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»Wir brauchen keinen Führer«, entgegnete Larry kurz angebunden.

Catherine sah ihn an. Sein scharfer Ton überraschte sie.

Er fasste Catherine unter. »Komm jetzt.«

»Meinst du nicht, dass wir doch einen Führer nehmen sollten?«

»Wozu? Das ist reine Beutelschneiderei. Wir brauchen nur hineinzugehen und uns die Höhle anzusehen. In der Broschüre hier steht alles, was wir wissen wollen.«

»Gut«, sagte Catherine nachgiebig.

Der Eingang zur Höhle war größer, als sie erwartet hatte. Er war von Flutlichtern hell erleuchtet und wimmelte von Touristen. Wände und Decke der Höhle waren über und über mit aus dem Fels gehauenen gewaltigen Figuren bedeckt: Vögeln und Riesen und Blumen und Kronen.

»Das ist phantastisch«, rief Catherine aus. Sie studierte die Broschüre. »Niemand weiß, wie alt das ist.«

Ihre Stimme, von der Felsendecke zurückgeworfen, klang hohl. Über ihren Köpfen hingen Stalaktiten herunter. Ein in den Fels gehauener Tunnel führte in eine zweite, kleinere Halle, die von an der Decke befestigten nackten Glühbirnen beleuchtet wurde. Hier waren weitere phantastisch geformte Gebilde, eine wilde, ungeordnete Ansammlung von Kunstwerken der Natur. Am hinteren Ende befand sich ein Schild mit der Aufschrift: Achtung, Gefahr. Nicht weitergehen.

Hinter dem Schild lag der Zugang zu einer gähnend schwarzen Höhle. Larry schlenderte unauffällig darauf zu und sah sich nach allen Seiten um. Catherine betrachtete interessiert ein Steingebilde in der Nähe des Eingangs. Larry nahm das Schild und warf es beiseite. Er kam zu Catherine zurück.

»Hier ist es feucht«, sagte sie. »Wollen wir nicht wieder gehen?«

»Nein.« Larrys Ton klang entschieden.

Sie sah ihn überrascht an.

»Es gibt hier noch mehr zu sehen«, erklärte Larry. »Der Empfangschef im Hotel hat mir gesagt, die interessantesten Partien lägen in dem neuen Teil. Er meinte, wir dürften uns das nicht entgehen lassen.«

»Wo ist das?« fragte Catherine.

»Dort drüben.« Larry nahm sie am Arm, und sie gingen auf den Hintergrund der Höhle zu und blieben vor dem klaffenden schwarzen Loch stehen.

»Da können wir nicht hinein«, sagte Catherine. »Es ist ja dunkel drin.«

Larry tätschelte ihren Arm. »Keine Sorge. Er hat mir geraten, eine Taschenlampe mitzunehmen.« Er zog sie aus der Tasche. »Hier. Siehst du?« Er knipste sie an, und ihr dünner Strahl fiel in einen langen, dunklen Gang aus uraltem Fels.

Catherine starrte in den düsteren Tunnel. »Das sieht so weit aus«, sagte sie zweifelnd. »Bist du überzeugt, dass es sicher ist?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Larry. »Hier werden sogar Schulkinder hergeführt.«

Catherine zögerte noch. Sie wünschte, sie könnte in der Nähe der anderen Besucher bleiben. Das hier kam ihr gefährlich vor. »Also gut«, fügte sie sich.

Sie traten in den Tunnel. Sie waren erst wenige Schritte vorgedrungen, als der Lichtkreis der Haupthöhle hinter ihnen von der Finsternis verschlungen wurde. Der Gang bog unvermittelt nach links ab und zog sich dann in einer Kurve nach rechts. Sie waren allein in einer kalten, zeitlosen Urwelt. Im Widerschein der Taschenlampe nahm Catherine gelegentlich kurz Larrys Gesicht wahr und bemerkte den gleichen entschlossenen Ausdruck, den es beim Aufstieg auf den Berg gezeigt hatte. Sie umklammerte seinen Arm.

Vor ihnen lag eine Abzweigung. Catherine konnte die niedrige Felsendecke des Tunnels an der Stelle sehen, an der er in zwei verschiedenen Richtungen weiter verlief. Sie dachte an Theseus und den Minotaurus und fragte sich unwillkürlich, ob sie den beiden hier begegnen würde. Sie öffnete den Mund, um Larry vorzuschlagen umzukehren, doch noch ehe sie sprechen konnte, sagte Larry: »Wir gehen nach links weiter.«

Sie blickte ihn an und sagte mit einer Stimme, von der sie hoffte, dass sie gelassen klang: »Liebling, meinst du nicht, dass wir hier umkehren sollten? Es ist schon spät. Die Höhlen werden geschlossen.«

»Sie sind bis neun Uhr offen«, entgegnete Larry. »Es gibt hier eine bestimmte Höhle, die ich finden möchte. Sie wurde kürzlich erst erschlossen. Sie soll phantastisch sein.« Er ging weiter.

Catherine zögerte, suchte nach einem Vorwand, nicht weitergehen zu müssen. Doch schließlich, warum sollten sie nicht auch forschen? Larry machte es Freude. Wenn es ihn glücklich machte, dann würde sie die größte – wie hieß der Ausdruck? – Höhlenforscherin der Welt werden.

Larry blieb stehen und wartete auf sie. »Kommst du?« fragte er ungeduldig.

Sie versuchte, enthusiastisch zu klingen. »Aber ja. Verlier mich nur nicht«, antwortete sie.

Larry entgegnete nichts. Sie nahmen die linke Abzweigung und drangen vorsichtig auf kleinen Steinen, die ihnen unter den Füßen fortrutschten, weiter vor. Larry griff in die Tasche, und einen Augenblick später hörte Catherine etwas auf den Boden fallen. Larry ging weiter.

»Hast du etwas fallen lassen?« fragte Catherine. »Ich glaube, ich hörte etwas«

»Ich bin mit dem Fuß gegen einen Stein gestoßen«, sagte er. »Lass uns schneller gehen.« Und sie drangen weiter vor, ohne dass Catherine bemerkte, dass hinter ihnen ein Knäuel Schnur abgewickelt wurde.

Die Decke der Höhle schien niedriger zu werden und die Wände feuchter und – Catherine lachte über sich selbst, als sie das dachte -bedrohlicher. Ihr schien, als ob der Tunnel auf sie eindringe, drohend und bösartig. »Mir scheint, dass wir hier nicht willkommen sind«, sagte Catherine.

»Sei nicht albern, Cathy. Es ist schließlich nur eine Höhle.«

»Weshalb, meinst du, sind wir hier die einzigen?«

Larry zögerte. »Nicht viele wissen etwas von diesem Teil.«

Sie gingen weiter und weiter, bis Catherine schließlich jedes

Gefühl für Ort und Zeit verlor.

Der Gang wurde noch enger, und sie stießen sich immer wieder an unerwarteten scharfen Felsvorsprüngen zu beiden Seiten.

»Wie weit, meinst du, ist es noch?« fragte Catherine. »Wir müssten beinahe schon in China sein.«

»Jetzt ist es nicht mehr weit.«

Ihre Stimmen klangen gedämpft und hohl, wie eine Reihe fortlaufend ersterbender Echos.

Jetzt wurde es kalt, aber es war eine feuchte, klamme Kälte. Catherine fror. Der Strahl der Taschenlampe fiel vor ihnen auf eine weitere Abzweigung. Sie gingen bis dorthin und blieben dann stehen. Der nach rechts führende Gang schien enger zu sein als der linke.

»Hier sollte man Wegweiser mit Neonleuchten anbringen«, sagte Catherine. »Wahrscheinlich sind wir schon zu weit gegangen.«

»Nein«, erwiderte Larry. »Ich bin sicher, dass wir uns nach rechts halten müssen.«

»Mir wird jetzt wirklich kalt, Liebling«, sagte sie. »Lass uns umkehren.«

Er drehte sich um und sah sie an. »Wir sind doch beinahe da, Cathy.« Er drückte ihren Arm. »Ich wärme dich, wenn wir wieder in unserem Bungalow sind.« Er bemerkte den zögernden Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Ich mach' dir einen Vorschlag. Wenn wir die Stelle in den nächsten zwei Minuten nicht finden, drehen wir um und gehen nach Hause. Einverstanden?«

Catherine wurde leichter ums Herz. »Einverstanden«, sagte sie dankbar.

»Dann komm.«

Sie drangen in den rechten Tunnel ein. Der Strahl der Taschenlampe zeichnete ein gespenstisches, schwankendes Muster auf dem grauen Fels vor ihnen. Catherine sah über die

Schulter zurück, und hinter ihr herrschte vollkommene Finsternis. Es war, als ob die kleine Taschenlampe aus der höllischen Finsternis ein Stück Helligkeit herausschälte, die sie wie ein winziger Mutterleib aus Licht umschloss und sie Schritt für Schritt weiter trug.

Plötzlich blieb Larry stehen. »Verdammt!« sagte er.

»Was ist denn?«

»Ich glaube, wir haben doch die falsche Richtung eingeschlagen.«

Catherine nickte. »Also gut, dann gehen wir eben zurück.«