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»Da fällt mir ein«, bemerkte Adenabar, um auch etwas zu dem Gespräch beizutragen, »daß dieser Jesus, der Judenkönig, nur ein einziges Mal wirklichen Schaden angerichtet hat, zu Gadara im Ostjordanland. Er war im allgemeinen vorurteilslos; oft genug hat er die jüdischen Vorschriften und sogar die Sabbatruhe gebrochen. Den jüdischen Widerwillen gegen Schweinefleisch aber muß er geteilt haben; denn als er vor einigen Jahren durch die Gegend von Gadara wanderte, hat er eines Tages mit Hilfe seiner Schüler eine ganze, tausendköpfige Herde dieser Tiere über eine steile Felswand ins Wasser getrieben. Die Schweine ertranken alle, und ihr Eigentümer erlitt einen schweren Verlust. Die Übeltäter aber entflohen über die Grenze nach Galiläa. Es wäre schwerlich gelungen, ihnen den Prozeß zu machen, und Schadenersatz hätte man ohnedies nie von ihnen bekommen, weil es lauter arme Leute waren. Sie lebten hauptsächlich von den Gaben ihrer Anhänger; nur von Zeit zu Zeit arbeiteten sie ein bißchen. Dein Schweinezüchter blieb nichts übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich glaube, man hätte nicht einmal Zeugen für den Vorfall aufgebracht; der Ruf des Heiligen war ja auch über die Grenze gedrungen, und die Leute fürchteten sich vor ihm wegen seiner Wundertaten.«

Adenabar hatte sich am Rande seines Speisesofas aufgesetzt und erzählte seine Geschichte sehr eifrig; zum Schluß brach er in lautes Gelächter aus. Erst dann bemerkte er, daß seine Anekdote uns keineswegs ergötzt hatte; denn nun waren wir glücklich wieder bei jenem Jesus angelangt, den wir mit leerem Gesellschaftsschwatz für eine Weile – allerdings auch vielleicht nicht ganz – vergessen hatten.

Adenabar stutzte verlegen, und sein Lachen erstarb jäh. Pontius Pilatus knurrte: »Nachgerade dürften wir genug von diesem Mann gesprochen haben.«

Claudia Procula begann zu zittern, verlor ihre Selbstbeherrschung und rief: »Er war ein Heiliger – ein Krankenheiler und Wundertäter, wie die Welt bisher keinen gesehen hat! Wenn du ein Mann und ein richtiger Römer wärest, hättest du ihn nie verurteilt. Vergebens hast du dir nachher die Hände gewaschen; das entsühnt dich nicht. Du hast selbst zugegeben, daß du keine Schuld an ihm findest. Wer herrscht eigentlich in Jerusalem – die Juden oder du?«

Der Prokurator wurde blaß vor Wut, und er hätte seinen Weinbecher zu Boden geschmettert, wäre ihm nicht im letzten Augenblick eingefallen, daß nichts damit getan war, wenn er ein wertvolles Glas in Scherben schlug. Er bedachte sich und blickte umher; da die Tischgesellschaft klein und zuverlässig war und keine Sklaven im Zimmer weilten, antwortete er mit erzwungener Gelassenheit:

»Ich glaube nur, was ich mit eigenen Augen sehe. Vor mir hat er kein Wunder gewirkt, auch vor Herodes nicht, obwohl der Judenfürst ihn ausdrücklich aufgefordert hatte, ihm durch ein Zeichen seine Macht zu beweisen. Die ganze Sache hat einen bösen politischen Einschlag bekommen, und ich sah keinen anderen Ausweg, als den Mann zu verurteilen. Juristisch betrachtet, habe ich übrigens kein Urteil gesprochen, sondern bloß den Juden freie Hand gelassen. Politik ist Politik, und auf diesem Gebiet wird der Ausgang stets von Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt, nicht durch einen formalen Richterspruch. Und es ist eben zweckmäßig, den Juden in Kleinigkeiten ihren Willen zu lassen; das befriedigt ihr Bedürfnis nach nationalem Eigenleben. In allen wichtigen Dingen liegt die Macht ausschließlich in meiner Hand.«

»Wie war denn die Sache mit der Wasserleitung für Jerusalem?« warf Claudia Procula mit weiblicher Bosheit ein. »War das nicht deine glorreiche Idee, dein Stolz, zum erhabenen Denkmal deiner Amtszeit bestimmt? Zeig mir bloß, wo dieses Bauwerk ist! Es waren ja schon alle Pläne eingereicht, und überall hat man das Gefälle bereits gemessen.«

»Ich konnte doch das Geld dazu nicht gewaltsam aus dem Tempelschatz entwenden«, verteidigte sich Pilatus. »Wenn die Juden ihren eigenen Vorteil nicht erkennen, so ist das für sie beschämend und nicht für mich.«

»Mein Herr und Gebieter!« sagte Claudia Procula spöttisch. »All die Jahre hindurch hast du den Juden gegenüber, sobald es hart auf hart ging, immer wieder nachgeben müssen, in jeder Sache, ob klein oder groß. Gerade dieses eine Mal hat es sich jetzt so ergeben, daß du dich leicht hättest als Mann erweisen können, und das Recht wäre auf deiner Seite gewesen. Warum hast du meine Mahnung, nicht einen Unschuldigen zu verurteilen, in den Wind geschlagen?«

Adenabar versuchte die Lage zu retten, indem er scherzend bemerkte: »Der Aquädukt ist an der Starrköpfigkeit der Jerusalemer Frauen gescheitert. Das Wasserholen ist nämlich für sie die einzige Gelegenheit, bei den Brunnen zusammenzukommen und zu plaudern. Je länger und anstrengender der Weg ist, desto mehr Muße finden sie zu albernem Geschwätz.«

Claudia Procula erwiderte: »Die Jerusalemer Frauen sind keineswegs so einfältig, wie du glaubst. Wäre nicht alles derart rasch und überstürzt abgelaufen, derart gesetzwidrig, und hätte nicht einer seiner eigenen Jünger ihn für Geld dem jüdischen Synedrium verraten, so wäre es nie zur Verurteilung gekommen. Wenn du, mein verehrter Gatte, wenigstens Manns genug gewesen wärest, die Entscheidung bis nach Ostern zu verschieben, würden die Dinge jetzt ganz anders aussehen. Dieser Jesus hatte die Werktätigen auf seiner Seite und ebenso auch alle jene rings im Lande, die sich die Stillen nennen und ein neues Reich erwarten. Deren gibt es mehr, als du ahnst. Sogar ein Angehöriger des Hohen Rates ist erschienen und hat dich um den Leichnam des Gekreuzigten gebeten, um ihn in seine eigene Grabstätte zu legen. Ich weiß vieles, was dir entging. Ich weiß sogar Dinge, die nicht einmal den schlichten Jüngern Jesu bekannt sind. Aber nun ist alles zu spät. Du hast den Mann ums Leben gebracht.«

Pontius Pilatus hob die Hände, rief alle Götter Roms und den Schutzgeist Cäsars zu Zeugen an und beteuerte: »Wenn er nicht ans Kreuz geschlagen worden wäre, so hätten die Juden in Rom Klage geführt, ich sei kein Freund Cäsars. Habe ich dir nicht verboten, Claudia, dich mit diesen Frauen zu treffen, die nach Art der Zauberinnen in krankhafte Verzückungen fallen? Die Wahnvorstellungen dieser Hexen steigern nur noch deine Unrast. Männer, Römer, ich frage euch in aller Form: Was hättet ihr an meiner Stelle getan? Hättet ihr eure Stellung und eure ganze Laufbahn aufs Spiel gesetzt – nur einem Juden zuliebe, der Glaubenswirren anzettelte?«

Endlich öffnete auch der Festungskommandant den Mund und sagte: »Jude bleibt Jude. Heimtückische Kerle, einer wie der andere! Peitsche, Speer und Kreuz sind das einzige politische Konzept zu ihrer Befriedung.«

* Adenabar bemerkte: »Als er starb, bebte die Erde. Ich glaube, er war ein Gottessohn. Aber du konntest nicht anders handeln. Jetzt ist er tot und kommt nicht mehr zurück.«

Ich sagte: »Gerne wüßte ich mehr über sein Reich.«

Claudia Procula blickte uns mit weit aufgerissenen Augen an und fragte: »Und wie, wenn er doch wiederkommt? Was tut ihr dann?«

Sie sprach diese Worte so leidenschaftlich, daß mir ein Schauder über den Rücken lief und jedes Härchen an meinem Körper sich sträubte. Mit Gewalt mußte ich mir ins Gedächtnis rufen, daß ich mit eigenen Augen den Judenkönig am Kreuz hatte sterben sehen.

Pontius Pilatus blickte seine Frau mitleidig an, schüttelte den Kopf und sagte, wie zu einer Schwachsinnigen: »Meinetwegen mag er ruhig wiederkommen, meine Liebe. Aber darüber wollen wir uns erst zu gegebener Zeit Sorgen machen.«

Ein Diener trat behutsam ein und bat den Sekretär hinaus. Erleichtert seufzte der Prokurator auf und meinte: »Bald werden wir die letzten Neuigkeiten erfahren. Unterdessen aber lassen wir dieses leidige Thema!«

Wir beendeten das Mahl in gedrückter Stimmung; das Tafelgeschirr wurde abgetragen, und wir tranken noch Wein. Zur Aufheiterung der Damen summte ich die letzten Schlager aus Alexandria, und Adenabar steuerte, mit recht geschulter Stimme, ein in der zwölften Legion entstandenes Liedchen bei.