Der Kampf fand aber nicht nur auf Draenor statt, sondern auch auf der anderen Seite des Portals. Offensichtlich hatten die Orcs dort erneut die Kontrolle errungen. Sie versuchten, sich durch das Portal zurück nach Draenor zu kämpfen und ahnten nichts von der Katastrophe auf ihrer Heimatwelt. Die Streitkräfte der Allianz hielten sie noch auf Abstand, Turalyon konnte jedoch nicht auf Hilfe hoffen. Er und seine wenigen Getreuen standen allein zwischen der Horde und Azeroth.
Aber sie mussten auch keine Schlacht gewinnen, erinnerte er sich. Ihr Ziel war lediglich, Khadgar und die anderen Magier zu beschützen, während sie das Portal ein für allemal versiegelten.
„Tu, was du tun musst“, sagte er, an Khadgar gewandt, der neben ihm stand. Die anderen Magier hatten sich um ihn herum versammelt.
Der alt wirkende junge Erzmagier nickte, hob seine Hände und schloss die Augen. Sein Stab lag in der einen Hand, der Schädel Gul’dans in der anderen, und er begann zu singen. Energien bündelten sich und umwirbelten ihn.
Die Orcs waren ihnen zahlenmäßig weit überlegen. Sie kämpften verzweifelt und wild, um ihrer kollabierenden Welt zu entkommen, koste es, was es wolle.
Der Boden bebte so stark, dass die Krieger kaum stehen konnten, und die Schlacht, als Orcs und Menschen aufeinandertrafen, verkam zu einer wüsten Prügelei. Alle Beteiligten waren unfähig, planvoll anzugreifen. Der Himmel zuckte unter Blitzen, Stürme zogen auf und in hohem Tempo wieder ab. Sterne wurden kurz sichtbar, dann wieder die Sonne.
Der Planet spielte verrückt.
Zwischen den Gefechten sah Turalyon kurz Khadgar. Die anderen Magier hatten sich ihm jetzt angeschlossen, alle waren von Strahlen umgeben, und wenn er blinzelte, konnte Turalyon die Spuren der Energie sehen, die in Khadgar hineinströmten. Er wusste, dass sein Freund die ganze Kraft aufsog. So konnte er sich auf das Portal konzentrieren, um es für immer zu zerstören.
Gerade als Khadgars Gesang den Höhepunkt erreichte, hörte Turalyon ein merkwürdiges Reißen, erst laut, dann aber auch wieder schwach, als fände es sowohl in der Nähe, als auch in der Ferne statt.
Er hatte etwas Ähnliches über dem Schwarzen Tempel vernommen, und nachdem er einen weiteren Orc ausgeschaltet hatte, sah er sich um und bemerkte einen merkwürdigen Schimmer in der Luft, nicht weit von ihnen entfernt.
Dicht hinter den Magiern entstand ein neuer Spalt!
Die Erde erzitterte unter seinen Füßen, und instinktiv wich Turalyon zurück.
Der Boden öffnete sich dort, wo er noch vor einer Sekunde gestanden hatte, und weitete sich aus wie ein hungriges Maul. Gezackte Risse bildeten sich, und plötzlich flog ein riesiger Erdklumpen hoch. Dieser nahm eine Gruppe Menschen und Orcs mit sich und warf sie, als er sich wild in der Luft drehte, wie ein bockendes Pferd den Reiter ab.
Khadgar hatte nicht übertrieben. Draenor ging tatsächlich in Stücke.
Turalyon starrte immer noch auf den fliegenden Klumpen Erde, als Khadgar seinen Stab anhob und ein Lichtstrahl daraus das Dunkle Portal traf.
Das Licht war zu hell, als dass man hätte hineinsehen können, aber anders als das Heilige Licht bestand es aus vielen wirbelnden und tanzenden Farben. Es war reine Magie, in einen einzigen Zauber gelegt, und als diese Magie auf die wirbelnde Oberfläche des Tores traf, klang es wie zerspringendes Glas.
Dann begann das Dunkle Portal zu zerbersten, der Vorhang aus Energie spaltete sich auf und zersplitterte, als der Spruch ihn auflöste.
„Es ist vollbracht“, sagte Khadgar müde. Er stellte seinen Stab auf den Boden und stützte sich darauf. Dann sah er auf und bemerkte einen von Kurdrans Zwergen. Es war ein junger Wildhammerzwerg, der gerade einen Orc mit seinem Sturmhammer attackierte.
„Du!“, rief Khadgar. „Nimm das!“ Er verstaute den Schädel in einem Beutel und warf dem überraschten Zwerg das Bündel zu. „Nimm es und fliege nach Azeroth! Das muss zu den Kirin Tor!“
„Aber“, erwiderte der junge Zwerg, „kommst du nicht selbst dorthin?“
Khadgar schüttelte seinen weißhaarigen Kopf. „Nein. Wir müssen das Portal hier ausschalten. Nur so können wir sichergehen, dass der verderbliche Einfluss nicht nach Azeroth hinüberreicht.“
Turalyon holte tief Luft. Das war es dann also. Khadgar hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Und er hatte offen ausgesprochen, was alle vermutet hatten: Nur dieser Zwerg würde zurückkehren. Der Rest von ihnen würde auf dieser Welt stranden, die sich mit jeder weiteren Sekunde dem Nichts näherte.
Nun, dann sollte es so sein.
Der Paladin sah, wie der junge Wildhammerzwerg zögerte. Er war unsicher, was er antworten sollte.
Plötzlich schnappte Turalyon nach Luft, als er den Orc sah, der den unachtsamen Zwerg mit seiner Axt attackierte. Aber bevor Turalyon eine Warnung rufen konnte, flog ein Sturmhammer an ihm vorbei, traf den Axtschwinger mit einem Donnern, das in seinen Ohren dröhnte, und Axt und Orc stürzten zu Boden.
„Los doch, Kumpel!“, befahl Kurdran. Sein Sturmhammer kehrte zu ihm zurück, als er Sky’ree neben den überraschten Zwerg lenkte.
Der jüngere Wildhammerkrieger nickte, beugte sich vor, um den Beutel von Khadgar aufzunehmen, und spornte dann seinen Greif mit Hacke, Knie und Ellbogen an.
Der reagierte sofort, schlug mit den Flügeln und schoss pfeilgleich in das kollabierende Portal.
Doch als er unter den zusammenbrechenden Säulen anhielt, leuchtete der Beutel auf, das Portal reagierte, und die Lichtflut blendete sie.
Turalyon hörte den Greif vor Schmerz brüllen, und der Zwerg schrie ebenso, aber Turalyon konnte nicht sehen, was mit ihnen passiert war. Die schrecklichen Geräusche wurden von dem wilden Rumpeln übertönt.
Bevor er begriff, was geschehen war, gab es einen ohrenbetäubenden Knall, und Khadgar flog rückwärts. Er krachte zu Boden und war für eine Sekunde ohnmächtig. Als er kurz danach zu sich kam, keuchend, kaum in der Lage zu atmen, spähte er sofort zum Portal.
Es war verschwunden.
Die riesigen Statuen waren zu unkenntlichen Blöcken zerfallen. Die drei Säulen, die das Tor gebildet hatten, waren nichts anderes mehr als Schutt.
Man konnte Azeroth nicht mehr sehen.
Sie hatten es geschafft. Sie hatten den Spalt zerstört... und das Portal. Und jetzt waren sie für immer abgeschnitten von allem, was sie kannten.
Um ihn herum kamen die Angehörigen der Horde und der Allianz wieder auf die Beine. Und Draenor bockte erneut.
Die Orcs flogen hoch und erkannten im Gegensatz zu Khadgar nicht, dass sie nirgendwohin flüchten konnten.
Der Zusammenbruch des Portals hatte Draenor offensichtlich noch weitere Wunden zugefügt, und das Beben steigerte sich in seiner Stärke und Frequenz.
Sie wurden permanent geschaukelt und hin und her geworfen, als befänden sie sich in einer Nußschale auf rauer See. Der Boden wellte sich wie Wasser, und der Himmel war dichter als Nebel.
Was für ein schmachvoller Tod, dachte Khadgar mit ein wenig trockenem Humor. Wenn einem das Hirn von einem Klumpen Erde herausgeschlagen wird.
Er sah sich ein letztes Mal nach seinen Freunden um. Danath stand und bekämpfte Orcs, die noch nicht geflohen waren. Alleria war hingefallen. Turalyon half ihr auf die Beine und wickelte rasch einen provisorischen Verband um eine böse Wunde an ihrem Arm.
Vielleicht, weil er Khadgars Blick spürte, schaute Turalyon auf. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment, und Turalyon lächelte so ruhig und freundlich, wie Khadgar es von dem Paladin kannte. Alleria sah zu dem Erzmagier und nickte. Das helle Blond ihrer Haare war mit Staub überzogen, und hier und da war auch Blut. Kurdran ritt immer noch auf dem fliegenden Sky’ree und grüßte mit dem Hammer.