Um mir zu beweisen, daß er wirklich einfach und bescheiden lebte, zeigte er mir einen Bach, aus dem er mit der hohlen Hand sein Trinkwasser schöpfte, und einige Obstbäume, von denen er selbst sich pflückte, wonach es ihn gelüstete. Er erzählte mir auch, daß seine Gattin Paulina gelernt hatte, Korn mit einer Handmühle zu mahlen und Brot zu backen. Ich kannte diese Zeichen und begriff, daß er in der ständigen Furcht lebte, vergiftet zu werden. In seiner Geldnot konnte Nero nur allzu leicht Lust auf das Vermögen seines alten Lehrers bekommen und es auch sonst aus politischen Gründen für nötig erachten, sich seiner zu entledigen. Seneca hatte noch immer allzu viele Freunde, die ihn als Philosophen und Staatsmann schätzten, obgleich er um seiner Sicherheit willen nur selten Gäste empfing.
Ich kam ohne Umschweife zur Sache und fragte Seneca geradeheraus, ob er bereit sei, nach Nero die Imperatorwürde anzunehmen und im Reiche Frieden und Ordnung wiederherzustellen. Mit der Ermordung Neros brauchte er sich nicht zu belasten. Er mußte sich nur an einem bestimmten Tag in der Stadt aufhalten, bereit, sich mit vollen Geldsäcken zu den Prätorianern zu begeben. Nach meinen Berechnungen brauchte man etwa dreißig Millionen Sesterze, damit jeder Mann zweitausend bekam und die Kriegstribunen und Zenturionen ihrem Rang entsprechend mehr.
Fenius Rufus verlangte nichts. Er setzte lediglich voraus, daß die Staatskasse ihn später für die Verluste entschädigte, die er durch Neros Willkür erlitten hatte. Es genügte dazu, daß seine Schulden innerhalb einer angemessenen Frist bezahlt wurden. Ich beeilte mich außerdem zu erklären, daß ich bereit war, einen Teil des erforderlichen Betrages zu erlegen, wenn Seneca aus Gründen der Sparsamkeit nicht für den ganzen allein aufkommen wollte.
Seneca richtete sich auf und betrachtete mich mit einem Blick, in dem von Menschenliebe nichts zu lesen war. »Dich kenne ich durch und durch, Minutus«, sagte er. »Deshalb ist mein erster Gedanke der, daß Nero dich geschickt hat, um auf listige Art meine Treue zu erproben. Dazu würdest unter allen seinen Freunden du dich am besten eignen. Offenbar weißt du aber zu viel über die Verschwörung, da du sogar Namen aufzählen kannst. Wärst du ein Verräter, so würden schon einige Köpfe gerollt sein. Ich frage dich nicht nach deinen Beweggründen. Ich frage dich nur, wer dich ermächtigt hat, dich an mich zu wenden.«
Ich gab verlegen zu, daß mich dazu niemand ermächtigt hatte, sondern daß ich selbst auf diesen Gedanken verfallen war, weil ich ihn als den besten und edelsten Mann ansah, der über Rom herrschen konnte, und weil ich mir zutraute, ihm die Unterstützung der Verschwörer zu sichern, wenn er mir nur seine Zustimmung gab. Seneca beruhigte sich und sagte: »Glaube nicht, daß du der erste bist, der sich in dieser Sache an mich wendet. Pinos engster Vertrauter, Antonius Natalis, den du kennst, war unlängst bei mir, um meinen schlechten Gesundheitszustand zu beklagen und mich zu fragen, warum ich mich so entschieden weigerte, Piso zu empfangen und offen mit ihm zu verhandeln. Ich habe jedoch keine Ursache, einen Mann wie Piso zu stützen. Deshalb antwortete ich ihm, daß Mittelmänner vom Übel seien und eine persönliche Begegnung nicht ratsam, daß aber von nun an mein eigenes Leben von Pisos Sicherheit abhänge. Und das ist wahr. Wenn die Verschwörung aufgedeckt wird, wovor der unerklärliche Gott uns alle schützen möge, so stürzt ein einziger unvorsichtiger Besuch mich ins Verderben … Nero ermorden, das ist leichter gesagt als getan«, fuhr er nachdenklich fort. »Piso hätte die beste Möglichkeit dazu in seiner Villa in Baiae. Nero besucht sie oft ohne Leibwache, um zu baden und sich zu zerstreuen. Piso aber erklärte scheinheilig, er könne das Gastrecht nicht verletzen. Als ob ein Mann vom Schlage Pisos an irgendwelche Götter glaubte! Ein Mord an Nero würde aber auch in vielerlei Hinsicht Anstoß erregen. Lucius Silanus, um nur einen zu nennen, hat sich klug genug geweigert, ein so entsetzliches Verbrechen wie den Kaisermord gutzuheißen. Den Konsul Atticus Vestinus hat Piso selbst übergangen, denn Vestinus ist ein rühriger Mann, der ernstlich versuchen könnte, die Republik wieder zu errichten. Als Konsul hätte er die Möglichkeit, nach einem Mord die Macht an sich zu reißen.«
Ich erkannte, daß Seneca mehr über die Verschwörung wußte als ich und daß er als erfahrener Staatsmann alle Lose in Fortunas Hand sorgfältig gegeneinander ausgewogen hatte. Ich bat ihn daher, mir zu verzeihen, daß ich in meiner Ahnungslosigkeit, wenngleich in bester Absicht, seine Ruhe gestört hatte, und beteuerte ihm, er dürfe wegen meines Besuches unbesorgt sein, da ich nachweisbar Geschäfte in Praeneste hätte und es nur natürlich sei, daß ein Schüler bei solcher Gelegenheit seinen ehemaligen Lehrer aufsuche, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
Ich hatte den Eindruck, daß Seneca letztere Bemerkung mißbilligte und mich nicht als seinen Schüler betrachten mochte. Er sah mich jedoch mitleidig an und erwiderte: »Ich will dir nur dasselbe sagen, was ich Nero zu lehren versuchte. Durch Verstellung und Liebedienerei kann man seine wirklichen Eigenschaften eine Zeitlang verbergen. Zuletzt aber wird die Komödie durchschaut und das Schaffell fällt vom Wolfe. Nero hat Wolfsblut in den Adern, mag er auch ein Schauspieler sein, und auch du, Minutus, hast es, obgleich von einem feigeren Wolf.«
Ich wußte nicht, ob ich mich durch seine Worte geschmeichelt oder gekränkt fühlen sollte, und fragte so beiläufig wie möglich, ob er glaube, daß Antonia an der Verschwörung teilhabe, und wenn ja, ob sie Piso stützte. Seneca schüttelte bekümmert seinen struppigen Kopf und sagte warnend: »An deiner Stelle würde ich Aelia Antonia nicht trauen. Der bloße Name erschreckt mich. In ihr strömt das verderbte Blut zweier uralter, gefährlicher Geschlechter zusammen. Über ihre Jugend weiß ich Dinge, von denen ich nicht sprechen mag. Ich warne euch nur. Nehmt sie, bei allen Göttern, nicht in die Verschwörung auf. Sie ist noch machtlüsterner als Agrippina, die trotz allen Verbrechen noch ihre guten Seiten hatte.«
Senecas Warnung gab mir einen Stich in die Brust, aber ich war vor Hebe blind und dachte, aus ihm spreche nur der Neid. Ein Staatsmann, der vor der Zeit beiseite geschoben wird, ist bitter gegen alle, und auch als Philosoph war Seneca wohl vom Leben enttäuscht. In seiner Mannesblüte war er keineswegs so sittenstreng gewesen, wie er die Leute nun gern glauben machte, und von Verstellung zu sprechen, stand ihm wohl an, denn diese Kunst beherrschte er selbst am besten.
Als wir uns trennten, gab er aufrichtig zu, daß er für sich selbst im Falle eines Staatsstreichs keine großen Möglichkeiten sehe. Er sei jedoch bereit, sagte er, an einem gewissen Tag nach Rom zu kommen, nur um zugegen zu sein und notfalls auch Piso zu unterstützen, da dieser sich ohnehin durch seine Eitelkeit und Verschwendungssucht über kurz oder lang unmöglich machen werde. Danach könnte der Augenblick vielleicht für ihn, Seneca, günstig sein.
»In Lebensgefahr schwebe ich nun ohnedies«, sagte er mit einem bitteren Lächeln. »Ich begebe mich daher in keine besondere Gefahr, wenn ich mich in Rom zeige. Kommt Piso an die Macht, so habe ich damit bewiesen, daß ich auf seiner Seite stehe. Wird die Verschwörung aufgedeckt, was ich befürchte, da ihr zu lange säumt, bin ich in jedem Fall des Todes. Aber der Weise fürchtet den Tod nicht. Er ist eine Schuld, die der Mensch eines Tages bezahlen muß, und es ist einerlei, ob dies früher oder später geschieht.«
Mir aber war gerade das nicht einerlei. Daher setzte ich mutlos meinen Weg nach Praeneste fort und dachte über seine unheilverkündenden Worte nach. Es schien mir das beste zu sein, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, daß die Verschwörung aufgedeckt wurde. Der Weise legt nie alle seine Eier in denselben Korb.
Ich bin nach wie vor der Meinung, der Aufruhr hätte mit Hilfe der Legionen in den Provinzen eingeleitet werden müssen, und nicht in Rom. Das hätte freilich Blut gekostet, doch dafür bekommen die Soldaten schließlich ihren Sold. In Rom hätte sich dafür niemand der Gefahr auszusetzen brauchen. Aber Eitelkeit, Selbstsucht und Ehrgeiz sind allezeit stärker als die gesunde Vernunft.