Aber als sie nickten und zum Feuer zurückgingen, um sich leise über Pläne, Siege und Nachschub zu unterhalten, kamen Grom Rexxars Worte wieder in den Sinn.
Ein Teil von ihm fragte sich, ob sie jemals das wiederfinden würden, was sie vor langer Zeit verloren hatten: ihren Frieden.
28
Turalyon kam aus dem Spalt und blinzelte. „Ist... ist das... Draenor?“
Sie waren Draenors Vernichtung entgangen, indem sie in eine andere Welt geflohen waren. Eine, die sie kaum verstehen konnten.
Khadgar und die anderen Magier hatten sie vor den Erschütterungen abgeschirmt, die durch den Spalt gedrungen waren. Und nachdem es ruhiger geworden war, waren sie zurückgekehrt.
Sie hofften, Kameraden zu finden, die überlebt hatten. Aber als er erkannte, was geschehen war, blieb Turalyon stehen und sah sich um. Nur Allerias Ziehen an seiner Hand erinnerte ihn daran, dass er beiseitetreten musste, damit die anderen nachkommen konnten.
„Ja. Oder zumindest das, was davon übrig geblieben ist“, sagte Khadgar. Turalyon erkannte das Geröll, das einst das Dunkle Portal gewesen war, mit der Ehrenfeste und der Höllenfeuerzitadelle in der Ferne. Die aufgeplatzte rote Erde sah aus wie immer. Aber der Himmel...!
Von dort oben waberten jetzt neue Farben, und Bänder aus Licht zogen sich darüber, die niemals den Boden berührten.
Die Sonne war verschwunden, der Himmel dunkelrot, aber Turalyon konnte den Mond über ihnen stehen sehen, der größer wirkte als je zuvor. Eine zweite rötliche Sphäre befand sich tief am Horizont, und eine hellblaue schwebte direkt darüber. Irrlichter flogen hin und her.
Und während der Boden dieselbe Farbe und Konsistenz wie zuvor besaß, sah Turalyon nicht weit entfernt einen Keil zerborstener Erde, der vielleicht dreißig Meter hoch aufragte. Er bewegte sich leicht in den wilden Winden, die um sie herum tobten, blieb aber sonst an Ort und Stelle liegen. Andere Bruchstücke bewegten sich auch.
„Die Schäden haben die Realität, wie wir sie bislang kannten, angegriffen und verändert“, fuhr Khadgar fort. „Schwerkraft, Raum, vielleicht die Zeit selbst funktionieren hier nicht mehr richtig.“
Khadgars Worte wurden von einem reißenden Geräusch unter ihnen verschluckt. Turalyon fasste Khadgar und Alleria am Arm und zerrte sie beide instinktiv weg.
„Zurück!“, rief Turalyon, obwohl er sich nicht sicher war, ob seine Männer ihn über das Aufbrechen des Bodens und das Heulen des Windes hinweg hören konnten. „Fort von dem Spalt!“
Er deutete nach Westen, zur Ehrenfeste. Sie rannten los und vergaßen in der Panik alle Befehle.
Sie setzten keinen Augenblick zu früh zur Flucht an. Als Turalyon Khadgar und Alleria mit sich zog, begann der Untergrund, auf dem sie standen, zu beben. Sie sprangen vor und erreichten knapp den Boden dahinter, bevor der Vorsprung hinter ihnen zusammenbrach. Felsbrocken und Erdreich flogen davon.
Vorher war das Dunkle Portal teilweise von Bergen im Osten umgeben gewesen und an einer Seite vom Meer begrenzt. Jetzt war ein Großteil der Berge verschwunden und erschreckenderweise auch das Wasser. Die herabfallenden Erdbrocken landeten auf einer leeren Ebene. Sie waren das Überbleibsel einer Welt, die in gähnender Dunkelheit lag. Nur hier und da zuckten Lichtblitze.
„Herr Kommandant“, sagte einer der Männer. „War das... war das nicht dort, wo früher der Spalt klaffte?“
„Ja“, antwortete Turalyon. „Das war es.“
Der Spalt, durch den sie zuerst von Draenor geflohen waren, hatte sich tatsächlich auf der Kuppe befunden und war kollabiert. Nur die Überreste des Dunklen Portals waren zurückgeblieben.
Stille kehrte ein, und Turalyon spürte die wachsende Verzweiflung. „Schaut dort!“ In geringer Entfernung entdeckte er eine vertraute Ansammlung von Gebäuden. „Die Ehrenfeste steht noch. Wir haben sie als unsere Festung auf Draenor errichtet, und als solche nutzen wir sie auch.“
Staubig und erschöpft sah er die Männer an. „Wir wussten, dass wir vielleicht nicht zurückkehren könnten. Beim Licht, wir erwarteten zu sterben, aber wir leben. Das Portal ist geschlossen. Wir haben erledigt, wofür wir hierherkamen. Was wir jetzt tun – liegt an uns. Andere sind noch dort draußen. Wir müssen sie finden und herbringen. Wir werden diese Welt auskundschaften. Uns neue Verbündete suchen. Die Horde weiter bekämpfen –jedenfalls das, was von ihr übrig ist. Damit sie so etwas nie wieder versucht. Das Licht ist mit uns. Wir haben viel Arbeit vor uns. Aber die Welt wird so werden, wie wir sie gestalten!“
Alleria trat neben ihn, ihre Augen strahlten. Er drückte fest ihre Hand. Turalyon sah zu Khadgar, der nickte. Seine jungen Augen lächelten zustimmend.
Der Paladin sah wieder seine Männer an. Sie waren immer noch besorgt, immer noch unsicher. Aber die Verzweiflung und die Angst waren fort.
Diese Welt wird so werden, wie wir sie uns gestalten.
„Auf!“, sagte Turalyon und wies zur Ehrenfeste. „Gehen wir heim...“
Epilog
„Ner’zhul!“
Der Orc-Schamane und Kriegshäuptling der Horde schrie auf, als er seinen Namen hörte. Seine Augen flackerten auf. Sofort griff das merkwürdige strudelnde Nichts um ihn herum seine Sinne an. Er kniff die Augen zusammen und hoffte, das Gefühl verdrängen zu können, das ihn wahnsinnig zu machen drohte. Dann hörte er die Stimme durch das Heulen und Krachen um sich herum erneut.
„Ner’zhul!“
Er blinzelte und sah sich um. Nur einen Steinwurf entfernt –zumindest schien es ihm so, aber schon eine Sekunde später hätte er schwören können, dass es Meilen waren – bemerkte Ner’zhul eine dunkle Gestalt. Sie wirkte wie ein Orc. Ein genauerer Blick bestätigte es: grüne Haut, Hauer und lange Zöpfe. Eindeutig ein Orc, und zwar einer, in dem Ner’zhul einen seiner Schattenmondkrieger erkannte.
Der Krieger bewegte sich aber nicht. Ner’zhul glaubte nur zu sehen, dass sich sein Brustkorb hob und senkte. Doch an diesem Ort konnte man sich nicht einmal dessen sicher sein.
Andere Gestalten schwebten durch den Mahlstrom aus Licht und Schatten. Alle, die mit ihm durch den Spalt gegangen waren, schienen hier zu sein.
Die Frage war nur, wo hier war. Warum hatte ihn der Spalt nicht in eine andere Welt entlassen?
Denn wo auch immer er sich befinden mochte, in einem war sich Ner’zhul ganz sicher: Dies war keine normale Welt.
Was war geschehen? Warum war er wach, während alle anderen in einem tiefen Schlaf gefangen schienen?
Eine Reihe von Lichtern zog an ihm vorbei, und eine Sekunde lang sah Ner’zhul leuchtende Schimmer, die ihn und die anderen umgaben. Seine Augen weiteten sich, als er aber fürchten musste, dass seine Sinne überbeansprucht wurden, schloss er sie schnell.
Da hatte er es jedoch schon gesehen: Sie saßen tatsächlich in der Falle; etwas band sie an diesen Ort!
„Ner’zhul!“
Sein Name trieb erneut durch diese merkwürdige Welt, nur spürte Ner’zhul diesmal, wie etwas an ihm zerrte. Der andere Orc verschwand schnell – oder vielleicht war ja auch er selbst derjenige, der sich bewegte –, während die anderen an Ort und Stelle blieben. Binnen Minuten war Ner’zhul allein, weit abgedrängt vom Rest.
Und dann fiel ein großer Schatten auf ihn. Er blickte hoch – in das Gesicht des personifizierten Zorns.
Vor Ner’zhul stand ein riesiges Wesen in einer schweren Rüstung aus geätztem blutrotem Metall. Das Gesicht der Gestalt erinnerte an einen Draenei, intelligent und schlau, aber mit hellroter Haut und einer dämonischen Ausstrahlung. Die Kreatur hatte kurze, gewölbte Hörner an den Schläfen und zwei merkwürdige Tentakel, die aus ihrem Kinn hervorsprangen. Ein kurz geschnittener Bart umrahmte das Maul. Mehrere Ohrringe glitzerten, und die Augen der Kreatur leuchteten dunkelgelb.
Ner’zhul erkannte sie sofort.
„Hohes Wesen“, japste er und gab sein Bestes, um sich zu verneigen, obwohl seine Glieder immer noch seltsam steif waren.
„Ah, Ner’zhul, mein untreuer, kleiner Diener“, antwortete KiFjaeden, Dämonenlord der Brennenden Legion. „Hast du etwa geglaubt, ich hätte dich vergessen?“