebt, um mit eurer edlen Tat prahlen zu können!“ Seine Flügel schlugen erneut. Der machtvolle Sturm, den sie entfachten, drückte Gruul an die Wand. Gruuls Oger jammerten vor Furcht. Sie umarmten die Talwände beinahe. Von ihnen konnte Gruul keine Hilfe erwarten.
„Jämmerliche Sterbliche! Ich hatte im Laufe der Geschichte schon viele Namen, die alle eine Verbindung mit dem Tod hatten. Neltharion, Xaxas und viele mehr. Aber ihr kennt mich am besten als Todesschwinge! Ich bin das Ende des Lebens, die Finsternis der Sagenwelt, der Herr des Todes, der Meister der Zerstörung. Und ich sage euch jetzt, dass diese Welt mir gehört!“
„Niemals!“, antwortete Gruul. Er knurrte und warf sich gegen Todesschwinge. Der riesige Gronn krachte gegen die Brust des Drachen. Die Wucht des Aufpralls ließ die Klippen ringsum erbeben. Steine rollten die Bergkuppen hinab. Der größte Teil der Allianzstreitkräfte stürzte, und selbst die Oger gingen in die Knie. Andere Drachen waren entlang des Tals erschienen, und auch sie mussten einen Schritt zurückweichen. Aber als der Staub sich legte, schüttelte Gruul nur den Kopf. Todesschwinge war unverletzt.
„Kannst du nicht mehr, o mächtiger Gruul?“, spottete Todesschwinge. Er senkte den Kopf, sodass seine knochige Stirn gegen die des Gronn drückte. „Kannst du nicht mehr?“
Er hob eine Vorderklaue, die andere war immer noch geschlossen. Er hielt die Tatze über Gruuls Kopf, als wollte er ihn wie ein Insekt zerquetschen. Es war wie ein Signal. Die Drachen stimmten einen Kriegsruf an, sprangen aus der Hocke und flogen mit tödlicher Präzision auf Menschen, Oger und Gronn zu. Die Oger schienen erstarrt zu sein. Sie sahen mit offenem Mund ihrem eigenen Untergang zu.
„Söhne Lothars! Zum Angriff!“
Turalyons Stimme war klar und stark, und man konnte sie viel weiter hören als normalerweise. Er hob den Hammer, seine Augen leuchteten, und er stürmte gegen die Drachen vor. Der Hammer glühte, als er den ersten am Schädel traf. Die Bestie fiel um wie ein Stein.
„Für Quel’Thalas!“ Alleria und ihre Waldläufer begannen zu feuern. Kriegsrufe erklangen von den Soldaten der Allianz, den Elfen und Menschen gleichermaßen. Darunter mischte sich das ohrenbetäubende Brüllen der Oger und Gronn, die sich langsam von dem Schreck erholt hatten. Die Drachen stürzten nach unten, erregt und stolz auf ihren Vater. Sie spien Magma oder schlugen mit den Klauen nach den Feinden.
Die Oger und Gronn schienen sich daran zu erinnern, dass sie auch schon früher Drachen bekämpft hatten. Und wieder begannen sie die Kreaturen aus der Luft zu pflücken und ihnen die Flügel auszureißen. Ein Oger schlug sein flatterndes Opfer so fest gegen die Wand, dass sie einstürzte. Steine rutschten den Berg hinunter und begruben alle, die sich nicht schnell genug in Sicherheit gebracht hatten.
Khadgar behielt den Kampf zwischen Todesschwinge und Gruul im Auge. Es war tapfer von dem Gronn, gegen den schwarzen Drachen anzutreten, aber er würde schon bald unterliegen. Der Magier vermutete, dass der einzige Grund, warum er noch nicht verloren hatte, der war, dass Todesschwinge mit ihm spielte. Er quälte die Kreatur, die, wie er glaubte, seine kostbare, abscheuliche Brut getötet hatte, bevor er sie endgültig erledigte.
Und dann – war er mit Gruul fertig.
Sie mussten Todesschwinge den Schädel abnehmen. Sie mussten es einfach.
Khadgar hob seinen Stab und murmelte Worte der Macht. Der daraus entstehende Blitz blendete seine Augen. Nachbilder erschienen, als er blinzelte. Der Blitz traf Todesschwinge in die Brust und ließ den Drachen ein paar Schritte zurücktaumeln. Die Blitze glitten von den Metallplatten am Rücken wie Wassertropfen von einer heißen Bratpfanne ab. Khadgar erkannte jedoch, dass der Drache unverletzt war.
„Gut getroffen, kleiner Magier“, meinte Todesschwinge. Sein Maul verzog sich zu einem kalten Lächeln. „Aber diese Magie beherrschte ich schon Jahrtausende, bevor deine Rasse auch nur das erste Mal davon hörte. Du musst dich schon mehr anstrengen, wenn du mich besiegen willst!“
Gruul warf sich erneut in die Schlacht. Khadgar musste ihn bewundern und überlegte verzweifelt, was zu tun war. Todesschwinge wandte seine Aufmerksamkeit dem Gronn zu. Er widerstand dessen Attacken mit Leichtigkeit und drosch ihn mit einem einzigen Schlag seiner Flügel beiseite.