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Doch der Moment der Klarheit ging vorbei. Grom konnte bereits sehen, wie sein Gegner die Augen verdrehte und sich Schaum vor seinem Mund bildete. Hurkan atmete angestrengt, seine Schläge wurden heftiger, kamen dafür aber weniger präzise.

Grom wehrte die wilden Angriffe mit Leichtigkeit ab, obwohl seine Arme unter den Schlägen litten. Er fletschte die Zähne zu einem wilden Grinsen und spürte, wie der Blutrausch in ihm aufstieg. Grom lief Gefahr, ebenso davon übermannt zu werden wie Hurkan. Doch das ließ der Häuptling des Kriegshymnenklans nicht zu. Er war der Herr, nicht der Blutrausch. Es war an der Zeit, den Kampf zu beenden. Er duckte sich unter Hurkans letztem Schlag, atmete tief ein und rammte seinen Kopf in das Gesicht des Knochenmalmers. Dessen schwarz tätowierter Mund öffnete sich fast unmöglich weit, und ein wilder, markerschütternder Schrei dröhnte durch die Luft.

Hurkans Gebrüll war ein tiefer Gegenpart, als er seine großen Hände an die blutenden Ohren presste und vor Schmerz auf die Knie sank. Blut lief ihm aus Nase und Augen und tröpfelte aus dem offenen Mund. Groms legendärer Kriegsschrei verwandelte sich in ein triumphales Lachen, als er Blutschrei in einem eleganten Bogen führte und Hurkan den Kopf von den massigen Schultern schlug.

Der Torso bewegte sich noch, seine Arme schlugen um sich. Eine Sekunde lang blieb er stehen, als würde er mit anderen Sinnen lauschen, dann fiel er zu Boden. Dort blieb Hurkan liegen, zuckte aber noch leicht.

Grom schaute ihn an, dann trat er vor den Leichnam.

Glücklicherweise war der Schädel unbeschädigt. Grom sah ihn sich an, dachte an Gul’dan, dachte an Ner’zhul. Er erinnerte sich an alles, was während der letzten Jahre geschehen war. Dann zog er einen Stoffbeutel hervor, legte Gul’dans Schädel hinein und verstaute den gefährlichen Gegenstand sicher.

Teron Blutschatten hatte mit Grom vor dessen Abreise gesprochen. Der Todesritter hatte ihn davor gewarnt, den Schädel direkt zu berühren. Obwohl Grom den Todesritter – dieses widernatürliche Ding, das irgendwie von den Toten zurückgekehrt war und einen menschlichen Körper besetzte – nicht mochte und ihm misstraute, beachtete er die Warnung. Gul’dan war schon im Leben gefährlich gewesen, sodass sich Grom nicht vorstellen konnte, dass die Überreste des Zauberers auch im Tode noch Macht hatten.

Mit Blutschrei in der einen Hand und dem Beutel in der anderen straffte er sich und schaute über die versammelten Orcs. „Wer spricht jetzt für den Knochenmalmerklan?“, fragte er laut.

Bin großer, kraftvoll gebauter junger Orc trat ihm entgegen. Er trug einen aus Orc-Knochen gemachten Gürtel und einen Armschutz, der aus der Wirbelsäule eines Ogers gefertigt war. Ein schwerer, mit Dornen bestückter Knüppel lag auf seiner Schulter. „Ich bin Tagar Rückenbrecher“, verkündete er stolz, obwohl sein Blick unbehaglich auf Hurkans enthaupteter Leiche ruhte, bevor er sich Grom zuwandte. „Ich führe die Knochenmalmer jetzt an.“

Grom deutete mit dem Beutel auf ihn. „Ich habe mir den Schädel genommen. Jetzt frage ich dich, Tagar Rückenbrecher, willst du dich uns anschließen oder Hurkan?“

Der neue Häuptling zögerte. „Bevor ich antworte, habe ich eine Frage, Grom Höllschrei. Du willst, dass wir Ner’zhul folgen. Warum tust du das? Du hast selbst gesagt, dass er all den Ärger verursacht hat!“

Der brutal wirkende Krieger war also nicht so dumm, wie er aussah. Grom entschied, dass er eine Antwort verdient hatte. „Es stimmt. Ner’zhul ist für all den Ärger verantwortlich“, antwortete Grom, „weil er diesem Verräter die Kontrolle überlassen hat.“ Er gestikulierte mit dem Beutel. „Und weil er Gul’dan ungehindert agieren ließ. Aber davor war Ner’zhul weise und hat die Klans gut beraten. Und er hat die Horde gegründet, was eine gute Sache ist. Ich folge ihm jetzt, weil er geschworen hat, das Dunkle Portal erneut zu öffnen. Ich hätte schon beim ersten Mal dabei sein sollen, um Menschen auf Azeroth zu töten, aber Gul’dan hat das verhindert. Jetzt bekomme ich meine Chance.“ Er lachte. „Ner’zhul hat mir gesagt, dass Gul’dans Schädel benötigt wird, um das Portal zu öffnen. Es erfüllt mich mit Freude, dass ausgerechnet er, der mir den ersten Zugang verweigert hat, jetzt mein Schlüssel wird. Deshalb, Knochenmalmer, folge ich Ner’zhul. – Jetzt bist du dran. Komm zurück zur Horde. Oder...“ Er hob Blutschrei erneut und wirbelte so stark damit, dass die Waffe sang. Es war ein an- und abschwellendes Klagelied über Blut und Chaos. „... wir schlachten euch alle hier ab, bis zum letzten Säugling. Und zwar sofort.“

Er warf den Kopf zurück und brüllte. Hinter ihm begannen seine Krieger zu singen. Sie stampften mit den Beinen, schwangen ihre Waffen im Rhythmus, bis die ganze Ebene erbebte.

Grom leckte sich die Lippen und hob die Axt. Dann sah er in Tagars weit aufgerissene Augen. „Was ist nun?“, knurrte er. „Blutschrei will wieder geschwungen werden. Soll meine Klinge menschliches Blut kosten... oder das der Knochenmalmer?“

5

„Was?“ Turalyon, General der Allianzstreitkräfte und Paladin der Silbernen Hand, starrte höchst erstaunt auf die kleine Gestalt, die vor ihm saß.

„Eine Rattenplage!“, erklärte der Gnom.

„Als Ihr gesagt habt, Ihr hättet ein Problem mit der Natur, die den ganzen Untergrundbahnbau gefährden könnte“, sagte Turalyon langsam, „nahm ich an, dass Ihr Probleme mit einem unterirdischen See hättet – oder vielleicht Kreaturen...“ Turalyons Stimme wurde leiser. „Aber Ihr habt schon Ratte gesagt, oder?“

„Allerdings!“ Der Tüftler Gelbin Mekkadrill, Konstruktionschef des mechanischen Transportsystems zwischen Sturmwind und Eisenschmiede, schauderte. „Schrecklich, dieses Ungeziefer. Einige dieser Biester waren so groß!“

Mekkadrill hielt die Hände etwa fünfzehn Zentimeter weit auseinander. Wenn man seine kleinwüchsige Gestalt berücksichtigte, mochte das durchaus beachtlich sein. Aber hatte der Ingenieur wirklich wegen eines Problems mit Ratten eine Krisensitzung mit dem General der Allianz einberufen?

Turalyon war sich immer noch nicht sicher, was er von den kleinen Kerlen halten sollte, die gute Freunde der Zwerge waren.

Wenn Mekkadrill, der vor ein paar Jahren auf Empfehlung des Zwergenkönigs Magni Bronzebart nach Sturmwind gekommen war, ein typischer Vertreter seiner Art war, mussten sie ein neugieriges Völkchen sein. Mekkadrill redete schnell und benutzte dabei Begriffe, die Turalyon völlig fremd waren. Der Gnomenabgeordnete reichte Turalyon nicht einmal bis zur Hüfte und wurde von dem großen Stuhl, in dem er jetzt saß, fast verschluckt. Seine Augen ragten gerade so über den Tischrand, und als Mekkadrill kurzzeitig verärgert war, hüpfte er einfach auf den Tisch, um auf der Bauskizze, die er zwei Minuten nach seinem Eintreffen auf dem Tisch ausgebreitet hatte, etwas zu zeigen.

„Sie haben den Prototyp vollständig eingenommen und die Verkabelung durchgebissen, und zwar hier, hier und hier“, fuhr Mekkadrill fort und wies mit seinem kleinen Finger auf die Konstruktionszeichnung. „Wir kommen da nicht ran, und selbst wenn, können wir es nicht reparieren, ohne dass wir noch mehr Leute verlieren. Die letzte Mannschaft, die wir reingeschickt haben... nun, das war kein sehr schöner Anblick.“ Sein Blick wirkte ernst.

Turalyon nickte. Die Idee, eine Bahn zu bauen, war ihm brillant erschienen, als sie kurz nach dem Zweiten Krieg aufgekommen war. Der Wiederaufbau von Sturmwind kam nur langsam voran.

Es war eine lange und gefährliche Reise von Eisenschmiede nach Sturmwind, und König Bronzebart hatte sich über die Verspätungen beim Nachschub mächtig aufgeregt.

Wie immer fühlte sich Turalyon den technischen Planungen nicht gewachsen, wenn Mekkadrill mit Fortschrittsmeldungen oder Problemen zu ihm kam. Er war ein Paladin, ein Krieger durch Bestimmung und Priester aufgrund seiner Ausbildung. Er wusste kaum etwas über einfache Konstruktionen, und diese Bahn überforderte ihn deutlich. Besonders wenn Mekkadrill so schnell redete.