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Mit eigenen Augen konnte ich mich davon überzeugen, daß der siebenarmige goldene Leuchter, die goldenen Gefäße und das goldene Schaubrot – sie allein schon ein ungeheures Vermögen – sich noch an ihrem Platz befanden. Niemand schien daran zu denken, sie zu verstecken, so sehr verließen sich diese wahnsinnigen Eiferer auf die Heiligkeit des Tempels und ihren allmächtigen Gott. Und so unglaublich es auch für einen vernünftigen Menschen klingen mag: man hatte nicht mehr als einen unbedeutenden Bruchteil des ungeheuren Tempelschatzes für die Anschaffung von Waffen und den Ausbau der Befestigungen zu nehmen gewagt. Lieber plagten sich die Juden zu Tode und arbeiteten ohne Lohn, als daß sie den Tempelschatz anrührten. Der lag im Innern des Berges hinter Panzertüren verborgen. Der ganze Tempelberg gleicht einer Honigwabe mit seinen zahllosen Pilgerherbergen und Geheimgängen. Aber kein Mensch kann etwas so geschickt verbergen, daß es ein anderer Mensch nicht finden könnte, wenn er sich ernstlich Mühe gibt, vorausgesetzt, daß mehr als einer von dem Versteck weiß und auch der Ort ungefähr bekannt ist.

Davon konnte ich mich später selbst überzeugen, als ich nach dem Geheimarchiv des Tigellinus forschte. Ich hielt es für unerläßlich, daß es vernichtet wurde, denn es enthielt zuviel merkwürdige Einzelheiten über die politischen Absichten und Lebensgewohnheiten von zahlreichen Angehörigen unserer ältesten Familien. Das waren recht einfältige Männer gewesen, die das Volk dazu aufwiegelten, zu fordern, daß Tigellinus den Raubtieren vorgeworfen werde. Er war als Toter unvergleichlich gefährlicher denn als Lebender, falls sein Archiv in die Hände eines gewissenlosen Menschen geriet.

Den Schatz des Tigellinus überließ ich selbstverständlich Vespasian. Ich selbst behielt mir nur einige Andenken, und von den geheimen Dokumenten sagte ich nichts. Vespasian fragte auch nicht danach, denn er ist klüger und listiger, als man nach seinem groben Äußeren meinen möchte. Ich gab den Schatz schweren Herzens her, denn er enthielt auch die zwei Millionen Sesterze in vollgewichtigen Goldmünzen, die ich Tigellinus schenkte, als ich Rom verließ. Er war der einzige, der meine ehrlichen Absichten hätte bezweifeln und mich an der Reise hindern können.

Ich erinnere mich noch, wie er mich mißtrauisch fragte: »Warum schenkst du mir ungebeten eine solche Summe?«

»Um unsere Freundschaft zu bekräftigen«, erwiderte ich ehrlich. »Aber auch, weil ich weiß, daß du dieses Geld auf die rechte Art gebrauchen wirst, wenn einmal böse Zeiten kommen, wovor uns alle Götter Roms schützen mögen.«

Das Geld war noch da, denn er war ein Geizkragen gewesen. Im übrigen aber verhielt er sich sehr vernünftig, als die Stunde gekommen war. Er bewog die Prätorianer, Nero im Stich zu lassen, als er merkte, daß seine eigene Haut in Gefahr war. Und dann gab es eigentlich keinen, der ihm Böses wollte. Galba behandelte ihn gut. Erst Otho ließ ihn ermorden, weil er sich unsicher und der Gunst des Volkes allzu ungewiß fühlte. Ich habe seinen unnötigen Tod immer beklagt. Nach seinen schweren Jugenderlebnissen hätte er bessere Tage verdient. Während Neros letzter Jahre mußte er ständig unter schweren Gewissensqualen leben, so daß er des Nachts nicht mehr schlafen konnte und noch härter wurde, als er schon gewesen war.

Doch warum denke ich an ihn? Mein wichtigster Auftrag im belagerten Jerusalem war ausgeführt, sobald ich mich vergewissert hatte, daß der Tempelschatz wohlbehalten und zu finden war. Ich wußte, daß dank unserer Wachsamkeit nicht einmal eine Ratte mit einer Goldmünze in der Schnauze aus Jerusalem hätte fliehen können.

Du verstehst gewiß, daß ich um Deiner Zukunft willen nicht ohne handgreifliche Sicherheiten Vespasian den Inhalt meiner zwanzig eisernen Truhen als Darlehen anbieten konnte, um ihm zum Kaiserthrone zu verhelfen. Ich zweifelte zwar nicht an seiner Ehrlichkeit, aber Roms Finanzen sind verworren, und ein Bürgerkrieg steht vor der Tür. Ich mußte mich daher absichern. Nur darum wagte ich mein Leben und begab mich nach Jerusalem.

Selbstverständlich kümmerte ich mich auch um das andere, nämlich die Verteidigungsbereitschaft der Stadt, ihre Mauern, Wurfmaschinen, Lebensmittel- und Wasservorräte und so fort, da es auch mir zum Vorteil gereichte, wenn Vespasian darüber genaue Auskünfte erhielt. Wasser hatte die Stadt genug in unterirdischen Zisternen. Vespasian hatte gleich zu Beginn der Belagerung das Aquädukt niederreißen lassen, das vor vierzig Jahren unter dem Prokurator Pontius Pilatus erbaut worden war. Die Juden hatten sich damals dieser Wasserleitung widersetzt, weil sie nicht von einer Versorgung von außen her abhängen wollten. Allein das beweist, wie lange der Aufruhr schon vorbereitet worden war. Man hatte nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet.

Lebensmittelvorräte hatte die Stadt jedoch keine. Ich sah zu Schatten abgemagerte Mütter, die sich vergeblich mühten, einen letzten Tropfen Milch aus ihren Brüsten zu pressen, und Kinder, die nur noch Haut und Knochen waren. Auch die Alten taten mir leid, denn sie erhielten keine Lebensmittelzuteilung. Die Aufständischen, die mit der Waffe in der Hand kämpften und die Mauern verstärkten, brauchten alle Nahrung für sich.

Auf dem Fleischmarkt sah ich, daß Tauben und Ratten Kostbarkeiten waren, deren Gewicht mit Silber aufgewogen wurde. Im Tempelbezirk gab es ganze Herden von Mutterschafen, von denen täglich welche dem blutdürstigen Jahve geopfert wurden, aber das ausgehungerte Volk von Jerusalem rührte sie nicht an. Man brauchte sie kaum zu bewachen, weil sie heilige Tiere waren. Die Priester und die Angehörigen des Hohen Rates waren übrigens noch recht wohlgenährt.

Die Leiden des jüdischen Volkes bedrückten mich, da in der Waagschale des unerklärlichen Gottes die Tränen der Juden vermutlich wohl ebensoviel wiegen wie die eines Römers, und mehr als die Tränen eines Erwachsenen wiegen eines Kindes Tränen; gleich, welche Sprache es spricht oder was für eine Farbe seine Haut hat. Dennoch mußte die Belagerung fortgesetzt werden. Die Juden waren durch ihre Unbeugsamkeit selbst an ihrem Schicksal schuld.

Jeder Jude, der – selbst während der Unterhandlungen mit den Römern – von Übergabe redete, wurde augenblicklich hingerichtet und landete, wenn ich einmal meine eigene, persönliche Meinung anführen darf, auf dem Fleischmarkt. Um Mitleid zu erregen, spricht der lügnerische Josephus von der einen oder anderen Mutter, die ihr Kind aufaß, aber in Wirklichkeit verhält es sich so, daß diese Dinge in Jerusalem so häufig vorkamen, daß sogar er sie erwähnen mußte, um sich wenigstens den Anstrich von Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit zu geben.

Ich bot diesem Josephus dann übrigens ein Honorar für die Auflage seines Jüdischen Krieges an, die unser Verlag verkaufte, obwohl ich das gar nicht nötig hatte. In seinem Hochmut lehnte Josephus das Geld ab und beklagte sich nur nach der Weise aller Schriftsteller über die Kürzungen, die ich hatte vornehmen lassen, um das Buch besser verkaufen zu können. Er wollte sich nicht davon überzeugen lassen, daß diese Kürzungen sein unerträglich langatmiges Buch nur verbesserten. So eitel sind Schriftsteller.

Sobald wir uns einig geworden waren, was für irreführende Auskünfte über die Verteidigung der Stadt ich Vespasian überbringen sollte und wie die Julius-Caesar-Synagoge in Rom ohne eigene Gefahr den Aufstand der Juden politisch unterstützen konnte, ließ mich der Hohe Rat aus der Stadt. Mit einer Binde vor den Augen wurde ich durch einen unterirdischen Gang geführt und in einen Steinbruch hinausgestoßen, in dem lauter verwesende Leichen umherlagen. Ich schlug mir auf meinem Gang durch den Steinbruch die Knie und die Ellenbogen auf und griff einmal, als ich stürzte, mit der Hand in eine aufgedunsene Leiche, denn die Juden hatten mir verboten, vor Ablauf einer gewissen Frist die Binde abzunehmen. Für den Fall, daß ich nicht gehorchte, drohten sie mir, mich mit Pfeilen zu durchbohren.