Die Juden sprangen von ihren Stühlen auf und riefen erregt: »Nein, nein, das stimmt nicht. Sie haben das Linnen in der Grabkammer losgewickelt, um die Leute glauben zu machen, der Mann wäre von den Toten auferstanden. Wir haben das Zeug selber dort liegen sehen, wirr durcheinandergeworfen.«
Der Soldat erwiderte: »Mag sein. Wie hätten wir dasein der Finsternis erkennen sollen, wo wir noch dazu vom Wein und vom Erdbeben benommen waren?«
»Aber sonst habt ihr trotz der Dunkelheit alles, was vorging, deutlich gesehen und beobachtet«, bohrte Pilatus. »Ihr seid tüchtige Burschen und macht der zwölften Legion alle Ehre.«
Seine Worte klangen so hämisch, daß die Soldaten einander ansahen, dann die Köpfe senkten und von einem Fuß auf den anderen traten. Schließlich stießen sie ihren Sprecher an, der schuldbewußt zu den Juden hinüberschaute und stammelte: »Nun, eigentlich …« Dann wiederholte er: »Eigentlich …« Aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken.
»Gestatte, Herr«, begann ich. Doch Pilatus winkte mir zu schweigen und verkündete seine Entscheidung.
»Ich habe den Bericht dieser vertrauenerweckenden Männer angehört, und gewichtige Gründe veranlassen mich zu der Annahme, daß sie rückhaltlos die Wahrheit sagten. Auch unsere jüdischen Freunde sind zufriedengestellt und verzichten auf eine Sühne. Ich sehe also keinen Anlaß, persönlich in Fragen der soldatischen Zucht innerhalb der Legion einzugreifen. Habe ich recht gesprochen?«
Die jüdischen Ältesten bestätigten wie aus einem Munde: »Wirklich sehr recht!« Und die Soldaten trampelten beifällig und riefen: »Richtig hast du gesprochen! Mögen die Götter Roms und unsere Götter dir alles Gute bescheren!«
Der Prokurator sagte: »Nun, ich habe also die Sache vollkommen geklärt und halte sie für abgeschlossen. Falls aber jemand noch etwas vorzubringen hat, möge er es jetzt tun und nicht später.«
»Gestatte mir eine Bemerkung!« bat ich. Dieses Zerrbild einer Untersuchung schien mir eher eine Szene aus einer derben oskischen Komödie als eine wirkliche Begebenheit.
Mit vorgetäuschter Verwunderung wandte Pilatus sich zu mir und fragte: »Ach, du bist also auch die ganze Zeit über dort gewesen und hast alles miterlebt?«
»Natürlich nicht«, entgegnete ich. »Das behaupte ich auch keineswegs. Aber du selbst hast mich nachher als Zeugen hingeschickt; du selbst wolltest, ich möge feststellen, was sich zugetragen hat.«
»Gesehen hast du also nichts«, wehrte der Statthalter ab. »Die Soldaten dagegen waren Augenzeugen, und du tätest also besser, über Dinge, die dir unbekannt sind, nicht zu reden. Als ich dich hinschickte, war ich der Meinung, die Soldaten wären fahnenflüchtig geworden und der gute Ruf der Legion könnte in Gefahr kommen. Aber da stehen ja die Ausreißer, fromm wie Lämmer, und haben alles offen einbekannt.«
Mit einer spöttischen Verbeugung erhob er sich, um den Juden zu zeigen, daß er von ihnen genug hatte. Sie dankten ihm und zogen sich zurück. Als sie durch den Torbogen verschwanden, wollten auch die Soldaten sich entfernen. Doch der Prokurator winkte ihnen lässig und befahclass="underline" »Wartet ein bißchen!« Dann wandte er sich an den Festungskommandanten mit den Worten:
»Aus deiner finsteren Miene schließe ich, daß der Schatzmeister des Hohenpriesters es nicht nötig fand, sich deiner Freundschaft zu versichern. Wie schön gesagt, es ist nicht meine Sache, in disziplinare Angelegenheiten der Legion einzugreifen. Ich habe mich zwar diesen Burschen gegenüber nachsichtig erwiesen; aber das braucht dich nicht daran zu hindern, gegen sie geeignete Verfügungen zur Wahrung der Zucht zu treffen. Meiner Meinung nach wäre es angezeigt, sie vorerst einmal in Haft zu setzen, damit sie darüber nachdenken können, was tatsächlich vorgefallen ist.«
Mit leiser Stimme fügte er hinzu: »Ebenso spricht nichts dagegen, daß du feststellst, wieviel Geld der jüdische Rat ihnen als Unterpfand für die Wahrheitsliebe gegeben hat.«
Das angespannte Gesicht des Kommandanten ging in einem fröhlichen Grinsen auseinander. Er gab einige Befehle, und ehe die Wachsoldaten recht begriffen, wie ihnen geschah, waren sie entwaffnet. Man führte sie in den Arrestkeller hinunter, und der Kommandant folgte, um sich zu vergewissern, daß die Geldbeträge, die sie bei sich trugen, einwandfrei gezählt würden.
Als sie gegangen waren, lächelte der Prokurator vor sich hin und sagte: »Adenabar, du bist selbst ein Syrer. Geh jetzt und versuche, aus diesen Halunken herauszubekommen, was sie wirklich gesehen haben!«
Steifbeinig stieg Pilatus die Treppe hinauf und winkte mir höchst leutselig, ihm zu folgen. Ich ging mit in seinen Amtsraum. Er befahl den anderen, sich zurückzuziehen, setzte sich stöhnend hin, rieb seine Knie, erlaubte auch mir, Platz zu nehmen, und sagte anspornend: »Sprich! Ich merke es dir an, daß du vor Mitteilungsdrang am Bersten bist.«
Zerstreut zog er einen Lederbeutel hervor, riß die versiegelte Schnur auf und ließ sich die mit dem Kopf des Tiberius geprägten Münzen aus purem Gold in die Hand und durch die Finger gleiten.
»Herr«, sagte ich nach kurzer Überlegung, »ich weiß nicht, warum du so gehandelt hast, wie du es eben tatest; aber ich nehme an, du hast deine Gründe dafür. Es steht mir nicht zu, Maßnahmen zu bekritteln, die du als römischer Amtsträger ergreifst.«
Er klimperte mit den Goldmünzen und antwortete: »Wie ich dir eben andeutete, habe ich schwerwiegende Gründe dafür – die gewichtigsten Gründe auf Erden, solange die Welt bleibt, wie sie ist. Du weißt selbst, daß die Zensoren jetzt den Statthaltern auf dem Nacken sitzen. In den Provinzen reich zu werden, ist heutzutage nicht mehr so leicht wie zu Zeiten der Republik. Aber wenn die Juden mir, aus purer Freundschaft, mit Gewalt Geschenke aufzwingen, wäre ich verrückt, sie abzulehnen. Ich muß an meine alten Tage denken. Selbst bin ich nicht begütert, und Claudia hält auf dem, was ihr gehört, fest die Daumen. Soviel ich weiß, bist du so wohlhabend, daß du mir sicherlich meine Geschenke nicht neiden wirst.«
Natürlich beneidete ich ihn um nichts; aber ich war derart erfüllt von dem in Jesu Grab Gesehenen, daß ich ausrief: »Solange die Welt bleibt, wie sie ist – hast du gesagt. Ich glaube, sie wird nicht lange so bleiben. Denn der Judenkönig, den du gekreuzigt hast, ist von den Toten auferstanden. Das Erdbeben hat den Stein vom Grufteingang weggeschoben, und der Tote ist aus seiner Umhüllung von Grablinnen und Schweißtuch herausgeglitten und hat seine Felskammer verlassen. So war es wirklich – da mögen die Legionäre lügen und die Juden schwatzen, so viel sie wollen.«
Pilatus blickte mich forschend an, ohne seine eigenen Gedanken preiszugeben. Ich erzählte ihm, was Adenabar und ich festgestellt hatten, als wir den Boden vor dem Grab und dann die Gruft selbst untersuchten. »Die übereinandergewickelten Lagen des Linnens waren unversehrt und klebten noch zusammen«, rief ich. »Um dieses Beweismittel zu vernichten, haben die jüdischen Ältesten die Grabtücher wütend auseinandergerissen. Sonst hättest du dich selbst überzeugen müssen, daß Jesus, seiner Voraussage gemäß, am dritten Tage von den Toten auferstanden und aus dem Grab gestiegen ist. Adenabar kann meine Angaben bestätigen.«
Pontius Pilatus lächelte mit unverhohlenem Spott und meinte: »Hast du dir wirklich vorgestellt, ich würde mich so weit erniedrigen, selbst hinzugehen und mir die Taschenspielerstücke der Juden anzugucken?« Er sagte in derart mitleidigem Töne, daß ich einen Moment lang dem eigenen Augenschein mißtraute und mir alle die Gauklerstücke ins Gedächtnis rief, mit denen in Ägypten einfältige Leute betört werden.
Der Statthalter tat die Münzen wieder in den Beutel, zog die Verschlußschnur zu und schleuderte den Beutel beiseite, daß es klirrte. Dann sagte er in ernstem Töne: »In Wirklichkeit bin ich mir ja völlig im klaren darüber, daß die Wachsoldaten sich diese Geschichte, als Gegenleistung für jüdische Bestechungsgelder, aus den Fingern gesogen haben. Kein Legionär schläft auf seinem Posten, wenn er das Siegel der eigenen Truppe zu bewachen hat. Überdies sind die Syrer von Natur aus so abergläubisch und nachtscheu, daß sie es schon deshalb kaum gewagt hätten einzuschlafen. Gewiß, es muß, wie du sagtest, das Erdbeben gewesen sein, das den Grufteingang freilegte. Was ich aber wissen möchte, ist, wie die Dinge sich nachher abspielten.«