Nero brach vor Erleichterung in ein so gewaltiges Gelächter aus, daß es seinen gedrungenen Körper schüttelte und ihm die Tränen in die Augen traten. Er schickte nicht gern jemanden auf einen bloßen Verdacht hin in den Tod, am allerwenigsten seine wirklichen Freunde.
»Minutus, Minutus«, sagte er tadelnd, als er wieder zu sprechen imstande war. »Es ist keine Schande, Jude zu sein. Du weißt, wieviel jüdisches Blut im Laufe der Jahrhunderte in unsere vornehmsten Familien eingedrungen ist. Um meiner geliebten Poppaea willen kann ich die Juden nicht für schlechter halten als andere Menschen. Ich dulde sie sogar in den staatlichen Ämtern, innerhalb vernünftiger Grenzen, versteht sich. Wo ich herrsche, sind alle Menschen, als Menschen betrachtet, gleich, seien sie nun Römer oder Griechen, schwarz oder weiß. Daher habe ich auch nichts gegen die Juden.«
Ich stand auf und gab mir den Anschein tiefer Verlegenheit. »Wenn das alles wäre, würde ich nicht gezögert haben, meine Gattin dir und meinen anderen Freunden vorzustellen«, sagte ich bekümmert. »Zu alledem stammt sie aber auch noch von Sklaven ab. Ihre Eltern waren elende Freigelassene der Mutter des Claudius, also gewissermaßen deiner Großmutter. Deshalb heißt sie Claudia. Du wirst nun verstehen, weshalb ich mich ihrer schäme. Vielleicht wollte Antonia dem Knaben zur Erinnerung an ihre Großmutter ein paar billige Schmuckstücke hinterlassen. Daß er Antonianus heißen soll, war der Wunsch meiner Gattin Claudia.«
Nun spielte ich den Zornigen und sagte: »Im übrigen meine ich, es ist die reine Bosheit, daß Antonia meinen Sohn in ihrem Testament bedacht hat. Sie wollte, daß man mich verdächtigt, denn sie wußte, daß ich Scevinus, Piso und andere angezeigt hatte; daß ich, von meinem Gewissen getrieben, um deiner Sicherheit willen eines Tages sie selbst anzeigen würde, konnte sie damals freilich noch nicht ahnen. Wahrhaftig, ich bereue es jetzt nicht mehr.«
Nero runzelte die Stirn und dachte nach. Da ich bemerkte, daß sein Mißtrauen von neuem erwachte, fuhr ich rasch fort: »Es ist das beste, ich gestehe dir auch gleich, daß ich zum Glauben der Juden neige. Das ist kein Verbrechen, wenngleich unpassend für einen Mann in meiner Stellung. Aber meine Gattin ist sehr starrsinnig. Sie zwingt mich, die Julius-Caesar-Synagoge aufzusuchen. Das tun aber auch andere Römer. Die Mitglieder dieser Synagoge scheren sich den Bart, kleiden sich wie andere Menschen und gehen ins Theater.«
Nero starrte mich noch immer finster an. »Deine Erklärung klingt recht glaubwürdig«, sagte er, »nur hat Antonia leider diesen Zusatz zu ihrem Testament schon vor mehr als einem halben Jahr beurkunden lassen. Damals konnte sie noch nicht ahnen, daß du die Verschwörung des Piso verraten würdest.«
Ich sah ein, daß ich noch mehr gestehen mußte, und war dazu bereit, obgleich ich mich noch eine Weile wand, um Nero nicht durch eine allzu plötzliche Offenherzigkeit in seinem Mißtrauen zu bestärken. Er glaubte felsenfest, daß alle Menschen etwas vor ihm verbargen. Ich blickte daher zu Boden, scharrte mit dem einen Fuß auf einem Mosaik, das Mars und Venus zeigte, die einander umarmten und im Kupfernetz des Vulcanus gefangen waren, und ausgezeichnet zu meiner Lage paßte, knetete verlegen meine Hände und brachte kein Wort hervor, bis Nero plötzlich schrie: »Sag mir augenblicklich alles, sonst lasse ich dir deine nagelneuen roten Schnürstiefel abnehmen! Daß der Senat nichts dagegen einzuwenden hätte, weißt du selbst am besten!«
»Ich verlasse mich auf deinen Edelmut und dein Taktgefühl!« rief ich. »Behalte mein schändliches Geheimnis für dich, und sprich davon nicht zu meiner Gattin. Ihre Eifersucht ist unerträglich. Sie ist in dem gewissen Alter, und ich verstehe selbst nicht mehr, wie ich ihr ins Garn gehen konnte.«
Nero witterte eine anzügliche Geschichte. Er leckte sich die Lippen und sagte: »Es heißt, die Jüdinnen hätten im Bett ihre besonderen Vorzüge. Außerdem wirst du ihre jüdischen Verbindungen schon für deine Zwecke ausgenutzt haben. Mich führst du nicht hinters Licht. Ich verspreche dir gar nichts. Laß hören!«
Stammelnd gestand ich ihm: »In ihrem Ehrgeiz setzte meine Gattin es sich in den Kopf, wir müßten Antonia einladen, wenn ich meinem Sohn seinen Namen gab und ihn in Gegenwart von Zeugen auf meine Knie setzte und anerkannte.«
»So wie du seinerzeit Lausus anerkanntest«, bemerkte Nero spaßend. »Aber sprich weiter.«
»Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Antonia wirklich kommen würde, wenngleich der Kleine ein Enkel der Freigelassenen ihrer Großmutter ist«, sagte ich. »Damals hatte sie jedoch wenig Umgang und sehnte sich nach Abwechslung. Aus Gründen der Schicklichkeit brachte sie die Vestalin Rubria mit, die sich, nebenbei bemerkt, an diesem Abend einen Rausch antrank. Friede ihrem Andenken. Ich kann es mir nicht anders erklären, als daß Antonia irgend etwas Vorteilhaftes über mich gehört hatte und mich kennenlernen wollte. Sofern sie nicht schon damals darauf aus war, für spätere Zwecke Freunde und Anhänger zu werben! Als sie ein wenig Wein getrunken hatte, gab sie mir zu verstehen, ich sei in ihrem Haus auf dem Palatin jederzeit willkommen, am liebsten ohne meine von Sklaven herstammende Gattin.«
Nero errötete, seine Mundwinkel zuckten, und er beugte sich vor, um sich kein Wort entgehen zu lassen.
»Ich war so eitel, daß ich mich durch ihre Einladung geehrt fühlte«, fuhr ich fort. »Zugleich aber sagte ich mir, daß ich sie nur einer Weinlaune oder irgendeinem anderen, mir noch nicht bekannten Grunde verdankte. Dennoch suchte ich sie eines Abends auf, und sie empfing mich sehr freundlich … Nein, ich wage nicht weiterzuerzählen.«
»Du brauchst dich nicht zu schämen«, sagte Nero. »Ich weiß genug über deine Besuche bei ihr. Sie sollen bis zum Morgen gedauert haben. Ich habe sogar schon daran gedacht, daß Antonia deinen Sohn heimlich geboren haben könnte, aber wie ich höre, ist er ja schon sieben Monate alt. Außerdem wissen wir, daß Antonia unfruchtbar war wie eine alte Kuh.«
Mit rotem Kopf gestand ich nun also, daß Antonia mir auch im Bett große Gastfreundschaft erwiesen und an mir Gefallen gefunden hatte, so daß sie mich recht oft bei sich haben wollte. Ich aber war wegen meiner Gattin in Sorge, unser Verhältnis könnte entdeckt werden. Vielleicht, sagte ich, hatte ich Antonia in ihrer Einsamkeit so gut getröstet, daß sie deshalb meinen Sohn in ihrem Testament bedachte, da sie mir schon aus Gründen der Schicklichkeit nichts geben konnte.
Nero lachte und schlug sich auf die Knie. »Das alte Luder!« schrie er. »Hat sie sich also mit dir eingelassen! Aber du warst nicht der einzige. Ob du mir’s glaubst oder nicht: sie hat es auch mit mir einmal versucht, als ich ihr aus bloßer Freundlichkeit und um der Verwandtschaft willen ein wenig geschmeichelt hatte. Ich war natürlich betrunken. Sie hängte sich mir an den Hals, und schon hatte ich ihre spitze Nase und ihre dünnen Lippen im Gesicht. Danach streute sie das wahnsinnige Gerücht aus, ich hätte um sie geworben. Pisos Halsband zeigt ja deutlich genug, wie lasterhaft sie war. Gewiß hat sie’s auch mit Sklaven getrieben, wenn sie gerade nichts Besseres bei der Hand hatte. Da warst du ihr freilich gut genug!«
Ich ballte die Fäuste und zwang mich zu schweigen.
»Statilia Messalina hat übrigens viel Freude an Pisos Halsband«, sagte Nero. »Sie läßt sich sogar die Brustwarzen in der Farbe dieser Taubenblutrubine schminken.«
Nero war von seinen eigenen Einfällen so begeistert, daß ich mich der schlimmsten Gefahr entronnen wußte. Er war erleichtert und guter Laune, aber gerade weil er nun zum Scherzen aufgelegt war, wollte er mich für meine Geheimniskrämerei auf solche Weise strafen, daß ich in der ganzen Stadt zum Gespött wurde. Er dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ich will natürlich deine Gattin sehen und mich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß sie Jüdin ist. Ebenso will ich die Zeugen verhören, die zugegen waren, als dein Sohn seine Namen erhielt. Ich nehme an, sie sind auch alle Juden. Ferner lasse ich in der Julius-Caesar-Synagoge nachfragen, ob du wirklich so ein treuer Besucher bist. Unterdessen kannst du mir den Gefallen tun, dich der Einfachheit halber beschneiden zu lassen. Deine Gattin wird sich nur darüber freuen, und außerdem finde ich es nicht mehr als recht und billig, daß du an dem Körperteil bestraft wirst, mit dem du meine Halbschwester Antonia entehrt hast. Danke deinem Glück, daß ich so gut aufgelegt bin und dich so leicht davonkommen lasse!«