Während meines blinden Umhertastens gelang es den Juden, die Mündung des Geheimgangs so geschickt zu tarnen, daß wir später alle Mühe hatten, sie zu finden. Wir fanden sie zuletzt aber doch, denn ich mußte dafür sorgen, daß alle Schlupflöcher zugestopft wurden, und ließ nicht locker. Die Art, wie ich die Stadt verlassen hatte, brachte uns auf den Gedanken, an den unwahrscheinlichsten Orten nach geheimen Ausgängen zu suchen. Gleichwohl fanden wir im Laufe eines ganzen Jahres nur drei. Mir schlug nach meiner Rückkehr aus Jerusalem oft das Herz bis zum Halse, weil ich fürchtete, daß Deine Zukunft in Frage gestellt sei. Meine Sorge war jedoch unbegründet. Der Schatz war noch vorhanden, als Titus endlich die Stadt einnahm, und Vespasian konnte seine Schulden bezahlen.
Immerhin aber hatte ich mich ein ganzes Jahr lang im Osten aufhalten und Vespasian auf Schritt und Tritt folgen müssen, bis die Zeit endlich reif war.
XIV
VESPASIAN
Ich nutzte die Wartezeit, um auf Umwegen meine Sache bei Vespasian vorzubereiten, der feine Andeutungen sehr wohl verstand, aber vorsichtig und bedachtsam war. Im darauffolgenden Frühling starb Nero, sofern er wirklich tot ist. Rom wurde innerhalb eines einzigen Jahres von drei verschiedenen Kaisern regiert: Galba, Otho und Vitellius. Genaugenommen von vieren, wenn man den unverschämten Staatsstreich Domitians auf seines eigenen Vaters Kosten mit dazurechnet, aber das nahm ja ein schnelles Ende.
Es erheiterte mich, daß nach Galba ausgerechnet Otho Kaiser wurde. Auf diese Weise wäre Poppaea in jedem Falle kaiserliche Gemahlin geworden, auch wenn sie sich nicht von Otho hätte scheiden lassen, so daß die Weissagung gleichsam doppelt in Erfüllung ging. Ich bin nicht abergläubisch, aber ich meine, ein vernünftiger Mensch sollte ab und zu doch etwas auf Vorzeichen und dergleichen geben.
Vitellius nahm, auf die rheinischen Legionen gestützt, die Zügel in die Hand, sobald er von der Ermordung Galbas erfuhr. Ich glaube, an Othos raschem Untergang war nur schuld, daß er sich erdreistete, das heilige Schwert Deines Stammvaters Julius Caesar aus dem Marstempel zu holen, wozu er weder juristisch noch moralisch gesehen das Recht hatte. Dieses Recht kommt nur Dir zu, Julius Antonianus Claudius, der Du in gerader absteigender Linie sowohl dem Geschlecht der Julier als auch dem der Antonier angehörst. Zum Glück bekam man das Schwert zurück und konnte es im Marstempel erneut weihen.
Othos Legionen wurden bei Dedriacum geschlagen, er selbst beging Selbstmord, um den Bürgerkrieg nicht zu verlängern, obwohl er frische Truppen in Bereitschaft hatte. Seinen letzten Brief schrieb er an Neros Witwe, Statilia Messalina. Er drückte ihr darin sein Bedauern aus, daß er sein Versprechen nicht halten und sich nicht mit ihr vermählen konnte. Seinen Leichnam und seinen Nachruf vertraute er in diesem für einen Feldherrn und Kaiser unziemlich gefühlvollen Brief Statilias Obhut an. Auf diese Weise bekam Statilia kurz nacheinander gleich zwei Kaisergräber, um die sie sich kümmern konnte.
Über Paulus Vitellius genügt es zu sagen, daß er seine frühe Jugend im Gefolge des Kaisers Tiberius auf Capri verbrachte. Die Verdienste seines berühmten Vaters will ich gern anerkennen, aber Paulus war so sittenlos, daß sein eigener Vater ihm nicht einmal das Amt eines Prokonsuls geben wollte. Es gelang ihm, sich in die Gunst dreier Kaiser einzuschmeicheln, eher um seiner Laster als um seiner Tugenden willen. Nero zählte ihn zu seinen Freunden, ich aber war nie mit ihm befreundet. Im Gegenteil, ich mied seine Gesellschaft, so gut es ging. Als Beweis für sein unanständiges Benehmen will ich nur anführen, daß er, als er das Schlachtfeld bei Badriacum aufsuchte, schnuppernd die Luft einsog und sagte: »Ein erschlagener Feind riecht gut, und ein erschlagener römischer Bürger riecht noch besser!«
Seine einzige ehrenhafte Handlung war, daß er dem Senat trotzte und in Gegenwart aller Priesterkollegien auf dem Marsfeld ein Totenopfer für Nero verrichtete, worauf er bei dem Mahl, das er dann gab, den vornehmsten Zitherspieler Roms nur Lieder zu singen bat; die Nero gedichtet und vertont hatte. Dazu klatschte er als erster so eifrig in die Hände, als lebte Nero noch. Auf diese Weise machte er gut, was der Proprätor Julius Vindex Nero in dem beleidigenden Brief angetan hatte, der der Anlaß zum Bürgerkrieg gewesen war. Vindex hatte Nero in diesem Brief einen kläglichen Zitherspieler genannt, weil er wußte, daß ihn dies mehr kränken würde als jede andere Anklage. Der für meinen Verstand unbegreifliche politische Mißgriff des Vitellius bestand darin, daß er durch einen Erlaß die Prätorianerkohorten auflöste und einhundertzwanzig Mann hinrichten ließ, darunter diejenigen Kriegstribunen und Zenturionen, die in erster Linie für die Ermordung Galbas verantwortlich waren. Von seinem Standpunkt aus hätten sie eher eine Belohnung denn Strafe verdient. Es war nicht verwunderlich, daß ein solcher Wankelmut die vernünftigen Legionsbefehlshaber mit gutem Grund an seiner Zuverlässigkeit als Kaiser zweifeln ließ.
Von den erbarmungslosen Morden, denen viele hochgeachtete Männer zum Opfer fielen, will ich nicht sprechen. Ich erwähne nur, daß er nicht einmal die Bankiers begnadigte, die ihm von Nutzen hätten sein können, sondern sie in der Hoffnung auf leichten Gewinn hinrichten und ihr Vermögen beschlagnahmen ließ, ohne zu überlegen, daß es klüger ist, eine Kuh zu melken, als sie zu schlachten.
Als Vitellius den achten Monat regierte, erhielt ich gewisse Nachrichten, die mich davon überzeugten, daß endlich die Zeit gekommen war, Vespasian zu überreden. Ich sagte ihm, daß ich bereit war, ihm mein ganzes Vermögen zu leihen, um seine Thronbesteigung zu finanzieren, und daß ich keine andere Sicherheit verlangte als einen Anteil an Jerusalems Tempelschatz und der übrigen Kriegsbeute. Ich spielte auf meine zwanzig eisernen Truhen an. Sie enthielten selbstverständlich nicht mein gesamtes Vermögen, aber ich wollte ihm vor Augen führen, wie sehr ich auf ihn und seine Möglichkeiten baute.
Der vorsichtige Vespasian wehrte sich so lange, daß Titus schließlich auf meinen Rat einen Brief fälschte, in welchem Galba Vespasian zu seinem Erben ernannte. Titus ist der geschickteste Fälscher, der mir je untergekommen ist, und kann jede Handschrift glaubhaft nachahmen. Was sich daraus im Hinblick auf seinen Charakter schließen läßt, soll ungesagt bleiben.
Ich weiß nicht, ob Vespasian an die Echtheit des Briefes von Galba glaubte. Er kennt ja seinen Sohn. Jedenfalls jammerte und klagte er eine ganze Nacht lang in seinem Zelt, so daß ich es zuletzt nicht mehr aushielt und Geld an die Legionäre austeilen ließ, ein paar Sesterze für einen jeden, damit sie ihn in der Morgendämmerung zum Kaiser ausriefen. Das taten sie gern und hätten es vermutlich auch umsonst getan, aber ich wollte Zeit gewinnen. Auf meinen Rat schickten sie Boten zu den übrigen Legionen und ließen überall erzählen, was für ein guter, verständnisvoller Mensch und begabter Feldherr er vom Standpunkt des einfachen Soldaten aus war.
Vespasian war auf diese Weise kaum vor den Mauern Jerusalems zum Kaiser ausgerufen worden, als auch schon die Eilbotschaft eintraf, daß ihm die Legionen in Mösien und Pannonien gleichfalls den Treueid geschworen hatten. Er ließ den Donaulegionen rasch den rückständigen Sold schicken, um den sie in ihrem Schreiben so inständig baten. Meine Geldtruhen in Caesarea kamen daher sehr gelegen, obwohl Vespasian zunächst einmal meinte, er könne auf seinen guten Namen hin gewiß Recht bei den reichen Handelsleuten in Syrien und Ägypten bekommen. Wir waren nämlich anfangs im Hinblick auf meinen rechtmäßigen Anteil am Tempelschatz nicht ganz derselben Meinung.
Ich erinnerte ihn daran, daß es Julius Caesar seinerzeit geglückt war, auf seinen bloßen Namen und seine Zukunftsaussichten hin so ungeheure Schulden zu machen, daß seine Gläubiger gezwungen waren, ihn politisch zu unterstützen, da zuletzt die gesamte Kriegsbeute aus dem reichen, fruchtbaren Gallien vonnöten war, sie zu bezahlen. Doch Caesar war damals noch jung und hatte sich sowohl durch politischen Weitblick als auch durch militärische Verdienste in unvergleichlich höherem Maße ausgezeichnet als Vespasian, der schon zu Jahren gekommen und für sein einfaches, schlichtes Wesen bekannt war. Nach langem, hartem Feilschen trafen wir dann doch ein für beide Seiten annehmbares Übereinkommen.