»– musste kommen. Ich musste mich vergewissern, dass«
»– uns zusammen sehen. Niemand wird je —«
»– habe dir doch gesagt, ich würde dafür sorgen«
»– schiefging. Sie können uns gar nichts«
»– jetzt, während sie schläft«
Catherine stand wie gelähmt da, war unfähig, sich zu rühren. Es war, als ob sie stroboskopischen Klängen zuhörte, schnellen, peitschenden Wortfolgen. Der Rest der Sätze ging im heulenden Wind und im Krachen des Donners verloren.
»– wir müssen uns beeilen, ehe sie«
Alle die alten Schrecken kehrten zurück, ließen sie erbeben, verschlangen sie in unbeschreiblich widerwärtiger Panik. Ihr Alptraum war die Wahrheit gewesen. Er hatte versucht, sie zu töten. Sie musste von hier fort, ehe sie sie finden konnten, ehe sie von ihnen ermordet wurde. Langsam, am ganzen Körper zitternd, wich sie zurück. Sie stieß gegen eine Lampe, die umzufallen drohte, aber sie konnte sie noch rechtzeitig halten. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie befürchtete, man könnte es über den Lärm von Donner, Wind und Regen hinweg hören. Sie erreichte die Vordertür und öffnete sie, und der Wind riss sie ihr beinahe aus den Händen.
Catherine trat in die Nacht hinaus und schloss die Tür hinter sich. Sie war im Nu von dem kalten, peitschenden Regen durchnässt, und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nur ihr dünnes Nachthemd anhatte. Es spielte keine Rolle. Die Flucht war das einzig Wichtige. Durch den strömenden Regen sah sie in der Ferne das Licht der Hotelhalle. Sie könnte hingehen und um Hilfe bitten. Aber würde man ihr glauben? Sie erinnerte sich an das Gesicht des Arztes, als sie ihm sagte, Larry wolle sie töten. Nein, man würde sie für hysterisch halten, würde sie Larry wieder ausliefern. Sie musste von hier fort. Sie ging auf den steilen, steinigen Pfad zu, der in den Ort hinunterführte.
Der stürmische Regen hatte den Pfad zu einem schlammigen, schlüpfrigen Morast aufgeweicht, der ihre Füße saugend festhielt und sie so behinderte, dass sie das Gefühl hatte, sie liefe in einem Alptraum und versuchte vergeblich, im Zeitlupentempo zu entkommen, während ihre Verfolger hinter ihr herrasten. Ständig glitt sie aus und fiel zu Boden, und ihre Füße bluteten von den scharfen Steinen auf dem Pfad, aber sie bemerkte es nicht. Sie stand unter einem Schock, bewegte sich wie ein Automat, fiel, wenn ein Windstoß sie niederwarf, raffte sich wieder auf und bewegte sich weiter auf dem Pfad bergab zum Ort hinunter, ohne zu bemerken, wo sie lief. Den strömenden Regen spürte sie nicht mehr.
Der Pfad ging plötzlich in eine dunkle, verlassene Straße am Rand des Ortes über. Sie taumelte weiter wie ein gehetztes Tier, ohne zu wissen, dass sie einen Fuß vor den anderen setzte, verstört von den grauenerregenden Geräuschen der Nacht und den zuckenden Blitzen, die den Himmel in ein Inferno verwandelten.
Sie erreichte den See und blieb stehen und starrte auf ihn hinaus, während der Wind an ihrem dünnen Nachthemd zerrte. Das stille Wasser hatte sich in ein kochendes, tobendes Meer verwandelt, von einem dämonischen Wind gepeitscht, der hohe, brutal gegeneinander prallende Wellen aufwühlte.
Catherine stand und versuchte sich zu erinnern, was sie hier wollte. Und plötzlich wusste sie es wieder. Sie war auf dem Weg zu Bill Fräser. Er wartete auf sie in seinem schönen Haus, damit sie heiraten könnten. Auf der anderen Seite des Wassers entdeckte Catherine ein schwaches gelbes Licht im strömenden Regen. Dort war Bill und wartete. Aber wie sollte sie zu ihm gelangen? Sie blickte nach unten und sah Ruderboote an ihren Anlegeplätzen liegen. Sie tanzten im schäumenden Wasser auf und ab und zerrten an ihrer Vertäuung.
Jetzt wusste sie, was sie zu tun hatte. Sie kletterte zu einem der Boote hinunter und stieg hinein. Sie kämpfte um ihr Gleichgewicht, als sie den Strick losband, der das Boot an der Landungsbrücke festhielt. Augenblicklich löste sich das Boot vom Steg, bäumte sich, plötzlich frei, mit den Wellen hoch auf. Catherine wurde von den Füßen gerissen. Sie zog sich auf eine Sitzbank und griff nach den Rudern, versuchte sich zu erinnern, wie Larry sie gehandhabt hatte. Aber es gab keinen Larry. Es musste Bill gewesen sein. Ja, sie erinnerte sich, wie Bill mit ihr gerudert war. Sie wollten seine Mutter und seinen Vater besuchen. Jetzt tauchte sie die Ruder ein, aber die riesigen Wellen warfen das Boot von Seite zu Seite und wirbelten es herum, und die Ruder wurden ihr aus den Händen gerissen und ins Wasser gezogen. Sie sah ihnen nach, bis sie ihrem Blick entschwanden. Das Boot wurde auf die Mitte des Sees zu getrieben. Catherine klapperte vor Kälte mit den Zähnen und zitterte am ganzen Körper. Sie spürte, dass ihr etwas auf die Füße klatschte, blickte hinunter und sah, dass sich das Boot mit Wasser füllte. Sie weinte, weil ihr Hochzeitskleid nass werden würde. Bill Fräser hatte es ihr gekauft, und jetzt würde er böse auf sie sein.
Sie trug ein Hochzeitskleid, weil sie mit Bill in der Kirche war, und der Geistliche, der wie Bills Vater aussah, sagte: Wenn jemand gegen diese Ehe Einspruch erheben will, so tue er es jetzt oder ... Und dann kam die Stimme einer Frau, die sagte: Jetzt, während sie schläft... Und die Lichter gingen aus, und Catherine war wieder in der Höhle, und Larry drückte sie zu Boden, und die Frau goss Wasser über sie, um sie zu ertränken. Sie sah sich nach dem gelben Licht in Bills Haus um, aber es war verschwunden. Er wollte sie nicht mehr heiraten, und nun hatte sie niemanden.
Das Ufer war jetzt sehr weit entfernt, irgendwo hinter dem strömenden, peitschenden Regen, und Catherine war allein in der stürmischen Nacht mit dem kreischenden Geisterwind des meltemi in den Ohren. Das Boot begann verräterisch zu schwanken, als die riesigen Wellen dagegen schlugen, aber Catherine fürchtete sich nicht mehr. Eine köstliche Wärme erfüllte allmählich ihren Körper, und der Regen fühlte sich wie
Samt auf ihrer Haut an. Sie faltete die Hände wie ein kleines Kind und begann ein Gebet zu sprechen, das sie als kleines Mädchen gelernt hatte:
»Müde bin ich, geh' zur Ruh, schließe beide Augen zu. Vater, lass die Augen Dein über meinem Bettchen sein.«
Ein wunderbares Glücksgefühl erfüllte sie, weil sie wusste, dass jetzt alles gut werden würde. Sie war auf dem Weg nach Hause.
In diesem Augenblick ergriff eine große Welle das Heck des Bootes, und langsam kenterte es auf dem schwarzen grundlosen See.
DRITTES BUCH
Der Prozess
Athen 1947
Fünf Stunden vor Beginn des Mordprozesses gegen Noelle Page und Larry Douglas war Saal 33 im Arsakion-Gericht in Athen von Zuschauern überfüllt. Das riesige graue Gerichtsgebäude nimmt einen ganzen Häuserblock an der Universitätsstraße und der Stada ein. Von den dreißig Sitzungssälen in dem Gebäude sind nur drei für Strafprozesse vorgesehen: die Säle 21, 30 und 33. Nummer 33 wurde für diesen Prozess ausgewählt, weil er der größte Saal ist. Die Gänge vor Saal 33 wimmelten von Menschen, und vor den beiden Eingängen zum Saal waren Polizisten in grauen Uniformen und grauen Hemden postiert, um die Menge unter Kontrolle zu halten. Der Erfrischungsstand am Ende des Korridors hatte seine Bestände schon nach fünf Minuten ausverkauft, und vor den Telefonzellen warteten lange Schlangen.
Georgios Skouri, der Polizeichef, überwachte persönlich die Sicherheitsvorkehrungen. Überall waren Pressefotografen, und Skouri gelang es erfreulich oft, fotografiert zu werden. Eintrittskarten zum Gerichtssaal hatten Höchstpreise erzielt. Wochenlang waren die Angehörigen der griechischen Justiz von Freunden und Verwandten belagert worden. Findige, die sich Karten sichern konnten, handelten gegen sie andere Vorteile ein oder verkauften sie an Schwarzhändler, die sie zu Preisen bis fünfhundert Drachmen das Stück verschoben.
Der Mordprozess spielte sich im üblichen Rahmen ab. Sitzungssaal 33 im Obergeschoß des Gerichtsgebäudes war muffig und alt, Schauplatz Tausender forensischer Schlachten, die im Lauf der Jahre hier stattgefunden hatten. Der Raum war etwa zwölf Meter breit und über vierzig Meter lang. Die Sitzplätze waren in drei Blöcken von je neun Reihen hölzerner