Der Gerichtspräsident lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah Chotas überrascht an, als ob er diese Nachricht zum ersten Mal hörte.
Er spielt es bis zur letzten Konsequenz durch, dachte Noelle. Er will sich sein Geld verdienen oder was Demiris ihm sonst dafür bezahlt.
Der Präsident beugte sich vor und beriet sich hastig flüsternd mit den beiden anderen Richtern. Sie nickten, und der Präsident blickte auf Noelle herab und fragte: »Wünschen Sie, Ihr Bekenntnis in schuldig abzuändern?«
Noelle nickte und antwortete mit fester Stimme: »Ja.«
Frederick Stavros ergriff schnell das Wort, als ob er befürchtete, bei der Prozedur übergangen zu werden. »Hohes Gericht, mein Klient wünscht ebenfalls, sein Bekenntnis von nicht schuldig in schuldig abzuändern.«
Der Präsident wandte sich Larry zu und betrachtete ihn. »Wünschen Sie, Ihr Bekenntnis in schuldig abzuändern?«
Larry sah Chotas an und nickte dann. »Ja.«
Der Präsident musterte die beiden Angeklagten mit ernstem Gesicht. »Haben Ihre Anwälte Sie darüber unterrichtet, dass nach griechischem Recht die Strafe für ein Verbrechen des vorsätzlichen Mordes die Hinrichtung ist?«
»Ja, Euer Ehren.« Noelles Stimme klang fest und klar.
Der Präsident sah Larry an.
»Ja«, sagte Larry.
Wieder folgte eine geflüsterte Beratung unter den Richtern.
Der Gerichtspräsident wandte sich Demonides zu. »Erhebt die Anklagevertretung Einwände gegen die Änderung der Bekenntnisse?« Demonides sah Chotas lange an. »Keine.«
Noelle fragte sich, ob er an dem Geschäft auch beteiligt war oder ob er nur einfach als Bauer in diesem Spiel benutzt wurde.
»Sehr gut«, sagte der Gerichtspräsident. »Das Gericht hat keine andere Wahl, als diese Änderung der Bekenntnisse zu akzeptieren.« Er wandte sich an die Geschworenen. »Meine Herren, in Anbetracht dieser neuen Entwicklung sind Sie hiermit von Ihren Pflichten als Geschworene entbunden. Der Prozess ist damit zu seinem Abschluss gekommen. Das Gericht wird sein Urteil fällen. Ich danke Ihnen für Ihre Dienste und Ihre Mitarbeit. Die Sitzung wird für zwei Stunden unterbrochen.«
Im nächsten Augenblick stürmten die Reporter aus dem Saal, rasten zu ihren Telefonen und Fernschreibern, um über die jüngste sensationelle Entwicklung im Mordprozess gegen Noelle Page und Larry Douglas zu berichten.
Zwei Stunden später war der Gerichtssaal zum Bersten gefüllt, als das Gericht die Verhandlung wieder aufnahm. Noelle blickte auf die Gesichter der Zuschauer im Saal. Sie beobachteten sie mit ungezügelter Neugier, und Noelle konnte sich nur mit Mühe beherrschen, über die Naivität dieser Menschen laut herauszulachen. Das war das gemeine Volk, die Masse, und sie glaubten wirklich, dass das Recht fair gehandhabt wurde, dass in einer Demokratie alle Menschen gleich waren, dass ein armer Mann die gleichen Rechte und Privilegien hatte wie ein reicher.
»Die Angeklagten mögen aufstehen und vor den Richtertisch treten.«
Anmutig erhob Noelle sich von ihrem Platz und ging nach vorn, Chotas an ihrer Seite. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass Larry und Stavros gleichfalls vortraten.
Der Gerichtspräsident ergriff das Wort. »Dies war ein langer und schwieriger Prozess«, begann er. »Wenn im Fall von Kapitalverbrechen angemessene Zweifel an der Schuld bestehen, ist das Gericht immer bereit, zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Ich muss zugeben, dass wir in diesem Fall der Ansicht waren, dass solche Zweifel vorlagen. Die Tatsache, dass die Anklage nicht in der Lage war, ein Corpus delicti vorzuweisen, war ein starker Punkt zugunsten der Angeklagten,« Er wandte sich an Napoleon Chotas. »Ich bin überzeugt, dass Ihnen als erfahrenem Strafverteidiger wohlbekannt ist, dass griechische Gerichte in Fällen, bei denen ein Mord nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, nie ein Todesurteil gefällt haben.«
Ein leichtes Gefühl des Unbehagens streifte Noelle, noch nichts Alarmierendes, nur ein Hauch, eine flüchtige Andeutung. Der Präsident fuhr fort.
»Meine Kollegen und ich waren aus diesem Grund offen gestanden überrascht, als die Angeklagten sich mitten im Prozess entschlossen, ihr Bekenntnis in schuldig zu ändern.«
Das Unbehagen saß jetzt in Noelles Magengrube, wuchs, stieg nach oben, begann ihr die Kehle zuzuschnüren, so dass ihr das Atmen schwer fiel. Larry starrte den Richter an, er begriff noch nicht völlig, was vorging.
»Wir wissen die quälende Gewissensergründung zu würdigen, der sich die Angeklagten unterworfen haben müssen, ehe sie sich entschließen konnten, vor diesem Gericht und vor der Welt ihre Schuld zu bekennen. Jedoch kann diese Erleichterung ihres Gewissens nicht als Sühne für das schreckliche Verbrechen akzeptiert werden, zu dem sie sich bekannt haben, die kaltblütige Ermordung einer hilflosen und wehrlosen Frau.«
In diesem Augenblick wusste Noelle mit einer plötzlichen, alles zerschmetternden Gewissheit, dass sie getäuscht worden war. Demiris hatte ein Ränkespiel getrieben, um sie in falscher Sicherheit zu wiegen und ihr dies antun zu können. Das war sein Spiel, das war die Falle, die er ihr gestellt hatte. Er hatte genau gewusst, wie sehr sie sich vor dem Sterben fürchtete, darum hatte er ihr die Hoffnung auf Leben vorgegaukelt, und sie war darauf hereingefallen, hatte ihm geglaubt, und er hatte sie überlistet. Demiris hatte seine Rache jetzt gewollt, nicht später. Ihr Leben hätte gerettet werden können. Selbstverständlich hatte Chotas gewusst, dass sie nicht zum Tode verurteilt werden konnte, solange keine Leiche vorzuweisen war. Er hatte kein Abkommen mit den Richtern getroffen. Chotas hatte seine ganze Verteidigung darauf ausgerichtet, Noelle in den Tod zu locken. Sie wandte sich ihm zu. Er sah auf, um ihrem Blick zu begegnen, und seine Augen waren von echter Trauer erfüllt. Er liebte sie, und er hatte sie ermordet, und wenn er noch einmal damit zu tun hätte, würde er dasselbe wieder tun, denn am Ende war er Demiris' Mann, genauso wie sie Demiris' Frau gewesen war, und keiner von ihnen beiden kam gegen seine Macht an.
Der Gerichtspräsident fuhr fort: »... und infolge der mir vom Staat erteilten Vollmacht und in Übereinstimmung mit den Gesetzen verkünde ich das Urteil gegen die beiden Angeklagten. Noelle Page und Lawrence Douglas werden zum Tod durch Erschießen verurteilt ... Das Urteil wird innerhalb der nächsten neunzig Tage von heute an vollstreckt werden.«
Im Gerichtssaal brach die Hölle los, aber Noelle hörte und sah nichts davon. Etwas veranlasste sie, sich umzudrehen. Der freie Platz im Saal war nicht länger leer. Constantin Demiris saß dort. Er war frisch rasiert und frisiert. Er hatte einen makellos geschnittenen Anzug aus blauer Rohseide an, trug dazu ein lichtblaues Hemd und eine seidene Krawatte. Seine olivdunklen Augen leuchteten belebt. Kein Anzeichen von dem geschlagenen, zusammenbrechenden Mann, der sie im Gefängnis besucht hatte, war mehr da, denn dieser Mann hatte niemals existiert.
Constantin Demiris war gekommen, um Noelle im Augenblick ihrer Niederlage zu beobachten, sich an ihrem Entsetzen zu weiden. Seine dunklen Augen bohrten sich in die ihren, und im Bruchteil eines Augenblicks erkannte sie die tiefe, bösartige Befriedigung darin. Aber etwas anderes lag noch in dem Blick. Bedauern vielleicht, doch es war verschwunden, ehe sie es wahrnehmen konnte, und jetzt war ohnehin alles zu spät.
Die Schachpartie war endgültig vorüber.
Larry hatte die letzten Worte des Gerichtspräsidenten in entsetztem Unglauben angehört, und als ein Gerichtsdiener an ihn herantrat und ihn am Arm fasste, schüttelte er ihn ab und wandte sich wieder dem Richtertisch zu.
»Augenblick!« schrie er. »Ich habe sie nicht getötet! Man hat mich hereingelegt!«