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Während er sprach, hatte ich Honigwein getrunken und Backwerk gegessen. Der Wein stieg mir belebend zu Kopf, und ich vergalt meinem Gastgeber lachend seinen Spott von vorhin: »Wozu dieser Wortschwall und diese Leidenschaftlichkeit, wenn die Sache wirklich so belanglos ist, wie du behauptest?«

Er erklärte: »Glaube mir: Messiasanwärter kommen und gehen; aber unser Gott bleibt ewig, und der Tempel sammelt alle Juden, nun und immerdar. Wir haben Ursache, den Römern dankbar zu sein, die unsere glaubensbedingte Sonderstellung unter den Völkern erkannt haben und uns Selbstverwaltung gewähren. Beide Kaiser, Augustus und Tiberius, waren uns gnädig und haben unseren Beschwerden Gehör geschenkt, so daß unsere Lage jetzt gefestigt ist. Ja, es geht dem Lande unter der römischen Herrschaft und Zivilisation besser, als wenn wir ein unabhängiger Staat wären und für ein stehendes Heer und für ständige Kriege mit neidischen Nachbarn Geld ausgeben müßten. Heute haben wir Förderer und Fürsprecher in jeder bedeutenden Stadt der Erde, sogar in Gallien und Britannien und an den skythischen Küsten; denn auch die Barbaren schätzen unser Geschick als Kaufleute. Ich beschäftige mich zum Zeitvertreib mit der Ausfuhr von Obst und Nüssen nach Rom. Mein einziger Kummer ist, daß wir keine eigene Flotte besitzen, weil wir Juden aus irgendwelchen Gründen eine Scheu vor dem Meer haben. Aber zum Tempel wird jeder fromme Jude, wenn er es körperlich vermag, immer wieder reisen, um sein Opfer darzubringen; und mit diesen Pilgern fließt unserem Tempel in Form von Weihegeschenken stets wachsender Reichtum zu. Darum wirst du vielleicht verstehen, daß wir nicht untätig zusehen können, wenn die Leute durch Königsträume aus dem Gleichgewicht gebracht werden.«

Ihm schien viel daran zu liegen, mich davon zu überzeugen, daß die Politik des Hohen Rates richtig war. Er beugte sich näher zu mir und fuhr fort: »Aber bei allem Wohlstand leben wir am Rande eines Abgrunds. Jeder habgierige Statthalter kann sich darauf einstellen, in unserem Lande durch Entzweiung zu herrschen, also etwa machtgierigen Männern aus unserem Volke ein gewisses Maß an Unterstützung zu gewähren und uns dann plötzlich der Widersetzlichkeit und Auflehnung zu zeihen, so daß er unsere Selbstverwaltung einschränken und den Tempelschatz plündern kann. Es liegt in unserem und eigentlich auch in Roms wohlverstandenem Interesse, daß die gegenwärtige Lage erhalten bleibt und noch gefestigt wird, indem man dem politisch unvoreingenommenen Hohen Rat alle Unterstützung zuteil werden läßt.

Was dieser Hohe Rat ist, wirst du vielleicht am besten verstehen, wenn ich dir sage, daß er etwa dem römischen Senat entspricht und sich durch eigene Zuwahl ergänzt. Dem Rat gehören die Hohenpriester an, ferner die hervorragendsten Schriftgelehrten und, als Laienmitglieder, jene Männer, die wir die Ältesten nennen, obwohl sie keineswegs alle alt sind, sondern durch Geburt oder Vermögen die Anwartschaft auf diese Würde besitzen. Das Volk selber ist politisch ungeschult, und wir können ihm kein Mitspracherecht einräumen. Deshalb müssen wir jeden aus den unteren Schichten kommenden Versuch, ihre politischen Rechte zu erweitern oder eine vom Volk getragene Monarchie wieder einzuführen, im Keime ersticken, so harmlos ein solches Unterfangen auch aussehen mag – etwa, wenn es unter dem Deckmantel religiöser Beweggründe oder, sagen wir, aus Menschenliebe ins Werk gesetzt wird.«

Mein geringschätziges Schweigen reizte ihn offenbar, sich noch eifriger zu rechtfertigen, als hätte er doch irgendwie ein schlechtes Gewissen. Er erklärte: »Als Römer bist du nur Götterstatuen zu verehren gewohnt und kannst dir den ungeheuren Einfluß, den die Religion hier hat, nicht vorstellen. Unser Glaube ist unsere Stärke, aber gleichzeitig eine schwere Gefahr, weil die Frömmigkeit des Volkes jeden politischen Schwärmer zwingt, sich, was auch immer seine geheimen Absichten sein mögen, auf unsere heiligen Schriften zu berufen und aus ihnen darzutun, daß seine Ziele rechtmäßig sind. Nun wirst du natürlich sagen, daß dieser Jesus von Nazareth, den gerade noch vor dem Passahfest ans Kreuz zu bringen wir uns so beeilt haben, ein argloser, rechtschaffener Mann war, ein hervorragender Krankenheiler und ein großer Lehrer. Das mag zutreffen. Aber gerade solche untadeligen Idealisten, die durch ihre Persönlichkeit das Volk für ihre Neuerungspläne gewinnen, sind gefährlich. Aus politischer Unerfahrenheit glaubt ein solcher Mensch von jedem das Beste und wird zum Werkzeug von Ehrgeizlingen – von Männern, denen es nicht das geringste ausmacht, wenn unsere ganze Gesellschaftsordnung zusammenbricht und das Volk dem Zorne Roms zum Opfer fällt, sofern nur sie selber für eine Zeitlang ihrer Machtgier frönen können. Glaube mir, jemand, der sich selbst als Messias ausgibt, wird dadurch politisch zum Rechtsbrecher und verwirkt sein Leben, mag er auch, rein menschlich gesehen, noch so ehrenhaft sein.«

Er hielt inne und fügte dann rasch hinzu: »Natürlich macht er sich gleichzeitig der Gotteslästerung schuldig, auf die bei uns die Todesstrafe steht; doch für uns aufgeklärte Menschen ist das Nebensache. Hätte aber der Nazarener sich nochmals im Tempel gezeigt, während des Passahfestes, so wäre ein Aufstand ausgebrochen; Fanatiker hätten, mit ihm als Aushängeschild, selbst die Führung an sich gerissen, und es wäre Blut geflossen. Dann hätten die Römer eingegriffen, und mit unserer Selbstverwaltung wäre es vorbei gewesen. Besser, es stirbt ein Mensch, als daß das ganze Volk zugrunde geht.«

»Dieses Schlagwort habe ich schon einmal gehört«, warf ich ein.

»Denke nicht weiter an den Mann!« riet Aristainos mir eindringlich. »Wir sind nicht stolz auf seine Hinrichtung; mir persönlich tut er im Gegenteil aufrichtig leid. Anscheinend war er ja wirklich ein guter Mensch, dieser Jesus. Er hätte in Galiläa bleiben sollen; dann wäre er kaum zu Schaden gekommen. Dort haben ihn sogar die Steuereinheber gern gehabt, und der Besatzungskommandant von Kapernaum soll mit ihm befreundet gewesen sein.«

Mir wurde klar, daß ein Hinweis' auf Jesu Auferstehung diesem Mann gegenüber sinnlos gewesen wäre; er hätte nur jede Achtung vor mir verloren und mich für einen leichtgläubigen Tölpel gehalten. Ich überlegte ein wenig und sagte dann: »Du hast mich überzeugt, und ich verstehe vollkommen, daß vom jüdischen Standpunkt aus der Tod das Nazareners politisch wünschenswert war. Aber auf meinen Reisen pflege ich immer allerhand merkwürdige Begebnisse zu sammeln; da kann ich dann später die Leute mit meinem Wissen unterhalten, und vielleicht lerne ich auch selbst ein bißchen dabei. Unter anderem interessieren mich Wunderheilungen. In Antiochia habe ich als junger Mensch einen berühmten syrischen Zauberkünstler gesehen, der ganz erstaunliche Heilungen bewirkte; und auch in Ägypten gibt es Wallfahrtsorte, wo Kranke auf unerklärliche Art gesund werden. Deshalb möchte ich gern mit irgendwem, den Jesus geheilt hat, zusammenkommen und etwas über sein Verfahren dabei erkunden.«

Ich tat, als fiele mir plötzlich etwas anderes ein. »Am interessantesten wäre es natürlich, einen seiner Jünger kennenzulernen«, rief ich. »So bekäme ich aus erster Hand Mitteilungen darüber, was er von sich dachte und wo er eigentlich hinauswollte.«

Aristainos machte eine verdrossene Miene und sagte: »Seine Gefolgsleute halten sich jetzt natürlich verborgen oder sind nach Galiläa geflohen. An unmittelbaren Jüngern hatte er, soviel ich weiß, nur zwölf, von denen noch dazu einer dem Hohen Rat sein Versteck verriet. Es sind durchwegs einfache Leute, Fischer vom See Genezareth und dergleichen, bis auf einen gewissen Johannes, einen jungen Mann aus guter Familie, der vermutlich gebildet ist und griechisch spricht. Auch ein Zöllner ist übrigens unter ihnen. Also, wie du siehst, recht armselige Kerle! Ich glaube kaum, daß du viel aus ihnen herausbekommen könntest.«