Im Haus des Hierax hatte ich Gelegenheit genug, festzustellen, daß »manche Menschen ungeschliffenen Edelsteinen gleichen, indem sie nämlich unter der rauhen Oberfläche glänzende Eigenschaften verbergen«, wie Dein bärtiger junger Freund Juvenal gerade unlängst erst schrieb, um dem Kaiser Vespasian zu schmeicheln. Ich kenne diesen Burschen durch und durch. Er hat allen Grund, nach der Gunst des Kaisers zu streben, denn seine ungebührliche Sprache und seine frechen Spottverse haben Anstoß erregt. Nicht bei mir, denn er ist ja Dein Freund. Nach der Art junger Menschen bewunderst Du den, der die loseste Zunge hat. Denk aber wenigstens daran, daß Du vier Jahre jünger bist als dieser ungewaschene Lümmel.
Wenn ich eines mit Sicherheit sagen kann, so ist es das, daß Juvenals unanständige Verse bald vergessen sein werden. Ich habe schon so manchen heller strahlenden Stern als den seinen aufflammen und wieder verlöschen sehen. Außerdem werden ihm seine alberne Trunksucht, seine Unverschämtheit, seine üble Gewohnheit, die Nacht zum Tag zu machen, und dieses ständige Geklimper mit ägyptischen Spielwerken bald noch den letzten Rest echter dichterischer Begabung austreiben, den er vielleicht noch besitzen mag.
Ich schreibe das nicht, weil Du ein Spottgedicht bei mir liegen ließest, das ein verachtungswürdiger junger Mann über mich geschrieben hat, weil ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, seine Versuche in meinem Verlag erscheinen zu lassen. Nein, so einfältig bin ich nicht. Ich mache mir nur ernste Sorgen um Dich, mein Sohn.
In Korinth gewann ich Vespasians Freundschaft in dem Maße, daß er mich, ehe er nach Ägypten reiste, um die beiden Legionen zu übernehmen, die dort in Garnison lagen, eindringlich bat, ihm meine Sachkenntnis und meine guten Beziehungen zu den Juden zur Verfügung zu stellen und ihn ins Feld zu begleiten. Ich mußte höflich ablehnen. Es handelte sich ja damals um, keinen wirklichen Krieg, sondern nur um eine Strafexpedition gegen aufrührerische Untertanen.
Als Vespasian abgereist war, ließ Nero, um seine Absichten zu tarnen, die Prätorianerlegion bei Korinth einen Kanal graben. Dieses Unternehmen war auf seinen Befehl schon früher in Angriff genommen worden, hatte aber wieder aufgegeben werden müssen, weil sich die unheimlichsten Dinge ereigneten. Die tagsüber ausgehobenen Gräben füllten sich während der Nacht mit Blut, und im Dunkeln konnte man entsetzliche Klagerufe hören, die bis in die Stadt hinüberhallten und den Korinthern Angst und Schrecken einjagten. Das ist die reine Wahrheit und kein dummes Geschwätz. Ich weiß es nämlich aus der sichersten Quelle, die es in diesem Falle gibt.
Hierax hatte im Zuge seiner glänzenden Geschäfte auch sehr einträgliche Anteile an der Gleitbahn erworben, auf der die Schiffe über die Landenge getreidelt wurden. Es versteht sich von selbst, daß die Besitzer dieser Bahn, die beträchtliche Gelder investiert hatten – nicht zuletzt in die kräftigen Sklaven, die zu dieser Arbeit erforderlich waren –, von einem Kanal nichts wissen wollten. Hierax hatte jederzeit frisches Blut in großen Mengen, denn er verkaufte in seinen wassergekühlten Fleischläden auch an Juden und mußte daher die Schlachttiere, so wie es die Juden verlangten, vollständig ausbluten lassen, bevor sie zerteilt wurden.
Aus diesem Blut, das in Blasen aufbewahrt wurde, ließ er gewöhnlich Blutwürste für die Sklaven in seiner Kupfergießerei braten. Auf den Rat seiner Geschäftsfreunde hin opferte er, ohne auf seinen eigenen Vorteil zu sehen, das während mehrerer Tage anfallende Blut und ließ es in den Nächten in die Gräben auf dem Bauplatz schaffen. Für das Seufzen und Jammern der Verstorbenen sorgten seine Geschäftsfreunde. Daß sich dergleichen leicht bewerkstelligen läßt, habe ich, glaube ich, schon berichtet, als ich erzählte, wie Tullias Haus mein gesetzliches Eigentum wurde.
Nero verriet ich selbstverständlich nichts von dem, was mir Hierax anvertraute, und ich hatte ja auch keinen Grund, den Kanalbau zu unterstützen. Als sich die Prätorianer weigerten weiterzuarbeiten, weil die unheimlichen Geschehnisse sie erschreckten und körperliche Arbeit ihnen außerdem zuwider war, setzte es sich Nero erst recht in den Kopf, seinen Plan auszuführen, und grub unter großen Festlichkeiten mit eigenen Händen die erste Grube in der zukünftigen Fahrrinne. Die Prätorianer und das Volk von Korinth sahen ihm zu.
Auf seine eigenen kaiserlichen Schultern hob er den ersten Korb Erde und trug ihn tapfer an das zukünftige Kanalufer. Diese Grube füllte sich nicht mit Blut, und das nächtliche Klagegeschrei hörte auf. Die Prätorianer faßten wieder Mut und gruben weiter, und die Zenturionen erleichterten ihnen die Arbeit mit Stockhieben, um selbst nicht zur Schaufel greifen zu müssen. Das trug dazu bei, daß die Prätorianer Nero noch bitterer zu hassen begannen als den strengen Tigellinus, der sie durch gewöhnliche Übungsmärsche bestrafte. Sie gaben eben ihre letzten Kräfte lieber draußen auf den Straßen her als am Spatenstiel.
Ich selbst hatte nach gründlicher Überlegung Hierax gebeten, kein Blut mehr in die Gräben schütten zu lassen. Meine wahren Gründe gab ich nicht preis. Ich riet ihm nur, um seiner eigenen Gesundheit willen den Verlust wie ein Mann zu tragen. Hierax befolgte meinen Rat um so lieber, als der mißtrauische Nero dazu übergegangen war, in der Nacht Wachen aufzustellen, die alle Unbefugten am Betreten des Kanalgeländes hinderten.
Hierax und seine jüdischen Verbindungen in Korinth brachten mir großen Nutzen. Ich hatte nämlich, gleich als die Nachricht vom Untergang der Legion in Judäa eintraf, allen Judenchristen eine, Warnung zugehen lassen und ihnen geraten, sich still zu verhalten, denn Nero sandte damals nach Italien und in alle Provinzen den Befehl, jeden jüdischen Aufwiegler beim geringsten Anzeichen von Unruhen sofort festzunehmen und hinzurichten.
Man konnte von einem römischen Beamten nicht gut verlangen, daß er zwischen dem himmlischen und dem irdischen Reich oder zwischen einem Christus und irgendeinem anderen Messias unterschied. Ein Aufwiegler war ein Aufwiegler. Für den Verstand eines Römers war das Wirken der Judenchristen nichts anderes als politische Hetze unter einem religiösen Deckmantel. Die Sache wurde dadurch nicht besser, daß Nero nach zahllosen Schnellverfahren und Hinrichtungen öffentlich als der Antichrist bezeichnet wurde, dessen Kommen Jesus von Nazareth prophezeit hatte. Nero nahm ihnen allerdings diesen Spitznamen nicht übel, sondern stellte lediglich fest, daß die Christen ihn offensichtlich als einen ihrem Christus ebenbürtigen Gott betrachteten, da sie ihn durch einen so großartigen Namen ehrten.
Im Grunde ist die Schwäche der Christen gerade darin zu sehen, daß sie die Politik verachten, sich jeder politischen Betätigung enthalten und ihre Hoffnung auf ein unsichtbares Reich richten, das nach allem, was ich davon verstehe, keine Gefahr für den Staat bedeutet. Deshalb haben sie, nun da ihre Führer tot sind, keine Zukunft auf dieser Welt. Ihr Glaube wird bald ganz verschwunden sein, nicht zuletzt, weil sie fortwährend Streit miteinander haben und der eine dies glaubt und der andere das und jeder seinen Glauben für den einzig richtigen hält. Das ist meine feste Überzeugung, was immer Deine Mutter behaupten mag. Eine Frau hat keinen Sinn für die politische Wirklichkeit.
Ich habe mich oft für die Christen, die beschnittenen wie die unbeschnittenen, heiser geredet, um zu beweisen, daß sie politisch harmlos sind. Doch man kann das einem Römer mit juristischer Bildung und Erfahrenheit im Amt nicht begreiflich machen. Er schüttelt nur den Kopf und verdächtigt die Christen nach wie vor aller möglichen politischen Umtriebe.
Es gelang mir zu meinem Kummer nicht, Paulus zu retten, denn seine Ruhelosigkeit zwang ihn, unaufhörlich von einem Land ins andere zu reisen. Die letzte Auskunft über ihn erhielt ich von einem meiner Ölaufkäufer in Emporiae, einer blühenden Stadt an der Nordostküste Iberiens, deren Hafen allerdings immer mehr versandet. Dort wurde Paulus von den rechtgläubigen Juden verjagt. Meinem Gewährsmann zufolge kam er jedoch einigermaßen mit heiler Haut davon.