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Ich hörte auch, in einer kaum zugänglichen Wüstengegend unfern dem Salzmeer hätten sich einige hundert Juden zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen, um in den heiligen Schriften zu forschen und auf das neue Reich zu warten. Diese Asketen haben angeblich einen anderen Kalender als die rechtgläubigen Juden und kennen verschiedene Grade der Einweihung in ihre Geheimlehre.

Die Dunkelheit brach herein, die Lampen wurden angezündet, und es wurde Zeit für mich, beim Statthalter zu erscheinen. Wegen dieser Einladung hatte ich mir manche Neckerei anhören müssen. Die Offiziere teilten mir aber auch im Vertrauen mit, es sei ihnen gelungen, zwei syrische Tänzerinnen und Musikanten einzuschmuggeln; sobald der Prokonsul sich zurückgezogen hätte, möge ich wieder zu ihnen kommen und an der allgemeinen Lustbarkeit teilnehmen. Nachdem das jüdische Osterfest bisher der Legion so viel Mühsal gebracht habe, hätten die Leute sich etwas Unterhaltung redlich verdient.

In den Wohnräumen des Statthalters hatte man versucht, die Düsterkeit der Turmgemächer durch kostbare Matten und Wandteppiche zu mildern, und die Kissen der Speiselager waren mit feinen Geweben bezogen. Das Tafelgeschirr war syrischer Herkunft, und der Wein wurde in Glasbechern gereicht. Neben mir saß ein zweiter Gast, der Festungskommandant, ein fast bis zur Stummheit schweigsamer Mann, der ein hervorragender Stratege sein mochte, sich aber in Gegenwart der Hausfrau und ihrer Gesellschaftsdame so befangen fühlte, daß er nicht den Mund zu öffnen wagte. Auch Adenabar und der Sekretär des Prokurators waren anwesend. In den Lampen brannte feinstes Öl, mit dessen Wohlgeruch die Salbendüfte der beiden Frauen wetteiferten.

Ich freute mich, Claudia Procula wiederzusehen; allerdings hätte ich sie, offen gestanden, kaum erkannt, wenn ich sie zufällig auf der Straße getroffen hätte. Sie war abgemagert und blaß und hatte ihr Haar, um zu verbergen, daß es grau wurde, mit Henna rot gefärbt. Nur wenn ich in ihre Augen – eigentlich das einzige an ihr, was mir von früher her vertraut war – blickte, bemerkte ich die gleiche rastlose Empfindsamkeit, die mich einst in meiner Jugend einen ganzen Nachmittag lang im Proculus-Haus in Rom entzückt hatte.

Sie streckte mir ihre beiden schlanken, gepflegten Hände entgegen und blickte mir lange in die Augen. Dann schlang sie, zu meinem maßlosen Erstaunen, ihre Arme um meinen Hals, drückte mich an sich, küßte mich auf beide Wangen und schluchzte mit Tränen in den Augen: »Marcus, Marcus! Wie froh bin ich, daß du gekommen bist und mich an diesem schrecklichen Abend ein bißchen aufheitern kannst!«

Der Festungskommandant wandte den Blick ab, ebenso um meines Gastgebers willen wie meinetwegen beschämt. Pontius Pilatus brummte unmutig: »Aber, aber, Claudia! Nimm dich doch zusammen! Wir wissen alle, daß du nicht gesund bist.«

Claudia Procula löste die Arme von meinem Hals. Ihre Schönheit hatte einigermaßen dadurch gelitten, daß blaue Augenschminke und Tränen ihr über die bemalten Wangen geronnen waren. Aber sie stampfte mit den Füßen auf den Boden und fauchte: »Es ist nicht meine Schuld, wenn böse Träume mich quälen. Habe ich dich nicht gewarnt, du solltest mit jenem heiligen Mann nichts zu schaffen haben?«

Als ich sah, wie verärgert Pontius Pilatus war, wurde mir klar, daß er einen hohen Preis für die Stellung bezahlen mußte, die seine Gattin ihm durch ihre Beziehungen verschafft hatte. Ein anderer Mann hätte zweifellos seiner Gattin aufgetragen, sich zurückzuziehen, bis sie ihre Fassung wiedergewänne; der Prokurator aber streichelte ihr nur verlegen die Schultern und bat sie, sich zu beherrschen. Die Gesellschaftsdame, ein auffallend hübsches Wesen, begann rasch, die Wangenbemalung ihrer Herrin instandzusetzen.

Der Statthalter nahm aus den Händen eines Sklaven einen Schöpflöffel und goß eigenhändig Wein aus dem Mischgefäß in die gläsernen Becher, auf die er stolz zu sein schien, mit Recht übrigens. Den ersten Becher reichte er, an dem Festungskommandanten vorbei, mir. Daraus schloß ich, daß er mein Gepäck hatte durchsuchen lassen. Mit Bedacht hatte ich jenen kurzen Empfehlungsbrief obenauf gelegt, der mir – zugleich mit einem Wink, ich könnte nichts Klügeres tun, als den Staub Roms von den Füßen zu schütteln – zugekommen war. An der Spitze dieses Briefes steht ein Name, den ich hier nicht festhalten will, der sich jetzt aber auch in den östlichen Ländern als machtvoll erweist. So muß ich Dir, Tullia, gar noch danken, weil Du mir, als Du mich aus Rom abschobst, diesen Namen zu meinem Beistand verschafft hast.

Als wir uns zutranken, setzte Pontius Pilatus mühsam ein schwaches Lächeln auf und sagte halblaut, wenigstens einen Brauch der Juden beginne er jetzt zu verstehen, den nämlich, der es den Frauen verbietet, zusammen mit den Männern ihre Mahlzeiten einzunehmen. Aber Claudia Procula hatte sich inzwischen beruhigt und forderte mich auf, neben ihr bei Tisch Platz zu nehmen, damit sie mir das Haar streicheln könne. »Das kann niemand übel auffassen«, erklärte sie. »Dem Alter nach könnte ich ja leicht deine Mutter sein. Und du, armes Waisenkind, hast nie eine Mutter gekannt.«

»Bei den Göttern ist kein Ding unmöglich«, erwiderte ich. »Nehmen wir also an, du hättest mit fünf Jahren einen Sohn zur Welt bringen können.« Da unser Altersunterschied in Wirklichkeit mindestens fünfzehn Jahre betrug, war meine Bemerkung natürlich eine plumpe Schmeichelei; aber so haben die Frauen es ja gern. Claudia Procula beäugte mich kokett unter ihren Brauen, nannte mich einen Heuchler und warnte ihre Gesellschaftsdame, sie möge ja kein Wort von dem glauben, was ich sage. Ich gelte als einer der durchtriebensten Verführer unter den jungen Männern Roms und hätte mit vierzehn Jahren schon meinen Ovid auswendig gekonnt. Glücklicherweise machte sie keine Andeutung über das Testament, durch das ich wohlhabend geworden bin.

Der Statthalter nahm meinen Scherz nicht übel. Ich hatte im Gegenteil die Empfindung, daß er alles begrüßte, was seine Frau in frohe Stimmung bringen konnte. Er riet mir bloß, mich zurückzuhalten und daran zu denken, daß die Gattin eines Prokonsuls – so nannte er sich wahrhaftig selbst! – unantastbar ist. Übrigens sei, so versicherte er, seine Frau durch ihren Aufenthalt unter den Juden gehetzter geworden und habe die Leichtfertigkeit der römischen Gesellschaftskreise abgelegt.

Während wir derart dummes Zeug schwatzten, begann das Mahl. Ich habe schon besser gegessen. An den Speisen war jedoch, mochte die Lebensführung des Statthalters noch so bescheiden sein, nichts auszusetzen. Zumindest erwies sich alles, was aufgetragen wurde, als frisch und aus guten Rohstoffen zubereitet, was bestimmt die Grundvoraussetzung aller Kochkunst ist. Am vergnüglichsten allerdings war der Höhepunkt der Mahlzeit, als ein großer, zugedeckter Topf hereingebracht und auf die Tafel gestellt wurde, worauf der Hausherr die Sklaven hinausschickte. Eigenhändig hob er den Deckel ab, und dem Topf entströmte ein köstlicher Braten- und Rosmarinduft. Adenabar und der Festungskommandant gaben ihrer Freude durch laute Rufe Ausdruck. Pontius Pilatus erklärte mir lachend:

»Da sieht man, wie sehr wir unter der Fuchtel der Juden stehen. Der römische Prokonsul ist gezwungen, sein Schweinefleisch aus dem Ostjordanland in die Antonia einzuschwärzen.«

Ich erfuhr, daß östlich des Genezareth-Sees ganze Schweineherden für die Besatzungstruppen gehalten werden, daß es aber, um die Gefühle der Juden zu schonen, streng verboten ist, das Fleisch dieser Tiere nach Jerusalem zu bringen. Die Zöllner müssen, so wohlgesinnt sie den Römern auch sein mögen, dieses Verbot handhaben. Deshalb wird das Schweinefleisch für die Tafel des Statthalters in die Burg als Kuriergepäck eingeschmuggelt, unter dem römischen Staatssiegel.