Khadgar schaute den Drachen an. Ein merkwürdiges Gefühl durchfuhr ihn, als er ihn erneut angriff. Er sah mit Schrecken, wie Todesschwinge fast beiläufig einem Spruch widerstand, der seine Knochen in Eis hätte verwandeln sollen.
Todesschwinge hatte recht. Khadgar erkannte, dass er ein arroganter Narr gewesen war. Es gab keine Möglichkeit, die gepanzerte Haut zu durchdringen.
Gepanzert...
Khadgars Augen verengten sich. Todesschwinge schien im roten Sonnenlicht zu leuchten. Er glitzerte wie dunkles Messing – oder Blut.
Metallpanzerung...
Mit Lücken und Rissen, unter denen das Magma rot glühte.
Und dann begriff er. Sein Eiszauber hatte nicht gewirkt, weil er zu schwach für die Hitze in Todesschwinges Körper war. Der schwarze Drache bestand förmlich aus Magma. Und die Panzerplatten auf seinem Rücken – die, wie Khadgar nun erkannte, an den Ecken und Verbindungsstellen glühend heiß waren – hielten ihn zusammen.
Blitze funktionierten nicht. Feuer und Eis waren nutzlos. Das war seine mächtigste Magie, und sie kratzte nicht einmal an dem Drachen.
Aber wie wäre es mit dem schwächsten Zauber? Was war mit einem der ersten Sprüche, die man in Dalaran erlernte? Ein Taschenspielertrick, den jeder Schüler beherrschte.
Hoffnung, schmerzvoll und berauschend, stieg in ihm auf. Vielleicht würde es funktionieren. Es war die letzte Karte, die er ausspielen konnte. Aber er musste näher heran.
Khadgar straffte seine Schultern und stürmte vor, vorbei an Turalyon und Alleria, die einen schwarzen Drachen gemeinsam mit zwei Ogern bekämpften.
Dann ging er allein auf Todesschwinge zu.
Glücklicherweise hielt Gruul Todesschwinge beschäftigt.
Und keine der beiden großen Kreaturen bemerkte den alt wirkenden Mann, der sich an sie heranschlich, bis er nur noch zehn Schritte von Todesschwinge entfernt war. Gruul kämpfte und versuchte, dem krallenbewehrten Fuß zu entkommen, mit dem Todesschwinge ihn festhielt. Der Drache beugte sich vor, sein kräftiges Gebiss war weit geöffnet, als Khadgar seine Hand erhob und den Zauber wirkte.
Die Magie spürend, sah sich Todesschwinge um, erblickte Khadgar und lachte. „Noch mehr Zauberei?“, spottete der Drache. Seine Augen glichen denen einer belustigten Katze. „Wie unterhaltsam. Hast du immer noch nicht erkannt, dass deine stärksten Sprüche mir nichts anhaben können?“
Doch dann erkannte er die Worte von Khadgars Zauber, und die Augen des Drachen weiteten sich vor Schreck. „Was hast du... erbärmlicher Wicht?! Ich lasse dich verstummen!“ Er wandte sich von Gruul ab und mit fürchterlicher Entschlossenheit Khadgar zu.
Der Anblick war so erschreckend, dass Khadgar beinahe vergaß, den Zauber zu beenden. Er schüttelte den Kopf, sammelte sich und sprach das Kommandowort.
Ein lautes Knacken stieg von dem Drachen auf. Todesschwinge brüllte erneut, wand sich vor Schmerz, als die Metallpanzerung, die seinen Körper bedeckte, sich von ihm zu lösen begann. Verbindungsstücke öffneten sich, und mehrere Platten fielen ab. Wo dies geschah, brach das Magma wie aus einem Vulkan hervor. Es spritzte heraus und verteilte sich auf dem Talboden.
Die Rüstung hatte Todesschwinge zusammengehalten. Und als Khadgars Spruch sie entfernte, begann der Drache diesen Zusammenhalt einzubüßen.
„Nein!“ Todesschwinge war aufs äußerste entsetzt. Er wandte seinen Hals, um sich den Schaden zu betrachten, und sah das zerdrückte, verbogene Metall, die auslaufende Magma. Schließlich blickten seine glühenden Augen Khadgar an. „Du hast vielleicht diese Schlacht gewonnen. Aber höre dies und höre gut zu: Dich merke ich mir, Magier!“
Khadgar schluckte, unfähig, dem Blick auszuweichen.
„Ich habe dein Gesicht in mein Gedächtnis eingebrannt“, fuhr Todesschwinge fort. „Ich werde dich in deinen Träumen verfolgen und auch in deinen wachen Momenten. Ich komme wieder und finde dich. Und wenn das geschieht, dann bettelst du um deinen Tod, denn es ist der einzige Ausweg aus diesem Schrecken!“
Seine mächtigen Flügel entfalteten sich, seine Klauen öffneten sich und ließen Gruul und den Schädel los. Todesschwinge hob ab. Schwer kämpften seine Flügel, damit er in die Berge kam. Khadgars zitternde Beine gaben schließlich nach. Plötzlich hockte er auf dem Boden, schnappte nach Luft und war sich bewusst, dass er gerade unglaubliches Glück gehabt hatte.
Nachdem ihr Vater und Herrscher fort war, schienen die übrigen schwarzen Drachen ihren Kampfwillen verloren zu haben. Eine der größeren Kreaturen verließ das Schlachtfeld sofort. Ihr Körper war mit zahlreichen schweren Wunden übersät, und ein Flügel hing in einem merkwürdigen Winkel herab.
„Vater“, schrie er und schnappte nach dem kleineren Gronn, der ihn an seinem Schwanz festhielt. „Vater, warte auf mich!“ Er spie Magma und verbrannte damit dem Gronn die Hände. Dann hob er ab und folgte Todesschwinge.
Durch die Flucht von Todesschwinge ermutigt, schienen die Oger und Gronn sich wie verrückt in die Schlacht zu stürzen. Sie warfen sich auf die Drachen, die nicht rechtzeitig geflohen waren, zerrissen sie mit ihren großen, fleischigen Pranken oder drehten ihnen die Hälse um. Die Leichen warfen sie in die Luft und spießten sie auf den Steinspitzen auf.
Khadgar nutzte die Situation und hob den Schädel auf, den Todesschwinge fallen gelassen hatte.
Mensch... aber mächtig. Was für ein großes Potenzial spüre ich hier? Aber das konnte man ja erwarten, von dem jungen Schüler Medivhs. Du kannst noch stärker werden. Warum wirst du nicht mein Schüler? Ich lehre dich, dass Blut und Kampf der Schlüssel zu wahrer...
„Ah!“ Khadgar schnappte nach Luft. Dabei ließ er den Schädel fast fallen. „Gul’dan!“ Er fletschte die Zähne und schirmte seinen Geist ab. Selbst tot, so schien es, war Gul’dan eine Gefahr.
Schnell verstaute er den Schädel in einem Beutel und lief dorthin, wo Turalyon und die anderen immer noch kämpften.
„Ich habe den Schädel“, berichtete er Turalyon, der gerade den letzten Zuckungen eines Drachen auswich.
„Gut gemacht“, sagte Turalyon. „Dann lass uns hier verschwinden. Rückzug! Sofort!“ Die Männer sammelten sich schnell. Die Oger und die Gronns waren zu sehr damit beschäftigt, die Drachen zu quälen, um ihren Abzug überhaupt zu bemerken.
Turalyon führte sie schnell aus den Bergen. „Dein Plan hat funktioniert, Khadgar, und zwar sehr gut“, sagte er zu seinem Freund, nachdem sie aus dem Tal und dem Gemetzel heraus waren. „Wir haben den Schädel in unseren Besitz gebracht und uns um die Drachen gekümmert. Die werden der Horde so schnell nicht mehr helfen.“
Khadgar dachte über Todesschwinges Drohung nach. Er konnte einen Schauder nicht unterdrücken. Er war sich nicht sicher, ob Turalyons Optimismus gerechtfertigt war. Trotzdem nickte er, als würde er es glauben. „Jetzt ist nur noch Ner’zhul übrig. Wenn ich erst das Buch habe, kann ich das Portal endlich versiegeln.“
Sie mussten also nur einen mächtigen Schamanen aufhalten, der die Kräfte von Himmel und Erde zu nutzen verstand, um Portale in zahllose Welten zu öffnen... Aber sie hatten auch gerade einem extrem starken Drachen einen Rückschlag verpasst. Und vielleicht schafften sie die andere Sache auch.
Eines war jedenfalls sicher: Wenn sie die Orcs nicht auf Draenor aufhielten... würden sie sie niemals stoppen können.
23
„Dorf voraus!“, rief Ba’rak. Er beugte sich vor und legte die Hände auf die Oberschenkel, um wieder zu Atem zu kommen. Das getrocknete Blut klebte noch an den behelfsmäßigen Verbänden, die ihm angelegt worden waren, nachdem Kargath Messerfaust dem Klan der zerschmetterten Hand befohlen hatte, die Höllenfeuerzitadelle zu verlassen.
Aber immerhin gehörte Ba’rak noch zu denen, die mit den leichtesten Wunden davongekommen waren.