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Er musterte mich mit einem schlauen Blick, aber ich kannte seine kleinen Finten nun schon zur Genüge und antwortete daher, dem Wohl des Staates müsse die Freundschaft weichen. Im übrigen habe er keinen Grund, mich zu beschimpfen, indem er mich einen Freund Neros nenne. In dieser Hinsicht brauchten wir einander nichts vorzumachen. Das Glück Roms und des Vaterlandes sei unser einziger Leitstern über diesem blutigen Schlachtfeld, wo die Leichen ihren Gestank verbreiteten, die Aasvögel sich mästeten und einige Legionäre wie an der Sonne getrocknete Ledersäcke von den Mauern Jerusalems niederhingen. Ich hob die Stimme in rhetorischer Steigerung, wie ich es von meinen Reden im Senat her gewohnt war. Vespasian schlug mir mit seiner großen Bauernhand freundlich auf die Schulter und versicherte, er zweifle nicht an meinen ehrenhaften Beweggründen und wisse, daß ich ein unerschütterlicher Freund des Vaterlandes sei. Er habe natürlich nicht gemeint, ich würde mich in den Schutz der Mauern Jerusalems schleichen, um den Juden seine militärischen Geheimnisse zu verraten. Nein, für so verrückt halte er mich nicht. Aber auf der Folterbank könne manchmal auch der Stärkste nicht schweigen. Die Juden hätten bewiesen, daß sie sehr geschickte Verhöre zu führen verstanden. Er betrachte es als seine vornehmste Pflicht, mein Leben zu beschützen, da ich mich nun einmal freiwillig unter seinen Schutz gestellt hätte.

Dann machte er mich in aller Freundlichkeit mit seinem Ratgeber Josephus bekannt, einem der Führer des jüdischen Aufstandes, der seine Kameraden verraten hatte, nachdem sie alle gemeinsam beschlossen hatten, Selbstmord zu begehen, um nicht den Römern in die Hände zu fallen. Josephus hatte seine Kameraden sterben lassen und sodann sich selbst ergeben und sein Leben gerettet, indem er Vespasian prophezeite, er werde eines Tages Kaiser sein. Zum Scherz hatte Vespasian ihm goldene Ketten anlegen lassen und versprochen, ihn freizugeben, sobald sich die Prophezeiung erfüllte. Er nahm übrigens später als Freigelassener frech den Namen Flavius Josephus an.

Ich empfand vom ersten Augenblick an nichts als Abscheu und Ekel vor diesem verachtungswürdigen Abtrünnigen und Verräter, und der literarische Ruhm, den er später erlangte, hat an meiner Meinung nichts geändert. Eher im Gegenteil. In seinem einfältigen, weitschweifigen Werk über den Aufstand der Juden überschätzt er meiner Ansicht nach die Bedeutung gewisser Ereignisse, und vor allem sind die endlosen Aufzählungen nebensächlicher Einzelheiten unerträglich langweilig.

Mein Urteil ist nicht im geringsten dadurch beeinflußt, daß er es nicht einmal für nötig hielt, meinen Namen in seinem Buch zu erwähnen, obwohl es nur mein Verdienst war, daß die Belagerung fortgesetzt wurde, nachdem ich mit eigenen Augen die Verhältnisse innerhalb der Mauern studiert hatte. Es wäre ja Wahnsinn gewesen, wenn Vespasian seine gut ausgebildeten Legionen mit vergeblichen Angriffen, auf die unerwartet starken Mauern aufgerieben hätte, da eine Belagerung und Aushungerung letzten Endes zu dem gleichen Ergebnis führten. Unnötige Verluste hätten die Legionäre nur gegen ihn aufgebracht, was für meine Zwecke nicht das Rechte gewesen wäre.

Ich habe jedoch nie nach Ruhm gestrebt, und es liegt mir nichts daran, in die Geschichte einzugehen. Deshalb macht es mir nichts aus, daß dieser verachtungswürdige Jude meine Leistungen verschwiegen hat. Ich hege niemals Groll gegen minderwertige Menschen und pflege mich nicht für Verunglimpfungen zu rächen, sofern mich nicht eine außergewöhnlich günstige Gelegenheit geradezu dazu herausfordert. Schließlich bin ich auch nur ein Mensch.

Durch Vermittlung eines meiner Freigelassenen machte ich mich sogar erbötig, die Bücher des Flavius Josephus zu verlegen, und zwar sowohl das Werk über den jüdischen Krieg als auch seine Schilderungen der Geschichte und der Sitten der Juden, so viele Unrichtigkeiten sie auch enthalten, aber Josephus ließ mir hochmütig antworten, er ziehe trotz der vorteilhaften Bedingungen, die ich ihm bot, einen jüdischen Verleger vor. Vom »Jüdischen Krieg« brachte ich dann später heimlich eine gekürzte Fassung heraus, da das Buch unerwartet gut ging. Mein Freigelassener hatte ja seine Familie und seine alte Mutter zu versorgen, weshalb ich seinen Vorschlag nicht zurückwies. Und wenn ich es nicht getan hätte, würde es eben ein anderer getan haben.

Ich erwähne diesen Josephus eigentlich nur, weil er in seiner Unterwürfigkeit zu Vespasian hielt und sich meinem Plan widersetzte. Er lachte höhnisch und behauptete, ich wüßte vermutlich nicht, in was für ein Wespennest ich meinen Kopf steckte. Wenn es mir wirklich gelänge, die Stadt zu betreten, so käme ich lebend nimmermehr heraus. Nach vielen Einwänden und Ausflüchten gab er mir aber doch einen Plan der Stadt, den ich genau auswendig lernte, während ich mir den Bart wachsen ließ.

An und für sich war ein Bart keine sichere Maskierung, da auch viele Legionäre sich nach dem Vorbild ihrer Gegner Barte wachsen ließen und Vespasian sie nicht dafür bestrafte. Er erlaubte den Legionären sogar, sich von der Prügelstrafe freizukaufen, und das war mit ein Grund für seine Beliebtheit. Außerdem konnte er gerade in diesem Punkt nicht auf strenge Einhaltung der römischen Dienstvorschriften pochen, denn sein eigener Sohn Titus hatte sich, um der schönen Berenike zu gefallen, einen seidenweichen Bart wachsen lassen. Mit der Begründung, daß ich die sicherste Stelle und einen toten Winkel suchen mußte, in dem ich die Stadt erreichen konnte, unternahm ich lange Streifzüge durch die Umgebung Jerusalems und hielt mich immer gerade noch innerhalb der Schußweite der feindlichen Bogen und Wurfmaschinen, obwohl ich natürlich Deinetwegen mein Leben nicht leichtsinnig aufs Spiel setzte. Ich trug einen dicken Harnisch und einen Helm, und diese Rüstung machte mich, da ich einiges Fett angesetzt hatte, keuchen und schwitzen. Ich magerte jedoch in diesen Tagen ab, so daß die Riemen zuletzt nicht mehr spannten. Das war nur gut für meine Gesundheit.

Auf meinen Wanderungen fand ich auch die jüdische Richtstätte, auf der man Jesus von Nazareth gekreuzigt hatte. Der Hügel hat wirklich, so wie man es mir berichtet hatte, die Form eines Totenschädels, und danach hat er auch seinen Namen. Ich suchte nach dem Felsengrab, aus dem Jesus von Nazareth am dritten Tag von den Toten auferstanden ist. Die Suche fiel mir nicht schwer, denn die Belagerer hatten die Bäume umgehauen und die Büsche ausgerissen, damit sich kein Späher aus der Stadt schleichen konnte, aber ich fand viele Felsengräber und wußte nicht, welches das rechte war. Die Schilderungen meines Vaters waren, was die Einzelheiten anbelangt, ziemlich unbestimmt gewesen.

Wenn ich mich so mit klirrender Rüstung und keuchendem Atem dahinschleppte, lachten mich die Legionäre aus und versicherten mir, ich würde nicht einen einzigen toten Winkel finden, in dem ich die Mauern Jerusalems erreichen könnte. Die Parther hätten die Befestigungen viel zu geschickt angelegt. Im übrigen verspürten die Legionäre keine Lust, mich mit einem Schilddach zu schützen, denn diese sogenannten Schildkröten wurden von den Mauern herab mit geschmolzenem Blei begossen. Sie fragten mich spöttisch, warum ich nicht den Roßschweif auf dem Helm trüge und sie durch den Anblick meines breiten roten Streifens auf dem Mantelsaum erfreute. So wahnsinnig war ich denn doch nicht, und ich hatte alle Achtung vor den parthischen Bogenschützen. Ich ließ sogar meine roten Stiefel in meinem Zelt, um nicht mit meinem Rang zu prahlen.

Solange ich lebe, werde ich den Anblick des Tempels nicht vergessen, der sich auf seinem Hügel strahlend über die Mauern der Stadt erhob, blau in der Morgendämmerung, blutrot bei Sonnenuntergang, wenn es im Tal schon dunkel geworden war. Der Tempel des Herodes war wirklich eines der Wunder der Welt. Nach jahrzehntelanger Arbeit wurde er endlich kurz vor seiner Zerstörung fertig. Kein Menschenauge wird ihn mehr erblicken. Doch die Juden sind selbst schuld daran, daß er verschwinden mußte. Ich mochte nicht dabeisein, als er zerstört wurde. Er war zu herrlich gewesen.