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Ich mochte nicht nach Hause gehen, ich mochte Claudia nicht sehen, und nicht einmal Dich, mein Sohn. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich in den Gärten auf dem Palatin umherwanderte. Eine Zeitlang stand ich an eine vom Feuer versengte uralte Pinie gelehnt, die mit unglaublicher Lebenskraft noch immer grünte. Ich blickte nach Ost und West, nach Nord und Süd. Selbst wenn dies alles eines Tages mein gewesen wäre, ich hätte das ganze Erdenrund gegeben für einen einzigen Kuß Antonias und alle Perlen Indiens für die Weiße ihrer Glieder. So wunderbar verblendet den Menschen die Liebe. Dabei war Antonia älter als ich und ihre üppige Blüte lang vorbei. Ihr schmales Gesicht trug die Furchen des Leids und der Erfahrung, und sie hätte da und dort ein wenig fülliger sein dürfen. In meinen Augen aber erhöhte diese Magerkeit nur ihren Zauber. Das Zittern ihrer Nasenflügel, die jähen Bewegungen ihres Kopfes … Schöneres habe ich in meinem Leben nicht gesehen.

Ich blickte in meiner Verzückung auf das Forum nieder, auf seine uralten Bauten, auf das neue Rom, das aus Asche und Ruinen entstand, auf Neros Arkaden und das Goldene Haus drüben auf dem Esquilin, das im Sonnenaufgang glänzte. An Grundstücksgeschäfte dachte ich in diesem Augenblick eigentlich nicht, aber es fiel mir doch ein, daß mein altes Haus auf dem Aventin zu eng geworden war und daß ich mir um Deinetwillen in naher Zukunft eine neue Wohnstatt schaffen mußte, so nah wie möglich beim Goldenen Haus.

Ich wandte mich ab und stieg den Palatin hinunter, um zum Goldenen Haus hinüberzugehen und bei Neros Morgenempfang um Vortritt zu bitten. Wenn ich Antonia schon anzeigen mußte, so durfte mir kein anderer zuvorkommen. Beim Gedanken an den Wahnwitz des Lebens lachte ich laut auf, so daß ich bald weinend, bald lachend dahinging, wie ein Mensch, dessen Sinne sich verwirrt haben. Und plötzlich rief ich: »Die Welt ist sinnlos!« als hätte ich eine neue, überraschende Wahrheit entdeckt. Die höchste Weisheit schien es mir jedenfalls in meiner Verfassung zu sein, obwohl ich mich später wieder beruhigte und auf andere Gedanken kam.

Ich erschrak, als ich die im Empfangssaal Wartenden begrüßte, denn sie schienen mir alle Tierköpfe auf den Schultern zu tragen. Es war ein so überraschender Anblick, daß ich mir mit der Hand über die Augen fahren mußte. In dem von Silber und Elfenbein schimmernden Saal, dessen Boden ein riesiges Mosaik zierte, das ein Festmahl der Götter darstellte, waren viele Menschen versammelt, um geduldig zu warten, bis sie – manche erst gegen Mittag – einen Schimmer von Nero erhaschen durften. Die ganze Tierwelt war unter ihnen vertreten, von Kamelen und Igeln bis zu Stieren und Schweinen. Tigellinus glich in meinen Augen so sehr einem mageren Tiger, daß ich mir, als ich ihn begrüßte, mit der flachen Hand vor den Mund schlagen mußte, um nicht laut zu lachen. Dieses seltsame Trugbild, gewiß eine Folge der durchwachten Nacht, der Erschöpfung von der Liebe und des Aufruhrs, der in mir herrschte, zerrann, als ich vor allen anderen in Neros Schlafgemach eingelassen wurde, weil ich meine Angelegenheit als äußerst wichtig dargestellt hatte. Nero hatte Acte als Bettgenossin. Das zeigte mir, daß er seiner Laster müde geworden war und zu natürlichen Gewohnheiten zurückkehren wollte, was ja bisweilen vorkommt.

Nero sah ich nicht als Tier. Er dünkte mich vielmehr ein leidender, vor grenzenlosem Mißtrauen verzweifelter Mensch oder besser noch als ein verwöhntes Kind, das nicht verstehen konnte, warum andere es böse nannten. Er wollte doch allen wohl und war zudem ein großer Sänger, vielleicht der beste seiner Zeit, wie er selbst aufrichtig glaubte. Ich kann es nicht beurteilen, denn ich bin eher unmusikalisch.

Wie dem auch sei: als ich eintrat, machte Nero wie jeden Morgen gerade seine Stimmübungen. Sein Gesang drang, von Gurgeln unterbrochen, durch das ganze Goldene Haus. Nero wagte nicht einmal Obst zu essen, weil ihm irgendein Arzt gesagt hatte, es sei nicht gut für die Stimme. Meiner Meinung nach sind aber Äpfel oder Weintrauben, am Morgen zu dem üblichen Honigbrot genossen, sehr erfrischend, und außerdem fördern sie die Verdauung, was für Menschen, die auch in fortgeschrittenem Alter noch eine reichgedeckte Tafel schätzen, wichtig ist.

Als ich nun mit zitternder Stimme Antonias Namen hervorstammelte, bekam Nero sein salziges Gurgelwasser in die falsche Kehle. Er hustete so, daß er schon zu ersticken glaubte. Acte mußte ihm auf den Rücken klopfen, und er wurde wütend und jagte sie hinaus.

»Was sagst du da über Antonia, verfluchter Verräter?« fragte Nero, als Acte gegangen war und er wieder sprechen konnte.

Ich gestand zitternd, daß ich ihm bisher Antonias Teilnahme an der Verschwörung verschwiegen hätte – aus Achtung vor ihrem Vater, dem Kaiser Claudius, der seinerzeit, als ich die Toga anlegte, bei mir Pate gestanden war und mir den Namen Lausus gegeben hatte. Nun lasse mir aber mein Gewissen keine Ruhe, und ich könne, um Neros Sicherheit willen, nicht mehr schweigen.

Ich warf mich auf die Knie nieder und erzählte, daß mich Antonia oft zur Nachtzeit habe rufen lassen und daß sie versucht habe, mich zur Teilnahme an der Verschwörung zu bewegen, indem sie mir reichen Lohn und hohe Ämter in Aussicht stellte. Sie sei der Meinung gewesen, daß ich als Freund Neros Gelegenheit hätte, einen Mord mit Gift oder Dolch zu planen.

Um Salz in die Wunde zu streuen, behauptete ich außerdem, Antonia habe versprochen, nach dem Staatsstreich die Gemahlin Pisos zu werden. Wie ich schon sagte, ging dieses unsinnige Gerücht wirklich in Rom um, und ich wußte, daß es mehr als alles andere danach angetan war, Neros Eitelkeit zu kränken. Antonia hatte ja Nero abgewiesen.

Er wollte mir jedoch noch immer nicht glauben. Es schien über seinen Verstand zu gehen, daß sich Antonia einer so unbedeutenden Person anvertraut hatte, wie ich es in seinen Augen war.

Er ließ mich unverzüglich festnehmen und unter Bewachung des diensthabenden Zenturios des Palastes in einen noch unvollendeten Saal sperren, in dem ein berühmter Handwerker an einem prachtvollen Gemälde arbeitete, das den Zweikampf Achills und Hektors vor den Mauern Trojas darstellte. Nero war ja aus julischem Geschlecht und wollte seine Gäste gern daran erinnern, daß seine Abstammung auf ein unziemliches Verhältnis zwischen dem Troer Aeneas und der Venus zurückging. Deshalb mißachtete er auch den Tempel des Vulcanus und äußerte sich stets nur geringschätzig über den Gott. Die einflußreiche Zunft der Schmiede nahm ihm das sehr übel.

Der Geruch der Farbe reizte mich ebenso sehr wie das selbstgefällige Benehmen des Malers. Ich durfte mich nicht einmal halblaut mit meinem Bewacher unterhalten, denn das hätte ihn bei seiner wichtigen Arbeit stören können. Im übrigen kränkte es mich, daß Nero mir nicht einen Kriegstribunen als Wache gegeben hatte, sondern daß ich mich mit der Gesellschaft eines Zenturios begnügen mußte. Er war aber wenigstens römischer Ritter, und ich hätte mich mit ihm, um mir die Zeit zu vertreiben und meine Unruhe zu lindern, über Pferde unterhalten können, wenn der Handwerker nicht so eingebildet gewesen wäre.

Ich wagte es jedoch nicht, ihn zu verunglimpfen, denn er stand hoch in Neros Gunst. Nero behandelte ihn mit herablassender Achtung und hatte ihm das Bürgerrecht verliehen. Deshalb malte er immer in der Toga, so lächerlich das auch aussah. Nero hatte sogar einmal die Absicht geäußert, ihn in den Ritterstand zu erheben, aber zum Glück hatte er diesen wahnwitzigen Gedanken wieder fallengelassen. Ein farbiger Tierbändiger wie Epaphroditus, das mochte noch angehen, aber ein Handwerker, der Bilder malt … Nein, es hat alles seine Grenzen. Das sah sogar Nero ein.

Ich mußte bis zum Nachmittag warten, aber Nero schickte mir Speisen von seiner eigenen Tafel, und ich machte mir daher keine allzu großen Sorgen. So leise wie möglich würfelte ich mit dem Zenturio, und wir tranken reichlich Wein, obgleich er es nicht wagte, sich einen Rausch anzutrinken, weil er im Dienst war. Ich benützte die Gelegenheit, um Claudia Nachricht zu senden, daß man mich als Verdächtigen festhielt.