Bis ihm eine Gestalt in den Weg trat.
„Dein kleines Licht macht mir keine Angst!“, rief Teron Blutschatten. Er hielt einen juwelenbesetzten Stab in der Hand. Jeder, der es sehen konnte, merkte, dass der Todesritter log. Er hatte seine Kapuze nach hinten gestreift, und sein hässliches, verwesendes Gesicht und die brennenden roten Augen waren sichtbar geworden. Das Gesicht war schmerzverzerrt und sein Körper angespannt. Blutschatten hob die merkwürdige Waffe. Sie leuchtete in vielen Farben, und die Strahlen kämpften gegen Turalyons Leuchten an, versuchten gar, es zu übertreffen.
„Das Heilige Licht ist all das, was du nicht bist, Monster“, rief Turalyon zur Antwort, richtete den Hammer auf Blutschatten und strahlte das Licht auf ihn ab. „Wenn du es nicht fürchtest, dann heiße es willkommen!“
Der Stoß traf Blutschatten, aber der hielt seinen Stab vor sich und fing damit Turalyons Angriff ab. Er zerteilte das weiße Licht wie ein Prisma in viele Farbstrahlen. Dann schlug der Todesritter zu. Er deutete mit dem Stab auf Turalyon. Daraufhin entstand an der Spitze ein Schatten, der den Kommandeur der Allianz umgab.
Turalyon spürte, wie die Finsternis ihn zu zerquetschen versuchte. Sie begrub sein Licht und seine Glieder gleichzeitig. Er kämpfte dagegen an und wand sich, um freizukommen. Die Luft rauschte an ihm vorbei, und er knallte hart auf die Erde. Der Angriff hatte ihn offenbar vom Pferd geworfen. Aber die Finsternis lastete weiter auf ihm und presste ihn zu Boden.
Er schnappte nach Luft, doch seine Lungen weigerten sich zu atmen, weigerten sich, seinen Befehlen zu gehorchen. Er war zusammengebrochen.
Das hatte ja so kommen müssen, er war nicht einmal in der Lage, sich auf seinem Pferd zu halten. Was für ein General war er eigentlich? Auch seine Männer würden sterben. Er hatte sie direkt in den Tod geführt. Lothar wäre so enttäuscht von ihm...
Turalyon zuckte am Boden, wollte atmen, aber die Ranken der Finsternis umgaben seine Brust und zogen sich immer enger zusammen. Wie eine Schlange wanden sie sich um ihn herum, fixierten seine Arme an der Seite, erzwangen sich den Zugang zu Mund, Nase, Augen... ah, wie es brannte! Tränen liefen aus seinen geschlossenen Lidern, sie schürten aber nur das Feuer.
Und so würde er sterben – weil er versagt hatte, eine Katastrophe. Er war für alle Toten verantwortlich, für all die Unschuldigen auf anderen Welten, erstarrt vor Furcht, wenn die grüne Flut über sie kam. Die Männer, die ihm geglaubt hatten, als er ihnen versprach, das Licht sei mit ihnen. Licht... welches Licht... wo war es jetzt, da er es brauchte...?
Alleria!
Auch sie wäre tot, träfe ihre Familie und würde ihn verfluchen, egal, an welche Form des Lebens nach dem Tod die Elfen auch immer glauben mochten. Sie hatte ihn nie geliebt, das erkannte er jetzt. Er war nur ein Spielzeug gewesen, eins, das sie überleben würde, eins, das sie weggeschmissen hätte. Khadgar – Kurdran – Danath –
Die dunklen Ranken zogen sich zusammen. Turalyon öffnete die Augen, er starrte ins Leere.
Es tut mir leid, Lothar. Ich habe dich enttäuscht. Ich bin nicht du. Ich habe...
Er blinzelte.
Er hatte sie so gut geführt, wie er konnte. Nein, er war nicht Anduin Lothar, der Löwe von Azeroth. Nur Lothar konnte Lothar sein. Es wäre der Gipfel der Arroganz, etwas anderes zu behaupten. Er war Turalyon, und das Licht war mit ihm. Es hatte ihn bislang nicht enttäuscht, nicht, wenn er aus vollem Herzen gebetet hatte.
Frag nur. Du musst nur fragen, mit reinem Herzen. Deshalb hat Lothar dich erwählt. Nicht, weil er glaubte, du wärst er, sondern weil er wusste, dass du immer du selbst sein würdest.
Turalyon atmete flach, behindert von den dunklen Ranken, und betete. Er öffnete die Augen und wusste – ohne zu verstehen, warum –, dass sie reines, weißes Licht abstrahlten. Er sah auf die Ranken hinab, und sie vergingen. Sie wichen von ihm, so wie Schatten immer vor Licht weichen mussten. Er atmete tief ein, sein Brustkorb hob und senkte sich, er kam auf die Beine, ergriff seinen Hammer und erschlug, was von den Schatten noch übrig geblieben war.
Der Angriff hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber er hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Blutschatten hatte die Ablenkung genutzt, um näher heranzukommen. Und als Turalyon wieder einen freieren Blick hatte, erkannte er, dass der Todesritter nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war. Dessen rote Augen weiteten sich, als Turalyon vortrat. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sich der junge Kommandeur der Allianz so schnell befreien konnte. Deshalb war er auf den kräftigen Schlag nicht vorbereitet, mit dem Turalyon ihn auf der Brust traf. Turalyon war sich sicher, dass er Knochen brechen hörte. Der Todesritter taumelte, fiel aber nicht.
„Du kannst nicht gewinnen“, zischte Blutschatten durch seine gefletschten Zähne. „Ich bin bereits tot... was kannst du mir schon antun?“
Sein Stab stieß vor, erwischte Turalyon am Bauch und warf ihn um. Blutschattens Hand streifte über Turalyons Helm. Schmerzen durchzuckten seinen Schädel, als hätte ein Schraubstock den Helm zerquetscht. Sterne explodierten vor seinen Augen, und er spürte, wie die Welt kippte.
In seiner Verzweiflung schlug er erneut mit dem Hammer zu, ein mächtiger, beidhändig geführter Hieb. Und er spürte, wie der schwere Hammerkopf etwas Festes streifte. Es klapperte, dann holte er tief Luft, und der Schmerz verging.
Turalyon blinzelte die Sterne weg und atmete tief durch, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er blickte gerade rechtzeitig auf, um Blutschatten taumeln zu sehen, ein Arm hing an der Seite herunter. Als der Todesritter das Gleichgewicht verloren hatte, stürmte Turalyon mit erhobenem Hammer nach vorne. Er beschwor seinen Glauben, und das Licht brach aus ihm und dem Hammer hervor. Es war zu hell, um hineinblicken zu können.
Der Todesritter schrie und hob seine Hände, um seine Augen vor der Strahlung zu schützen, die gerade sein Fleisch versengte.
„Beim Licht!“, brüllte Turalyon. Es war gleichermaßen Lobpreisung, Gebet und Versprechen. Das Licht leuchtete grell. Er schlug mit dem Hammer zu und zerstörte nicht nur den wiederbelebten Körper. Er spaltete ihn regelrecht, und das Licht schnitt durch Teron Blutschatten, bis er ein durchnässter, rauchender Klumpen war.
Ein schreckliches Heulen drang an Turalyons Ohren, und er starrte mit Schrecken und Unglauben auf das kreischende Irrlicht, das Teron Blutschattens Seele davontragen wollte.
Der Paladin hob den leuchtenden Hammer und schlug noch einmal zu. Aber der Hieb kam etwas zu spät, und der Geist war fort, floh vor Schmerz und Frustration schreiend hinauf in den knisternden grünschwarzen Himmel.
„Weiter geht’s!“, riss Allerias Stimme Turalyon aus seinen Gedanken. Sein Herz wollte sie sehen. Eilig kletterte er auf sein Pferd und galoppierte zu ihr.
Vor ihnen ritt Khadgar, und sie holten ihn schnell ein. Der Todesritter war der letzte Verteidiger des Tempels gewesen. Jetzt befanden sie sich im Schwarzen Tempel selbst und sahen die lange Wendeltreppe, die nach oben führte, wo ein fahles Licht herableuchtete.
Alleria... Khadgar... Danath... Kurdrun – verdammt, sie waren schließlich nicht hier, um zu sterben. Mit einem Kopfschütteln brach Turalyon den letzten Bann, den der Schatten über ihn gelegt hatte, nahm seinen Hammer und ritt seiner Bestimmung entgegen.
25
Ner’zhul stand auf dem Dach des Schwarzen Tempels in der Mitte des aufgemalten Kreises. Über ihm, verdeckt von den Wolken und den grünen Blitzen, erreichte die große Konjunktion mit dem Seher, dem Stab und dem Folianten ihren Höhepunkt.
Unter seinen Füßen konnte Ner’zhul die Kraftlinien von Draenor spüren, die sich hier kreuzten. Als er die Augen schloss, fühlte er, wie die ganze Welt unter seinem Griff erbebte. Deshalb hatten die Draenei ihren Tempel hier gebaut, und deshalb war dies der einzige Ort, wo er den Zauber wirken konnte. Von hier aus vermochte er die Energie des Planeten anzuzapfen, die er für seine Magie benötigte.