Und so würde es enden. Khadgar hatte immer vermutet, dass sie dies nicht überleben würden, aber er war dankbar, dass sie das Portal hatten schließen können und ihre Welt damit gerettet hatten. Und er war ebenso dankbar dafür, dass, wenn sie denn sterben mussten – was, wie er überlegte, alle Menschen einmal mussten –, dies hier und gemeinsam mit seinen Freunden geschah. Seite an Seite kämpfend, wie sie es immer getan hatten.
Ein schwaches Glimmen erreichte sein Auge.
Er blinzelte. Nein, es war tatsächlich da. Ein verwaschener Schemen prangte auf dem Stoff aus Zeit und Raum. Ein weiterer Spalt.
Eine weitere Welt. Eine, die vielleicht nicht gerade zugrunde ging.
„Da!“, brüllte er, so laut er konnte, und wies auf den Spalt. „Wir gehen da durch! Es ist unsere einzige Chance zu entkommen!“
Turalyon und Alleria blickten einander an. Khadgar konnte nicht verstehen, was sie in dem ohrenbetäubenden Lärm sagten. Aber er sah, wie sie sich einen Moment lang festhielten, die Hände miteinander verbunden, und sich dann dem Spalt zuwandten.
Sie waren alle durch das Dunkle Portal nach Draenor gereist.
Aber damals hatten sie wenigstens eine vage Vorstellung gehabt, was sie vorfinden würden. Doch hier...
Draenors Todeszuckungen hielten an, und Khadgar fiel schwer zu Boden. Er stand wieder auf. Mit aufgeschlagenen Knien und Handflächen sah er zum Spalt. War er die Erlösung, oder barg er ein schlimmeres Schicksal? Khadgar wusste es nicht. Niemand wusste es.
Sie mussten es herausfinden... auf die eine oder andere Weise.
Khadgar – Erzmagier, alter Mann, junger Mann – schluckte schwer und warf sich hindurch.
27
„Los, weiter, Krieger der Horde! Wir sind nicht mehr fern!“
Grom Höllschreis Stimme schnitt durch den Lärm und bestärkte alle, die sie hörten. Rexxar wirbelte herum. Mit der Kriegsaxt in der Linken durchtrennte er einem Allianzkrieger den Hals, und mit der Axt in der Rechten spaltete er einen.
Neben ihm kämpfte sein Wolf Haratha. Er knurrte und sprang. Seine scharfen Zähne bissen in den Unterarm eines dritten Kriegers. Rexxar hörte das unverwechselbare Knacken von Knochen, die von Zähnen zerbissen wurden, und der Mann schrie auf. Das Schwert fiel ihm aus der Hand. Haratha ließ den zerfleischten Arm los, und in einer pfeilschnellen Bewegung sprang er dem Mann an die Kehle.
Sie waren ein tödliches Team.
Rexxar konnte Grom Höllschrei sehen, den Häuptling des Kriegshymnenklans. Seine Axt Blutdurst sang und schnitt durch die Feinde. Andere Krieger seines Klans kämpften neben ihrem Anführer. Ihre Gesänge und Kriegsrufe erschufen eine furchtbare Melodie des Todes und der Zerstörung. Rexxar war einer der wenigen, der diesem Klan nicht angehörte, aber das tat nichts zur Sache. Er hatte eigentlich gar keinen Klan. Zumindest keinen, der mit der Horde zu tun hatte.
Sein eigenes Volk, die Mok’Nathal, waren stets unabhängig gewesen. Sie waren nur wenige, weshalb ihr Leben schwierig gewesen war. Darauf beschränkt, ihr Land am Schergrat gegen Oger zu verteidigen, die es besetzen wollten. Rexxar hatte versucht, seinem Vater Leoroxx von dem Dunklen Portal zu erzählen, das die Orcs bauten, und von der Chance, eine frische, neue Welt für die belagerten Mok’Nathal zu finden. Aber Leoroxx verstand nur, dass sein Sohn nicht dort bleiben wollte, wo er geboren war, um seine Heimat zu verteidigen. Beide wollten sie ihrem Volk helfen, aber am Ende war Rexxar der Horde gefolgt und war für seine Wahl verstoßen worden. Und nun war die Horde die einzige Familie, die ihm geblieben war.
Aber er war ja schon immer anders gewesen.
Ein weiterer Mensch ging zu Boden. Rexxar sah auf. Durch seine Körpergröße konnte er über die anderen Krieger hinwegsehen. Grom hatte recht – sie waren nicht weit vom Dunklen Portal entfernt. Vielleicht hundert Menschen standen zwischen ihm und seiner Heimatwelt. Rexxar grinste und hob beide Äxte. Er würde diese Zahl deutlich verkleinern.
Während der letzten paar Monate hatte das Kriegsglück immer wieder gewechselt. Die Allianz hatte sie eine kurze Zeit lang in einem kleinen Tal eingeschlossen, das direkt neben diesem lag.
Aber sie konnten die Horde dort nicht lange halten. Die Menschen unterschätzten die Willensstärke und Wildheit der Orcs. Und Grom hatte seine Leute in die Freiheit geführt. Sie hatten sich an einem Ort namens Steinard im Norden neu gesammelt. Das war der Außenposten der Horde gewesen, als sie beim ersten Mal durch das Dunkle Portal gekommen waren. Der Sumpf, zwar stinkend und unangenehm, hatte immerhin Leben und Wasser geboten. Und Grom hatte verhindert, dass die Orcs verzweifelten. Sie hatten Steinard mit Vorräten aufgebaut, die sie aus Angriffen auf Allianztransporte erbeutet hatten. Und schließlich hatten sie die Kontrolle über das Dunkle Portal zurückerlangt.
Es war auf und ab gegangen mit Horde und Allianz. Aber jetzt war das kleine Spiel zu Ende. Grom hatte beschlossen, dass es Zeit für die Heimkehr war. Kein anderer Klan war gekommen, um ihnen zu helfen. Und obwohl sie immer noch eine Streitmacht waren, mit der man rechnen musste, wie die Allianz gerade feststellte, wurde ihre Zahl allmählich kleiner, während die Allianz von Minute zu Minute zahlreicher zu werden schien.
Außerdem war da noch die Sache mit dem merkwürdigen Gerät. Grom Höllschrei würde keinen seiner Leute aufgrund des Verrats eines anderen sterben lassen. Rexxar wollte dabei sein, wenn Grom zurückkehrte und sich denjenigen vornahm, der den Befehl erteilt hatte.
Ein Mensch griff ihn von einem Pferd aus an, das Schwert hoch erhoben und den Schild bereit. Aber er hatte nicht mit Rexxars Körpergröße gerechnet. Rexxar parierte den Schlag mit einer Axt und krachte in den Mann, während er mit der anderen das Schwert wegschlug.
Als der Reiter aus dem Sattel geworfen wurde, hob Rexxar beide Äxte hoch, und das eigene Bewegungsmoment sorgte dafür, dass der Mann aufgespießt wurde. Rexxar grinste und stieß einen wilden Kriegsschrei aus. Dann zog er die Äxte heraus und stieg über den toten Soldaten. Das reiterlose Pferd wandte sich ab und floh vor Haratas Bissen.
Manchmal war es gut, ein Halb-Oger zu sein.
Etwas flackerte am Rand seines Sichtfelds, als er kurz das Innere des Dunklen Portals wahrnehmen konnte. Er hatte es nur eine Sekunde lang gesehen, aber deutlich Blitze erkannt, Staubwolken, peitschende Wellen und einen bebenden Boden. Das Portal hatte bislang immer die andere Seite gezeigt, deshalb hatte er während des Kampfes immer wieder einmal nach Draenor hineinschauen können. Aber was er jetzt gesehen hatte – das war nicht mehr seine Heimatwelt. Das war ein Ort wie aus einem Albtraum!
Dann attackierte ihn ein weiterer Soldat der Allianz, und das lenkte Rexxars Gedanken augenblicklich auf die Schlacht zurück. Er erledigte den Krieger mit Leichtigkeit, aber direkt neben ihm hatte ein anderer Orc nicht so viel Glück. Er trug das Gewand eines Hexenmeisters und dieselbe grüne Haut wie die meisten Mitglieder der Horde. Rexxar, der der Horde erst kurz, bevor sie Azeroth angriffen hatte, beigetreten war, hatte sich nicht verändert. Es gab hier mehrere Hexenmeister. Einige waren recht mächtig, doch ihre Todesmagie brauchte Zeit, und im Schlachtenverlauf geschahen manche Dinge schnell.
Zwei Krieger griffen den Hexer gemeinsam an, und während der Zauberer einen von ihnen überwältigen konnte und ihn in heillosem Schrecken fliehen ließ, hatte der andere ihm in die Brust gestochen, bevor ein nahe stehender Kriegshymnenkämpfer dem Menschen mit seinem Knüppel den Schädel zertrümmerte. Jetzt wankte der Hexenmeister, eine Hand an den wachsenden Blutfleck gepresst. Seine Haut wurde schon bleich, Schweiß rann über seine Stirn.
Rexxar grunzte und schüttelte den Kopf. Er hatte nur wenig für Hexenmeister übrig, und dieser hatte sich offensichtlich nicht ausreichend auf die Schlacht vorbereitet.
Der Hexer bemerkte die Bewegung, und der verwundete Orc starrte Rexxar an. Ekel und Verachtung schwelten in seinem Blick. Dann trat er vor, streckte seine Handfläche vor sich aus.