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Daß ich mich in dieser Zeit viel mit Glaubensdingen beschäftigte, kam wohl daher, daß ich mich um Deiner Zukunft willen ständig großer Gefahr aussetzte und deshalb auf eine Weise weich und rührselig gestimmt war, die einem Manne meines Alters übel anstand. Als ich an Jesus von Nazareth und die Christen dachte, beschloß ich für mich selbst, ihnen nach bestem Vermögen zu helfen, sich von dem jüdischen Ballast zu befreien, den sie trotz all dem Glaubenseifer des Paulus und den vielen Änderungen, die Kephas eingeführt hatte, noch immer wie Ketten mit sich schleppten.

Nicht, daß ich den Christen ernstlich eine politische Zukunft gegeben hätte! Nein, dazu sind sie zu uneins und zu bitter miteinander verfeindet. Aber ich hege um meines Vaters willen eine gewisse Schwäche für Jesus von Nazareth und seine Lehre. Als mich mein Magenleiden am schlimmsten peinigte, ein Jahr ist es jetzt etwa her, da wäre ich sogar bereit gewesen, ihn als Gottes Sohn und Erlöser der Menschheit anzuerkennen, wenn er sich meiner erbarmt hätte.

An den Abenden trank ich fleißig aus dem Holzbecher meiner Mutter, denn ich brauchte Glück bei meinem gefährlichen Unternehmen. Vespasian hatte immer noch den zerbeulten Silberbecher seiner Großmutter. Er erinnerte sich noch gut an meinen einfachen Holzbecher, aus dem er damals in Britannien getrunken hatte, und gestand mir, er habe schon in jener Stunde eine väterliche Neigung zu mir gefaßt, weil ich das Andenken meiner Mutter ehrte und nicht Silberteller und Goldbecher mit ins Feld nahm, wie es so viele junge Ritter taten. Derlei Schätze führen den Feind nur in Versuchung, sagte er, und fallen zuletzt den Plünderern in die Hände. Zum Zeichen unserer Freundschaft tranken wir abwechselnd ein jeder aus dem heiligen Becher des andern, denn ich hatte guten Grund, Vespasian einen Schluck aus Fortunas Becher nehmen zu lassen. Er brauchte Glück, soviel ein Mensch nur haben kann.

Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, jüdische Kleider anzuziehen, wenn ich in die Stadt floh, aber ich fand dann doch, das wäre ein wenig übertrieben gewesen. Man hatte allerdings zur Warnung schon viele jüdische Handelsleute im Lager gekreuzigt, die im Schutz der Dunkelheit zu den Mauern zu schleichen versucht hatten, um unsere Pläne und neuen Belagerungsmaschinen zu verraten.

Als ich endlich an der Stelle, die ich mir ausgesucht hatte, am hellichten Tage auf die Mauern zurannte, trug ich Helm, Brustharnisch, Kettenhemd und Beinschienen. Ich hoffte, daß die Rüstung mich auch gegen die Hiebe schützen werde, die ich gewiß zunächst einmal abbekam, wenn es mir gelang, die Stadt zu betreten. Unsere Wachtposten hatten Befehl erhalten, mir mit Pfeilen nachzuschießen und die Juden durch großen Lärm auf meinen Versuch aufmerksam zu machen.

Sie führten ihren Befehl so eifrig aus, daß ich einen Pfeil in die eine Ferse bekam und seitdem gar auf beiden Beinen hinke. Ich beschloß, mir diesen übereifrigen Bogenschützen vorzunehmen, wenn ich lebendig zurückkam, und dafür zu sorgen, daß er für seinen Verstoß gegen einen klaren Befehl so streng wie möglich bestraft wurde. Er hatte den Befehl gehabt, an mir vorbeizuschießen – wenn auch so knapp wie möglich. Als ich dann aber glücklich zurückgekehrt war, war ich so zufrieden, daß ich mir nicht die Mühe machen mochte, nach dem ungeschickten Schützen zu suchen. Meine Verwundung trug übrigens nur dazu bei, daß die Juden mir meine Geschichte glaubten. Außerdem rechnete man sie mir später, als mein innigster Wunsch in Erfüllung ging, als Verdienst an.

Nachdem sie mich eine Weile geschmäht hatten, wehrten die Juden mit Pfeilen und Wurfsteinen einen Trupp Legionäre ab, der mir nachgestürzt war und mich gefangenzunehmen versuchte. Zu meinem Kummer kamen bei diesem Auftrag zwei ehrliche Legionäre ums Leben, für deren Familien ich später sorgte. Sie gehörten der fünfzehnten Legion an, die aus Pannonien gekommen war, und durften nie den geliebten schlammigen Strand der Donau wiedersehen, sondern mußten meinetwegen ihr Leben im Lande der Juden lassen, das sie wohl schon tausendmal verflucht hatten.

Auf meine eifrigen Bitten hin ließen die Juden endlich einen Korb an der Mauer herunter und zogen mich hinauf. Als ich in dem schaukelnden Korb saß, war meine Angst am größten, so daß ich mir, vor Furcht ganz wirr, den Pfeil aus der Ferse riß, ohne daß es schmerzte. Die Widerhaken blieben stecken, und die Wunde begann zu eitern, weshalb ich mich nach meiner Rückkehr ins Lager dem Feldscher ausliefern mußte. Da schrie ich dann freilich aus vollem Hals vor Schmerzen. Ich hatte ja schon einmal mit einem Feldscher schlimme Erfahrungen gemacht, und das hätte mir eine Warnung sein müssen.

Dennoch war diese Wunde meine einzige Hoffnung. Nachdem sie ihrem Zorn über meine römische Kleidung Luft gemacht hatten, gaben die Juden mir endlich Gelegenheit, zu erklären, daß ich beschnitten war und zum jüdischen Glauben übergetreten sei. Sie untersuchten die Sache sogleich und behandelten mich danach ein wenig besser. Ich erinnere mich aber nur ungern an das peinliche Verhör, das der jüdisch gekleidete parthische Zenturio mit mir anstellte, bevor er mich den richtigen Juden überließ.

Ich will in diesem Zusammenhang nur erwähnen, daß ausgerissene Daumennägel ziemlich rasch wieder nachwachsen. Meine Daumennägel wurden mir allerdings später nicht als Verdienst angerechnet. In diesen Dingen sind die Kriegsgesetze sehr unzulänglich. Ich hatte von meinen Daumen viel mehr Beschwer als von meinen Streifzügen in Reichweite der Wurfmaschinen. So etwas wird einem aber angerechnet!

Dem Hohen Rat der Aufständischen konnte ich einen Brief und eine geheime Verhandlungsvollmacht von der Julius-Caesar-Synagoge vorweisen. Ich hatte diese wertvollen Schriftstücke in meinen Kleidern versteckt und nicht einmal Vespasian gezeigt, da man sie mir gegeben hatte, weil man mir voll und ganz vertraute. Die Parther konnten sie nicht lesen, denn sie waren in der heiligen Sprache der Juden geschrieben und mit dem Davidstern gesiegelt.

Der Rat der Synagoge, der immer noch der einflußreichste in ganz Rom ist, berichtete in dem Brief von den großen Verdiensten, die ich mir um die Juden Roms nach dem Aufstand in Jerusalem erworben hatte. Sie hatten sogar die Hinrichtung des Paulus und des Kephas als eines meiner Verdienste aufgezählt, da sie wußten, daß die Juden Jerusalems diese beiden Männer ebensosehr haßten wie sie. Im Hohen Rat war man neugierig auf genaue Berichte über die Geschehnisse in Rom, denn man hatte seit mehreren Monaten nur durch ägyptische Tauben spärliche Nachrichten erhalten. Titus versuchte diese Tauben durch seine gezähmten Habichte abzufangen, und anderen drehten die hungernden Bewohner Jerusalems den Kragen um, bevor sie mit ihrer Botschaft den Taubenschlag im Vorhof des Tempels erreichten.

Ich verriet nicht, daß ich Senator war, sondern gab mich für einen einflußreichen Ritter aus, denn ich wollte die Juden nicht allzusehr in Versuchung führen. Meine Vollmacht war entsprechend abgefaßt. Ich versicherte, daß ich als Neubekehrter – und als solchen wies mich meine Narbe aus – alles für Jerusalem und den heiligen Tempel tun wollte. Deshalb hatte ich mich den Truppen Vespasians als Kriegstribun angeschlossen und ihn glauben lassen, ich könnte ihm als Kundschafter wertvolle Nachrichten aus Jerusalem verschaffen. Ich gestand, daß der Pfeilschuß in die Ferse ein Versehen war und daß auch der Versuch, mich wieder einzufangen, nur dazu dienen sollte, die Juden hinters Licht zu führen.

Meine Aufrichtigkeit machte so tiefen Eindruck auf den Rat der Juden, daß man mir so weit vertraute, wie es im Kriege statthaft ist, jemandem zu vertrauen. Ich durfte mich ziemlich frei in der Stadt bewegen, immer in Begleitung einiger bärtiger Leibwächter mit brennenden Augen, die ich mehr fürchtete als die hungrigen Bewohner der Stadt. Auch den Tempel durfte ich betreten, da ich beschnitten war. Auf diese Weise bin ich einer der letzten, die den Tempel zu Jerusalem in seiner unglaublichen Pracht von innen gesehen haben.